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Ausgabe:

1993

Spalte:

401-402

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klauck, Hans-Josef

Titel/Untertitel:

Gemeinde zwischen Haus und Stadt 1993

Rezensent:

Schweizer, Eduard

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Seite 1

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401

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 5

402

rität des Aspektes des Erbarmens, der Liebe und der Treue Gottes
innerhalb dieser Vielfalt, ohne daß dadurch der Aspekt der
Gehorsam fordernden Autorität ausgeblendet wird. „Anders als
die Göttlichkeit Gottes oder das Herr- und Herrschersein Gottes
garantiert die Vaterschaft Gottes die Kontinuität einer grundsätzlich
positiven, heilvollen Beziehung zwischen Gott und
Mensch, vor allem zwischen Gott und Israel, auch dann, wenn
der Mensch nicht den Willen Gottes tut und nicht gehorsam ist."
(378)

A. Strotmann hat mit ihrer Dissertation einen schönen Beleg
für die Fruchtbarkeit gründlicher exegetischer Beschäftigung
mit der Literatur des Frühjudentums erbracht. Man wünschte
sich, daß der Ertrag ihrer Arbeit in einer weitere Kreise ansprechenden
Form zugänglich gemacht würde (allerdings möglichst
nicht unter dem nichtssagenden Haupttitel)!

Cambridge Karl-Wilhelm Niebuhr

Neues Testament

Klauck, Hans-Josef: Gemeinde zwischen Haus und Stadt.

Kirche bei Paulus. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1992. 128 S.
8o. geb. DM 22,80. ISBN 3-451-22620-0.

Man spürt es dem Buch an, daß der Vf. vor Seelsorgern und
Gemeindegliedern und mit ihnen zusammen um das gerungen
hat, was lebendige Gemeinde heute sein müßte. Die Wahl der
Schlüsselworte „Haus" und „Stadt" ist ausgesprochen glücklich.
Sie ermöglicht neue Zugänge (1. Kap. 11-44). Der Lebensraum
der ersten Gemeinde war das Haus, in dem sie zusammenkam
und von dem aus die Botschaft weiterlief, und dieses Haus stand
in einer Stadt (13). Paulus gründete nämlich überall Zentren,
von denen aus das Evangelium sich verbreiten konnte (14f.).
Hilfreich ist die Beschreibung der antiken Stadt (Korinth z.B.
mit etwa 100000 Einwohnern und seinem Markt, um den herum
sich die Tempel gruppieren). „Eingang" in eine Stadt gewährte
die gastliche Aufnahme in ein „Haus", von dem dann der Weg
meist in die Synagoge führte (22f.), Im Haus versammelte sich
auch die werdende Gemeinde (100-200 Mitglieder in Korinth?);
dabei bezeichnet „Haus" auch die Großfamilie (25-27: Apg
1<S.3.7; Rom 16,23). Das erste Beispiel eines nur für Gemeinde-
Zwecke verwendeten Hauses ist für uns Dura-Europos um 250
n.Chr. mit ca. 70 Plätzen und weiteren Bänken im Hof (29f.).
Neben der Autorität des „Hausherrn" (des Bischofs) war noch
längere Zeit hindurch die charismatische Beteiligung aller, auch
der Frauen wesentlich (311.). Als „Verein" verstand sich die
Gemeinde nie (32-34), sondern als „Gottes Aufgebot" (35f.),
das sich nicht in ein „himmlisches" Ghetto einschließen ließ
(37-44).

Das zweite Kap. (45-69) bespricht den „Autbau der Gemeinde
nach IKor 3,5-17 (Konkurrenz); 8-10 („Erbauung" auf die
Gemeinde bezogen); 14 (Kommunikalion und Ordnung, wo
auch ich das Verbot des Redens der Frau wegen des Widerspruchs
zu 1 l,4f. als Glosse ansehe, die teils nach 14,33a, teils
"ach 14,40 eingefügt wurde). Kap. III behandelt den Aufbau
unter dem Gesichtspunkt der Teamarbeit (70-94), die paarweise
Sendung bei Jesus (70-74), und in der urchristlichen Mission
(74-79), die Mehrzahl der Leiter der Ortsgemeinde (80-83), die
Charismen bei Paulus, zu denen „normale", festgeordnete Dien*
s|l' gehören wie die, eher zurückhaltend bejahten, „enthusiastischen
" Gaben (83-92). Daher wäre auch in heutigen Gemeinden
w°hl „eine ungeahnte Fülle von vorhandenen Charismen" zu
entdecken (92-94).

Eine neue Anregung wird in Kap. IV (95-123) dem johannei-
schen Schrifttum (3Jo 12; Jo 15,15: 95-104), Lukas (12,4: 105-

107) und Paulus (Gal 4,12-20; 6,2 parallel zu antiker Feundes-
ethik: 108-113) entnommen: Gemeinde als Gemeinschaft von
„Freunden" (traditioneller: von „Geschwistern"). Das könnte
tatsächlich der heutigen Gemeinde neue Impulse vermitteln,
neue Strukturen zu finden und dabei auch hochstehende humane
Werte zu übernehmen (114-123). Nur wäre dabei zu bedenken,
daß das traditionelle Bild von Brüdern und Schwestern deutlicher
impliziert, daß Gott uns in Christus zu seinen Kindern
gemacht hat und die Geschwisterlichkeit darauf beruht, während
der Freundeskreis eher die umschließt, die ich mir als Freunde
wähle, weil sie mir sympathisch sind, und daß die Freundschalt
aufhört, wo das nicht mehr der Fall ist. Dennoch: wir brauchen
heute dringend neue Impulse, und die kann dieses Büchlein, das
auch von Nichttheologen leicht gelesen werden kann, geben.

Zürich Eduard Schweizer

Laato, Timo: Paulus und das Judentum. Anthropologische
Erwägungen. Äbo: Äbo Akademis Förlag 1991. XV, 341 S.
8«.

Diese Dissertation ist über weite Strecken eine Auseinandersetzung
mit der Paulusinterprelation E. P. Sanders', zugleich
versteht sie sich als ein Beitrag zur Neubelebung des christlichjüdischen
Dialogs. Als Einleitung dient eine Forschungsübersicht
(6-37), die sich (leider) der Sicht E. P. Sanders' anschließt:
Hier die deutsch-protestantische Negativlinie von F. Weber über
W. Bousset und P. Billerbeck bis hin zu R. Bultmann, dort die
angelsächsiche Linie von G. F. Moore bis hin zu E. P. Sanders.
Eine eingängige, wissenschaftlich aber kaum haltbare Schematisierung1
!

Der Vf. formuliert dann im Anschluß an die Darstellung des
methodischen Ansatzes Sanders' seine eigene Ausgangsfrage:
Was befähigt den Menschen, in eine Beziehung zu Gott zu treten
und in dieser zu verbleiben? Diese grundlegende anthropologische
Frage werde bei Sanders weder in seiner Darstellung der
jüdischen Religionsstruktur noch in seiner Skizze des paulini-
schen Denkens hinreichend bedacht und beantwortet. Als Ausgangspunkt
zur Beantwortung seiner Zentralfrage dient dem Vf.
das Problem der Willensfreiheit. Er referiert die bekannten jüdischen
Texte und kommt zu dem Ergebnis, „daß die Willensfreiheit
im Bereich der Soteriologie unter den Juden von Sirach bis
hin zum babylonischen Talmud opinio communis war" (91). Die
Qumrangemeinde als Ausnahme von dieser Regel wird ausdrücklich
erwähnt, nicht hingegen Sir 33,11-15 und PsSal 5,4,
die auch eine Vorherbestimmung des Menschen durch Gott voraussetzen
. Das Nein zur Willensfreiheit als zentrales Element
einer (pessimistischen) Anthropologie unterscheidet Paulus
nach Meinung des Vfs. grundlegend von den vorherrschenden
Strömungen im antiken Judentum. Ist Paulus aber in seiner pessimistischen
Anthropologie konsequent? Dieser Frage geht der
Vf. in Analysen von Rom 2; 5,12 und 7,7-13 nach; er gelangt
(vornehmlich in der Auseinandersetzung mit H. Räisänen) zu
dem Ergebnis, daß die paulinische Argumentation in sich jeweils
konsistent sei und der Apostel den Rahmen einer pessimistischen
Anthropologie nicht verlasse.

Wie aber läßt sich die Wende von Rom 7,14-25 zu Rom 8,1-
1 1 in eine durchgehend pessimistische Anthropologie einordnen
? Hierauf versucht der Vf. mit einer Neuinterpretation von
Rom 7,14-25 zu antworten. Ausgangspunkt seiner Kritik an der
grundlegenden Auslegung W. G. Kümmels sind Rom 6,12 und

1 Die Bedeutung von W. Bousset für die ntl. Wissenschaft scheint mir
Uberhaupt noch nicht hinreichend erfaßt zu sein; zu R. Bultmann vgl. jetzt
Karolina De Valerio, Altes Testament und Judentum im Frühwerk Rudolf
Bultmanns, Diss. theol., Erlangen 1992.