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Ausgabe:

1993

Spalte:

421-423

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Brandy, Hans Christian

Titel/Untertitel:

Die späte Christologie des Johannes Brenz 1993

Rezensent:

Brecht, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1 18. Jahrgang 1993 Nr. 5

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Wandel der reformatorischen Bewegung zur Fürstenreformation geprägt
war" (30), als ob nicht auch vor der „Reformation" und seit den Anfangen
der reformatorischen Bewegung eine gezielte landesherrliche Reformationspolitik
(vgl. zuletzt Manfred Schulze, Fürsten und Reformation, Tübingen
1991) existiert hatte und die Städte für den Gesamtvorgang bedeutungslos
wären. Oder wenn es einerseits heißt, Braun vermeide die Bezeichnung
„Häresie" für die „flacianisch-lutherische (!) Kirche" (132, vgl. 297), andererseits
aber davon die Rede ist, daß sich Braun weder durch „Umfang, noch
Stärke und Dauer der Häresie (habe) entmutigen" (151) lassen und daß er es
für „nicht unmöglich" gehalten habe, die „Häresie" (ebd., vgl. 159) zu „
überwinden". Die Formulierung, die Reformatoren hätten die „Behauptung"
aufgestellt, „der Laienkelch sei heilsnotwendig" (121), trifft so bestenfalls
für Gestalten wie Karlstadt zu und die These, Brauns „Menschenbild sei
nicht semipelagianisch" (102) überzeugt nicht recht, wenn es dann doch
heißt, „daß Gnade Gottes und Wille des Menschen zusammenwirken müßten
" (109).

Teilweise endlich scheint R. der Gefahr nicht ganz entgangen zu sein, die
Bedeutung ihres „Helden" zu überschätzen. So etwa, wenn sie in einem nie
gedruckten, für Laien konzipierten (vgl. 101; 121; und dagegen 169), nur in
zwei Handschriften erhaltenen, unvollendeten Katechismus Brauns (vgl.
350f) „ein beredtes Zeugnis seiner Bedeutung für die katholische Reform"
(168) sieht oder wenn sie ohne einen erkennbaren Anhaltspunkt vermutet,
Brauns Bildeltraktat sei von „dem einen oder anderen der (tridentinischen)
Konzilsväter" (209) gelesen worden oder wenn sie den unter großem Werbeaufwand
des Cochläus 1549 zustande gekommenen einmaligen Druck
von vier lateinischen Schriften als „Publikationserfolg" (181) bezeichnet.
Auch die Tatsache, daß 156° der Restbestand einer ekklesiologischen
Schrift von 1559 mit neuem Titelblatt wieder verkauft werden sollte, *agt
wohl eher etwas über buchhändlerische Erwerbsstrategien und über die
publizistische Erfolgslosigkeit Brauns aus, als daß es die Vermutung rechtfertigte
, der neuerliche Verkaufsversuch ziele darauf ab, „Brauns ekklesiolo-
gische Ansätze wieder aufleben zu lassen" (.312). Obschon die Vfn. gelegentlich
selbst auf die Wirkungslosigkeit Brauns hinweist (vgl. z.B. 169;
199, 209; 211; 249; 276; 279; 287) wirkt das einschränkende Urteil, „Brauns
Bedeutung für die katholische Konfessionalisierung Deutschlands (sei) - bei
allem persönlichen Einsatz - begrenzt" (342) doch euphemistisch. Eine
rezeptionsgeschichtlich aufweisbare Bedeutung Brauns für den nachtridenti-
nischen Katholizismus konnte an keiner Stelle zweifelsfrei erwiesen werden.
Braun wäre dann über seinen Tod hinaus nicht nur „begrenzt" wirksam, sondern
annähernd wirkungslos gewesen! Vielleicht bestand seine größte Wirkung
in der von ihm hinterlassenen. höchst eindrücklichen und von R. akri-
bisch rekonstruierten und inhaltlich jedenfalls in Umrissen vorgestellten, ca.
1000 fast ausschließlich lateinische Titel umfassenden humanistischen
Gelehrtenbibliothek!

Göttingen Thomas Kaufmann

Dogmen- und Theologiegeschichte

Brandy, H;ins Christian: Die späte Christologie des Johannes
Brenz. Tübingen: Mohr 1991. XIV, 313 S. gr.8« = Beiträge
zur historischen Theologie, 80. Lw. DM 158,-. ISBN 3-16-
145793-5.

Die Brenzforschung begann vor ca. 30 Jahren mit der Edition
der Werke. Monographien und Aufsätze einen erfreulichen Aufschwung
zu nehmen. Aber immer noch bestehen erhebliche
Lücken, vor allem für die Zeit nach 1530. Des christologischen
Spätwerks von Brenz hat sich bisher vor allem Theodor Mahl-
mann angenommen. Nunmehr liegt zu diesem Thema eine bei
Jörg Baur in Göttingen entstandene Dissertation vor. In ihr wird
die von Mahlmann bei aller eingehenden Interpretation an Brenz
geübte Kritik, er ordne Gott der Kategorie der Notwendigkeit
unter, hinterfragt. Daß Brandy dennoch Mahlmanns bisher nicht
veröffentlichte Arbeiten für die Brenz-Edition benutzen durfte,
/engl von nobler Kooperation.

Die ausgebaute Christologie von Brenz zählt gewiß zu den
komplizierteren theologiegeschichtlichen Materien und hat
schon damit immer wieder Aversionen erregt. Vorwegnehmend
ist mit Respekt festzustellen, daß der Vf. sich seiner Aufgabe

historisch wie systematisch gewachsen zeigt. Dies gilt schon für
die souveräne und begründete Kritik an der bisherigen Forschung
(4-12) und dann weiter für die Absteckung des historisch
-theologischen Rahmens (Teil I), für die Beschreibung der
Position der Gegner von Brenz (Teil 2) und schließlich dessen
eigener Christologie, wie sie vor allem in den Schriften von
1561-1564 entwickelt worden ist (Teil 3). Durch eine überlegte
Gliederung in relativ kurze Abschnitte ist eine lesbare, nicht selten
sogar spannende Darstellung des Themas entstanden, was
bei diesem Stoff etwas heißen will. Es leuchtet allerdings nicht
ganz ein, daß an den vier späten christologischen Schriften
sofort (2) deren Schärfe besonders hervorgehoben wird.
Erstaunlich ist doch eher die dogmatische Subtilität, die Brenz
hier auf einmal an den Tag legt.

Zu begrüßen ist, daß der historisch-theologische Rahmen der
Christologie von Brenz sehr präzise, nicht selten sogar unter
Rückgriff auf die Archive, umrissen wird, was immer wieder
auch zu Korrekturen bisher vertretener Meinungen führt. Behandelt
werden der sog. zweite Abendmahlsstreit und das Vordringen
des Calvinismus, die Rolle Melanchthons und seiner späten
Christologie (das wird überaus luzid vorgeführt) und schließlich
Brenz selbst samt der Lehrentwicklung in Württemberg, sodann
sein Konllikt mit Bullinger und Vermigli, dem ein weiterer mit
den Wittenbergern zur Seite ging. Über ein wichtiges, aber verwickeltes
Kapitel der neuerdings wieder stärker interessierenden
Spätreformation erhält man hier präzise Informationen. Gut ausgeleuchtet
sind damit die Gebiete der Religionspolitik und die
damit zusammenhängende Entwicklung der Theologie. Vielleicht
hätte man in diesem Zusammenhang auch noch nach der
zugrundeliegenden Frömmigkeit fragen können. Immerhin
kommt der Schluß des Buches darauf zu sprechen.

Schon der erste Teil bietet also weit mehr als lediglich eine
Monographie über Brenz. Der 2. Teil (70-113) stellt zunächst
die Positionen von Brenzens Gegnern Petrus Martyr Vermigli
und Heinrich Bullinger dar. Damit wird auch ein Beitrag zur
Reformierten Theologiegeschichte geleistet, indem z.B. die
Unterschiede zwischen Bullinger und dem weit differenzierteren
Vermigli herausgearbeitet werden. Zusammenfassend wird
(1131.) einmal das Axiom der Immutabilität Gottes und der
unveränderlichen Lokalität des Menschen, sodann die Einbindung
der Christologie in die Prädestinations- und Gotteslehre
hervorgehoben. Nach dem Urteil des Vf.s hat die erste Vorgabe
die intensivere Fassung der Person Christi unmöglich, die zweite
sie unnötig gemacht, da eigentlich nur die soteriologische und
eschatologische Funktion Christi von Interesse war. Die Redaktion
wird einleuchtend auf humanistischen Einfluß zurückgeführt
, der auch bei Melanchthon bestand.

Die Position des späten Brenz wird sinnvollerweise nicht
chronologisch dargestellt; das hätte zu ungenießbaren Wiederholungen
geführt. Gegebenenfalls wird man auf Nuancierungen
oder Modifikationen aufmerksam gemacht. Zunächst einmal
wird in diesem 3. Teil die ursprüngliche Funktion der Christologie
für die Absicherung der Abendmahlslehre (Realpräsenz)
erörtert (vgl. die Zusammenfassung 131f.). „Die besondere Zueignung
des schon immer gegenwärtigen Christus, die exklusiv
durch das Wort geschieht..., ist die Spitze der Verbindung von
Christologie und Abendmahl bei Brenz" (131). Die „Prolegome-
na der Christologie" führen geschickt vor, womit, und dann, wie
Brenz argumentiert: Schrift, Tradition, die aber auch kritisierbar
ist, sowie Philosophie, die in den Dienst der Theologie genommen
wird. Z.B. hat Brenz die Formel „finitum capax infiniti" nie
wörtlich und auch nicht als sinngemäßes Axiom gebraucht. Die
weitere Darstellung greift auf diese Elemente von Brenzens
Argumentation immer wieder zurück.

In drei zentralen Abschnitten wird dann Brenzens Konzeption
der Person Christi vorgeführt und erörtert. Während Mahlmann
die Personeinheit stark herausgestellt hat, legt der Vf. plausibel