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Ausgabe:

1993

Spalte:

404-406

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schlarb, Egbert

Titel/Untertitel:

Die gesunde Lehre 1993

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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403

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 5

404

8,10. Beide Texte belegen aus der Sicht des Vfs., daß der
getaufte Christ noch nicht vom todverfallenen Leib des Ichs
befreit ist. Der sterbliche Leib als eigenständige Person steht
der Sünde grundsätzlich weiterhin zur Verfügung. Deshalb muß
die Klage in Rom 7,24 auf die zukünftige Erlösung bei der
Parusie Christi, nicht aber auf die überwundene vorchristliche
Existenz bezogen werden. Auch Rom 8,2 besage lediglich, „daß
der Christ zwar schon von dem Gesetz der Sünde und des Todes
frei ist, aber noch nicht von dem todverfallenen Leib" (150). In
Rom 7,14-25 werde nicht der Mensch sub lege, sondern der
Christ sub gratia geschildert. Der Vf. setzt sich mit den Einzelargumenten
Kümmels intensiv auseinander und formuliert als
These, daß auch der Christ nach Rom 6,12; 8,10 die Kraft der
Begierde bzw. Sünde in sich spüre. „Insofern bekommt der
Christ tatsächlich den Fluch des Gebotes ,Du sollst nicht begehren
' und den Zwang des Sündigens am eigenen Leib zu spüren.
Trotz der neuen eschatologischen Situation hat er Grund genug
zu einer Klage wie in 7,14-25, weil die von der Thora verlangte
Frömmigkeit mit der Forderung lupenreiner Motive unerreichbar
ist" (162). Schildert Rom 7,14-25 die Situation des Christen
, so läßt sich auch dieser Text in die negative Anthropologie
des Apostels integrieren.

Der Vf. wendet sich dann der Frage zu, ob in der paulini-
schen und der jüdischen Religionsstruktur die Errettung jeweils
aus Gnade geschehe. Im Judentum werde der Eintritt in den
Bund durch den freien Willen erworben bzw. erneuert, das Heil
erfordere somit menschliche Mithilfe, es beruhe nicht per se auf
Gottes Gnade. Demgegenüber beruhe bei Paulus das .Hineingelangen
' in das Heil allein auf dem Wirken Gottes. Auch beim
Verbleiben im Heil konstatiert der Vf. einen grundlegenden
Unterschied zwischen Paulus und dem Judentum seiner Zeit.
Zwar gerate die Heilsbasis der Erwählung und des Bundes im
Judentum zu keiner Zeit ins Wanken, dennoch sei der Gesetzesgehorsam
conditio sine qua non für das Heil. „In der Tat erwirbt
der Jude seinen Platz in der zukünftigen Welt" (198). Bei Paulus
hingegen gehen die Werke des Geistes letztlich auf Gottes
Initiative zurück. „Die guten Werke des Christen haben ihren
Ursprung in Christi Tätigkeit, die des Juden dagegen in der
menschlichen Kraft" (204). Als Resultat wird festgehalten: Die
jüdische Religionsstruktur zeigt Merkmale eines synergetischen
Denkens, die paulinische Theologie hingegen ist durch ein
monoergistisches Denken gekennzeichnet. Der Vf. sucht diese
These durch die Analyse weiterer Texte (Gal, Rom 3,27; 4,25;
9,30-10,3; Phil 3,3-9) zu erhärten und formuliert als Schlußfolgerung
: „Paulus kritisiert am Judentum nicht nur den Unglauben
, sondern auch das Sich-Rühmen der Selbstgerechtigkeit.
Die Ablehnung des Evangeliums und das Festhalten am Legalismus
sind zwei Seiten derselben Medaille" (263). Nicht nur
die exklusive Christologie, sondern auch die Anthropologie
trennen Kirche und Synagoge.

Die vorliegende Arbeit überzeugt in weiten Bereichen in der
Auseinandersetzung mit E. P. Sanders, dessen Darstellung der
jüdischen und paulinischen Religionsstruktur einem Schematismus
verfällt, den er selbst anderen Exegeten vorwirft. Die Auslegung
von Rom 7,14-25 und die Kritik an W. G. Kümmel halte
ich hingegen für verfehlt. Der dem Tod verfallene Leib des
Christen bleibt in der Tat Angriffsfläche der Sünde, der Christ
lebt aber unter der Führung des Geistes und nicht mehr unter
der Macht der Sünde oder des Gesetzes (vgl. Gal 5,18). Der Vf.
ignoriert die grundlegende Bedeutung der Taufe als Ort des
Existenzwandels (Rom 6,3-5 wird nicht behandelt!); er will
logisch aufschlüsseln, was sich nur dialektisch in eschatologi-
scher Perspektive verstehen läßt. Positiv ist schließlich hervorzuheben
, daß der Vf. Probleme des christlich-jüdischen Dialogs
aufgreift, die mancherorts bereits tabuisiert werden. Der judenchristliche
Heidenmissionar Paulus unterscheidet sich bei aller
Verbundenheit mit seinem Volk nicht nur in der Christologie,

sondern auch in der Anthropologie, Soteriologie (und Pneuma-
tologie) in wesentlichen Punkten vom Judentum seiner Zeit.
/Mierdings wird man daraus keinen prinzipiellen Gegensatz
konstruieren müssen, wie es der Vf. über weite Strecken tut.

Halle (Saale) Udo Schnelle

Schiarb, Egbert: Die gesunde Lehre. Häresie und Wahrheit im
Spiegel der Pastoralbriefe. Marburg: El wert 1990. 387 S.
gr.8° = Marburger theologische Studien, 28. Kart. DM 48,-.
ISBN 3-7708-0932-7.

Nach dem allmählichen Abklingen der obsolet gewordenen
Echtheitsdebatte wurde die wissenschaftliche Diskussion der
Pastoralbriefe in den letzten Jahrzehnten weitgehend von den
Themen „Ämter und Sukzession", „Frühkatholizismus" und
..pseudepigraphische Verarbeitung der Paulustradition'' beherrscht
. Die Frage nach dem inhaltlichen Verständnis von Lehre
wurde hingegen kaum gestellt, obwohl das betonte Reden von
didaskein, didaskalia und didache eine der hervorstechendsten
Eigentümlichkeiten dieses Briefcorpus ist. Allzuschnell gab man
sich mit der Auskunft zufrieden, hier gehe es lediglich um eine
für die Verbürgerlichungsphase des Christentums bzw. den
„Frühkatholizismus'' (was immer das auch sei) charakteristische
Verengung auf die ethisch-moralische Instruktion. Indem die
Marburger Dissertation von Egbert Schiarb nun auf das Gewicht
und den Facettenreichtum des Themas „Lehre" in den Pastoral-
briefen verweist, schließt sie auf alle Fälle eine Lücke.

Schiarb will - hierin besteht seine zentrale These - die Äußerungen
der Past zum Thema „Lehre" aus der Frontstellung
gegenüber einer die paulinischen Gemeinden von innen her bedrohenden
Irrlehre deuten. Die Voraussetzungen dafür gewinnt
er in Teil I seiner Untersuchung: „Ort und Anlaß der Pastoralbriefe
". Dieser setzt mit Erwägungen über deren historischen
Ort ein. Der Lokalbezug „Ephesus" der beiden Timotheusbriefe
wird hier zu Recht beim Wort genommen: das Zentrum paulini-
scher Mission in Kleinasien steht repräsentativ für das ganze
paulinisch geprägte Kirchengebiet. Es fällt nicht schwer, Indizien
dafür zusammenzutragen, daß die paulinischen Gemeinden
in der Zeit um die Wende zum 2. Jh. durch Krisen und häretische
Bewegungen der verschiedensten Art gefährdet waren.
Anhaltspunkte dafür bieten vor allem die Korintherkorrespon-
denz mit ihren Hinweisen auf Parteiungen (IKor l,10ff) und
auf ein erstarkendes Pneumatikertum, ferner Apg 18-20, Kolosser
- und Epheserbrief, die Sendschreiben der Johannesoffenbarung
und die Ignatianen. Für Kreta, den Bezugsort des
Titusbriefs, sind entsprechende Nachweise schwieriger, aber
immerhin gibt es Nachrichten des Bischofs Dionys von Korinth
aus dem 2. Jh. (Euseb, KG IV 23,5ff), die den für Ephesus erhobenen
Befund zu bestätigen scheinen.

Nun kommt es freilich entscheidend darauf an, ob der Nachweis
gelingt, daß die Past bei ihrer Irrlehrerpolemik tatsächlich
gegen eine ganz konkrete häretische Gefährdung Front machen.
Eben dies wurde ja in der neueren Forschung weithin mit dem
Hinweis darauf bestritten, daß die Polemik im wesentlichen traditionelle
Muster aufnehme und darum rein topisch sei (so vor
allem J. Karris, JBL 92, 1973, 549-564). Dem will Schiarb mit
einem sprachlichen Nachweis begegnen: die gleiche Begrifflichkeit
, wie sie für die polemischen Abschnitte kennzeichnend ist,
bestimme auch sonst die Argumentation des Vf.s: „Immer wieder
werden aus diesen Stücken Verben, Substantive etc. aufgenommen
und prägnant in die paränetischen Weisungen sowie in die
Haus- und Pflichtentafcln eingefügt, so daß eine markante Abstimmung
im Wortlaut von Pro und Contra sichtbar wird." (66)

Daran mag Richtiges sein. Trotzdem ist der Schluß, „daß
bestimmte Wendungen oder Weisungen an Personen und Grup-