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Ausgabe:

1993

Spalte:

430-431

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Weite und Prägnanz : sprachphilosophische Betrachtungen 1993

Rezensent:

Lessing, Eckhard

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429

Theologische Literaturzeitung 1 18. Jahrgang 1993 Nr. 5

430

Wirklichkeit". Gesamtwirklichkeit wird dabei als metaphysischer
Begriff verstanden (2). Philosophie als rationale Erkenntnis
der Gesamtwirklichkeit wird dann so begründet: „Würde
man das Streben nach Erkenntnis des Ganzen verdrängen, so
tauchte es an anderer Stelle in Ideologien oder irrationalen
Mythen wieder auf. Rationale Philosophie als Versuch, das Ganze
zu erkennen, ist also notwendig..." (3). Durch den Blick auf
die Gesamtwirklichkeit sind die Fragen der Philosophie immer
letzte Fragen und als solche zugleich auf die Existenz des Menschen
bezogen, der diese Fragen stellt: „Die Hauptfragen der
Philosophie entspringen den sogenannten letzten Fragen, die
jeder Mensch als Fragen nach dem Sinn des Seins und seiner
eigenen Existenz in Situationen existentieller Infragestellung
aufwirft" (8). Deshalb ist die Erkenntnis des Menschen (der Personalität
) auch der Ausgangspunkt der Philosophie: „Der
Mensch ist das Seiende, das am reichsten an Bestimmungen ist,
wenn man von einem möglichen göttlichen Seienden absieht.
Da eine unmittelbare anschauliche Gotteserkenntnis dem Menschen
nicht möglich ist, muß in der Philosophie mit der Erkenntnis
der menschlichen Personalität begonnen werden..." (10). Das
hat dann auch für die Disposition dieses Buches zur Folge: „Aus
dem Bestimmendwerden des Handelns und Machens des Menschen
, aus dem immer stärker Geschichtlich-werden der Welt
folgt, daß im vorliegenden Buch die praktische Philosophie der
theoretischen vorangestellt ist" (1).

Auch wenn diese Gedanken des Einlcitungsartikels überzeugen
, trägt doch der Ausgang bei der praktischen Philosophie
(genau: bei der Philosophie in den pragmatischen Bereichen)
nicht die Klarheit und damit die Orientierungsfähigkeit in sich
wie der Beginn bei der theoretischen Philosophie mit ihren
scharfen Begriffsklärungen. So ist denn auch die Ausführung
ein wenig enttäuschend, zumal in diesem Teamwork jeder Artikel
wieder von vorn anfangen muß und (deshalb?) außerdem
oftmals (als Paradigmen) Einzelfragen behandelt wie z.B. die
europäische Einheit im Artikel „Sozial- und Kulturphilosophie"
(72ff) und damit die Breite des Eindringens in ein Gebiet noch
verkürzt.

Das Buch ist aus einer Vorlesungsreihe hervorgegangen. In
unserem beschränkten Rahmen können freilich die einzelnen
Beiträge und ihre Verfasser leider nur genannt werden: „Philosophische
Anthropologie" (Odo Marquard), „Philosophische
Pädagogik" (Marian Heitger), „Geschichtsphilosophie" (Hermann
Lübbe), „Sozial- und Kulturphilosophie" (Peter Koslows-
ki), „Politische Philosophie" (Klaus Hartmann), „Rechtsphilosophie
" (Hasso Hofmann), „Wirtschaftsphilosophie und Wirtschaftsethik
" (Peter Koslowski), „Philosophie der Kunst oder
Ästhetische Theorie" (Karl Heinz Bohrer), „Orientierungsaufgaben
der Religionsphilosophie" (Richard Schaeffler), „Philosophische
Ethik" (Otfricd Höffe), „Ethik und Naturwissenschaften
" (Reinhard Low), „Wissenschaftstheorie und Logik" (Franz
Kutschera), „Theorie der Rationalität" (Herbert Schnädelbach),
„Analytische Philosophie und das Selbst" (D. H. Mellor), „Philosophische
Psychologie" (Hinderk M. Emrich), „Naturphilosophie
" (Reinhard Low), „Vom Sinn der Metaphysik" (Hermann
Krings), „Theologie und Metaphysik" (Jörg Splett), „Christliche
Philosophie" (Walter M. Neidl). Die philosophische Grundorientierung
der einzelnen Aufsätze ist - wie zu erwarten - nicht
homogen, das gilt auch für ihre Begründungszusammenhänge
und deren Stringenz, was hier leider nicht im einzelnen aufgewiesen
werden kann.

Den Theologen werden dann besonders die letzten drei Beiträge
interessieren. Im Artikel „Vom Sinn der Metaphysik" wird
Metaphysik auf „transkategoriale Begriffe" gegründet (372ff),
ihre Bedeutung aber an Einzelfragen (Grenzen wirtschaftlichen
Wachstums, das Amt des Präsidenten der Republik, Vernunft
und Natur) aufgezeigt, eine Schwäche, die durch viele Beiträge
geht. In „Theologie und Metaphysik" wird von einer „Metaphysischen
Theologie als Antwort" (auf substanzielle Fragen) gesprochen
, wobei Fragen und Wissen als Vollzug von Aufmerksamkeit
und Dank, als Gottesdienst zu denken sind (400). Das
letzte Kapitel „Christliche Philosophie" stellt der jüdisch-christlichen
Offenbarungslehre das griechische Denken entgegen, um
dieses zu überwinden, eine These, die sowohl der griechischen
Philosophie als auch dem NT gegenüber zumindest als problematisch
erscheinen muß.

Man merkt dem Buch eine leise katholisierende Tendenz an,
was freilich auch als Anfrage nach einer „Orientierung durch
Philosophie" auf evangelischer Seite verstanden werden sollte.

Wieweit in der dispositionellen Aufspaltung in viele Einzelthemata
sowie wiederum in den einzelnen Artikeln selbst eine
wirkliche „Orientierung durch Philosophie" geschieht, wird
jeder Leser selbst entscheiden müssen; auf alle Fälle aber wird
das vorliegende Buch zu einer eigenen „Orientierung durch Philosophie
" anleiten können.

Marburg Günther Keil

L0gstrup, Knud E.: Weite und Prägnanz. Sprachphilosophische
Betrachtungen. Metaphysik I. Übers, von R. L0gstrup.
Tübingen: Mohr 1991. VII, 210 S. 8°. Lw. DM 78,-. ISBN 3-
16-145572-X.

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um den ersten der
vier Bände umfassenden Metaphysik L0gstrups. In deutscher
Übersetzung erschien bereits Bd. IV: „Schöpfung und Vernichtung
. Religionsphilosophische Betrachtungen, 1990", auf den
Bd. I verschiedentlich Bezug nimmt.

Auch in diesem Band werden „Betrachtungen", nicht eine
geschlossene philosophische Konzeption dargeboten. Gleichwohl
empfiehlt es sich nicht, sich bei der Lektüre von den Überschriften
der einzelnen Abhandlungen bestimmen zu lassen.
Diese stehen in einer systematischen Abfolge, und L.s Denken
wird sich nur dem erschließen, der dem im Buche eingeschlagenen
Weg zu folgen bereit ist.

Der Schwerpunkt liegt auf einer Analyse der Alltagssprache.
L. bedient sich einer phänomenologischen Betrachtungsweise,
die besonders Hans Lipps und Julius Stenzel verpflichtet ist. Es
geht ihm um das eigene Recht der Sprachphilosophie, also um
den zu beachtenden Unterschied zwischen Sprachphilosophie
und Sprachwissenschaft. Dies schlägt sich in einer Kritik der
nominalistischen Sprachtheorien nieder, so sehr deren Gründen
nachzugehen ist.

Die phänomenologische Analyse der Alltagssprache wird vor
allem im ersten Teil des Buches vorgenommen. L. untersucht
hier u.a. die Rolle des Tones, das Verhältnis zwischen Aussagesinn
und Wortbedeutung, Wörter mit und ohne Designata, in
einem besonders wichtigen Abschnitt den Begriff Metapher. Im
zweiten Teil des Buches setzt sich L. zunehmend mit sprachphilosophischen
Theorien auseinander, besonders mit der Transzendentalphilosophie
und - ausführlich - mit der Sprachphilosophie
Derridas. Diese Auseinandersetzungen stehen allerdings im
Dienst der weiteren Analyse der Alltagssprache.

Diese wird unter die im Titel genannten Worte „Weite" und
„Prägnanz" gestellt. L. meint damit den Sachverhalt, daß die
Weite der Wortbedeutungen kein Zeichen der Ungenauigkeit,
sondern eine Bedingung für das präzise Erfassen der komplexen
Beschaffenheit unserer Wirklichkeit ist. Dies muß mindestens
dann gesagt werden, wenn Sprache von der Rede aus, nicht aber
von der spezifischen Bedeutung der Worte her, zu begreifen ist.

Mit dieser These ist es möglich, die Leistungskraft der Sprache
im ganzen wie im einzelnen näher in Augenschein zu nehmen
. Die Sprache ist gleichsam ein Feld, das ständig für Entdeckungen
bereit liegt und dessen Reichtum mit Staunen ken-