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Ausgabe:

1993

Spalte:

432-433

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schlette, Heinz Robert

Titel/Untertitel:

Konkrete Humanität 1993

Rezensent:

Hornig, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 5

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nengelernt werden muß. Eindrücklich wird das etwa von der
Beobachtung aus entfaltet, daß die sprachliche „Vertrautheit
mit dem Werkzeug und dem hergestellten Ding...eine andere
(ist) als die Vertrautheit mit dem Himmel, dem Meer und dem
Horizont" (157). Die Sprache leitet zum Verständnis der Di-
mensionalität unserer Wirklichkeit an. In letzter Hinsicht werden
wir durch sie auf das metaphysische Problem geführt.

L. will die Sprache in der Tat religiös gedeutet wissen, weil sie
sich auf einen „Zusammenhang des Erschaffenen" bezieht, der
sich nicht einfangen läßt und in der „Unerschöpflichkeit" (166)
der Sprache zutagetritt. Sowohl personalistische wie transzendentalphilosophische
Sprachtheorien übersehen diesen Punkt.

L. greift auf diesem Hintergrund das vielerörterte Problem der
Metapher auf. Er schlägt einen „engen" (77) Begriff vor. Zwar ist
auch die Metaphernbildung unerschöpflich. Aber weil „Weite"
ein Grundzug der natürlichen, die Wirklichkeit erfassenden Sprache
ist, ist die Metapher nicht geeignet, das Wesen der gesprochenen
Sprache oder auch nur das Phänomen der Übertragung
von Wortbedeutungen in ihnen zunächst fremde Bereiche verstehen
zu lernen. Metapher im engeren Sinn meint, daß „nicht nur
zwei Wortbedeutungen(,) sondern zwei Bedeutungshorizonte in
ihrer Fremdheit konfrontiert werden" (99). Durch diese Fremdheit
wie den von ihr implizierten Abstand zu dem, worüber
gesprochen wird, gewinnt sie ihre Aussagekraft. Im Prinzip berührt
sich an dieser Stelle allerdings das Metaphernproblem mit
dem des Redens und Verstehens überhaupt. Denn ohne Abstand
und Fremdheit ist Verständnis nicht möglich; ein Grundzug der
Rede ist, daß sie Rede über etwas ist (vgl. z.B. 128).

Will diese als solche das erfassen, wovon die Rede ist, dann
wird das Denken vor allem in zwei Fragen verwickelt, nämlich
in die des Zusammenhanges von Leib und Geist und in die weitere
des Verhältnisses von Zeit und Raum. Beide Fragenkreise
werden von L. nicht eigens thematisiert, aber immer wieder in
erhellender Weise berücksichtigt. Über Leib und Geist muß
nachgedacht werden, weil zum Reden und Verstehen nicht nur
Wortbeherrschung gehört, sondern etwa auch der Ton des
gesprochenen Wortes und das Vernehmen des Lautes. Dadurch
steht die Sprache im Raum, jedoch - als verklingende - zugleich
in der Zeit, die im Sprechen wiederum aufgehalten wird. L. hebt
also darauf ab, daß Leib und Geist wie Raum und Zeit in ihrer
wechselseitigen Durchdringung zu bedenken sind.

Leider nur beiläufig wird von L. ein weiteres, in engstem
Zusammenhang mit seinen Leitworten „Weite" und „Prägnanz"
stehendes Problem berührt, nämlich die Humboldtsche These
von der mit einer Sprache gegebenen spezifischen Weltsicht. L.
bemerkt zwar, daß die „jeweils verschiedene Sicht (einer Sprache
)... unsere Erfahrungen (nicht) beeinträchtigt" (30). Wenn
aber unsere Sprache als Verbalsprache (vgl. dazu bes. 137IT) zu
verstehen ist und in dieser die Möglichkeit der Verwechslung
von Prädikation und Urteil (vgl. bes. 141 ff) beschlossen liegt,
dann erhebt sich die Frage, wie prägnant die Sprache eigentlich
sein kann und ob deren Reflexion ohne transzendentalphilosophische
Begründungen wirklich auszukommen vermag. Im
Rahmen der Sprachphilosophie wäre das vor allem im Hinblick
auf das Mißverstehen sprachlicher Äußerungen zu erörtern, womit
das alte Problem des Verhältnisses von Sprache und Denken
neu zur Debatte stünde.

Wenn sich auch an dieser Stelle Fragen zur Position L.s melden
- der Leser wird das Buch mit hohem Gewinn aus der Hand
legen, beeindruckt von der umsichtigen, die Wirklichkeit der
Sprache nie aus dem Blick verlierenden Art der Betrachtung. Er
lernt, im Nachdenken über die Sprache sich selbst und seine
Welt ein Stück weit besser verstehen. Er wird sich von hier aus
mit neuem Interesse der Theologie L.s, vor allem seiner Schöpfungslehre
, zuwenden.

Münster Eckhart Lessing

Schlette, Heinz Robert: Konkrete Humanität. Studien zur
Praktischen Philosophie und Religionsphilosophic. Aus
Anlaß des 60. Geburtstages hg. von J. Brosseder, N. Klein, u.
E. Weinzierl. Frankfurt/M.: Knecht 1991. 487 S. gr.8°. Lw.
DM 168,-. ISBN 3-7820-0623-3.

Anregend und thematisch breit gefächert sind die Beiträge,
die der Bonner Philosoph selbst ausgewählt hat. Sie sind größtenteils
schon zuvor in einigen Periodica publiziert worden,
jetzt aber zusammen mit einigen Erstveröffentlichungen in
einem Band zugänglich, der in zwei Hauptteile gegliedert ist:
die Studien zur Praktischen Philosophie und die zur Religionsphilosophie
. Der erste Teil (21-247) behandelt Themen, die zur
Geschichtsphilosophie, Anthropologie, Ethik und Politik gehören
. In umsichtigen Analysen werden weniger fertige Lösungen
angeboten als Überlegungen angestellt und Denkanstöße
vermittelt. Erkennbar wird eine eigenständige Position skeptischen
Philosophierens, die den katholischen Autor in eine
erhebliche Distanz zu den lehramtlichen Auffassungen seiner
Kirche gebracht hat. Gleichwohl bleibt in der Auswahl der Gesprächspartner
- von Romano Guardini bis zu Martin Heidegger
und Hermann Krings - sowie in der zitierten Literatur der
konfessionelle Hintergrund deutlich spürbar.

Der Buchtitel „Konkrete Humanität" signalisiert das besondere
Anliegen des Vf.s, das seinem Nachdenken und seinen
Ausführungen zugrundeliegt. Es besteht in der Sensibilität für
das Humanum, das gegenwärtig auf vielfache Weise bedroht ist
und eingeschränkt wird. Sorge um die Dignität aller Individuen
bedeutet, daß die Bedingungen für die Verwirklichung von
Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden geschaffen und verbessert
werden sollen. Diesem Anliegen dienen auch die Beiträge über
das utopische Denken, die Grenzen des Wachstums, die Beweislast
für die Veränderung des Bestehenden sowie die schönen
Essays über die Phänomene der Freundschaft und Gleichheit
. Besondere Aktualität besitzt aufgrund der jüngsten politischen
Veränderungen der aus dem Jahre 1983 stammende Aulsatz
„Marxismus - ein Humanismus?" ( 132-151). Es ist zweifellos
richtig erkannt, daß die Marxsche Theorie ursprünglich
einen „Humanismus" vertreten hat und mittels der sozialistischen
Revolution das wahre Menschsein durch Aufhebung der
Herrschaft von Menschen über Menschen verwirklichen wollte.
Die Gründe, warum dies in dem real existierenden Sozialismus,
der den Marxismus-Leninismus zur allein gültigen Staatsphilosophie
erhoben hatte, nach mehreren Jahrzehnten nicht geschehen
ist, werden vom Vf. allerdings nicht erörtert. Sie liegen in
einer Revolution von oben, die nirgends zu einer klassenlosen
Gesellschaft und zu dem vorausgesagten Absterben des Staates,
sondern vielmehr zu einem gefürchteten Polizeistaat und einer
dauerhaften Parteidiktatur geführt hat, die von einer wachsenden
Mehrheit der Bevölkerung als Bevormundung, Inhumanität
, Zwang, Unterdrückung und Verweigerung elementarer
Menschenrechte empfunden wurde. In diesem Zusammenhang
hätte auch erwähnt werden können, daß das marxistische Basis-
Überbau-Schema zur Erklärung und Deutung des Phänomens
der „Religion" völlig unzureichend ist.

Mit dem zweiten Hauptteil des Aufsatzbandes (251-472), der
grundlegende Fragen heutiger Religionsphilosophie behandelt,
wendet der Vf. sich in einer Reihe selbständiger Einzelstudien
einem Gebiet zu, dem seit längerer Zeit sein besonderes wissenschaftliches
Interese gilt. Er plädiert für eine umfassende Erforschung
der Geschichte der neuzeitlichen Religionskritik, und
zwar sowohl der externen als auch der internen, zu denen als
wesentlicher Bestandteil auch die reichlich geübte Christentumskritik
gehört. Als Begründung für diese weithin noch unerledigte
Forschungsaufgabe wird u.a. angeführt, daß die Erforschung
der von der Religionskritik vorgetragenen Argumente einen
Beitrag zum interreligiösen Dialog leisten und auch die Selbst-