Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1993

Spalte:

399-401

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Strotmann, Angelika

Titel/Untertitel:

"Mein Vater bist du!" 1993

Rezensent:

Niebuhr, Karl-Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

399

Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 5

400

jüdischen Vorstellungen von Tod und Auferstehung wird noch
hinter das Alte Testament zurückgegriffen, bis zum Alten
Ägypten und zum Alten Orient.

Das Urteil auch in umstrittenen Fragen ist besonnen und gut
abgewogen, so etwa bei der Einordnung der Sekte von Qumran
in den weiteren Rahmen des Essenismus oder bei der Ableitung
der Gnosis als Produkt von gegen die Tora aufbegehrenden
Kreisen des hellenistischen Judentums. Die Perikope vom Eintritt
der vier Rabbinen ins Paradies (T Chag 11,3-4; j. Chag 11,1
(77b); Chag 14b-15b) wird, obwohl abweichende Meinungen
vorgetragen worden sind (u.a. J. Maier und P. Schäfer), m.E. zu
Recht auf esoterische Spekulationen zurückgeführt, die das Ziel
hatten, bereits im „irdischen Leben jene visio beatifica zu
haben, die als Gabe für die gerechten Auferstandenen erwartet
wurde" (180).•

Stimmt hier und in vielen anderen Punkten der Rez. dem Vf.
zu, so gibt es doch einige Stellen, wo die Meinungen sich nicht
decken; manche Differenz mag freilich nur darauf zurückzuführen
sein, daß der Vf. im Interesse allgemeiner Verständlichkeit
Vereinfachungen vorgenommen hat. So ist ein ger m.E. in
altisraelitischer Zeit noch nicht - sowie später - grundsätzlich
ein Nichtisraelit; es handelt sich vielmehr um jemanden, der,
aus welchen Gründen immer, auf die Gastfreundschaft von
nicht zu seiner Sippe gehörenden Leuten angewiesen ist (zu
125). Der Brauch, im Türrahmen eine Mezuza, deren Inhalt das
Schma-Jisrael-Gebet ist, anzubringen (zu 142), ist m.E. nicht
direkt aus der Erinnerung an das Bestreichen der Türrahmen
mit dem Blut des Osterlammes (Ex 17,2) entwickelt worden.
König Joschija (zu 280) mochte wohl beabsichtigt haben, das
Reich bis zum Umfang des Salomonischen Reiches auszudehnen
; gelungen ist es ihm aber nur im Ansatz.

Auf hervorragende Weise bewährt sich das Bemühen um allgemeine
Verständlichkeit bei so vielschichtigen und komplizierten
Erscheinungen wie der mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophie
, dem Chassidismus und der Kabbala: Nur
wenn man, wie der Vf. es getan hat, die Hauptlinien zieht und
zu deuten sucht, läßt sich auch für den, dem dies alles noch
fremd ist, ein Einstieg in diese reiche Gedankenwelt gewinnen.

Dem Vf. ist zu danken, daß er einen so weiten Stoff in verständlicher
und einprägsamer Weise zusammenfassend bearbeitet
hat.

Berlin Ludwig Wächter

Strotmann, Angelika: „Mein Vater bist du!" (Sir 51,10). Zur

Bedeutung der Vaterschaft Gottes in kanonischen und nichtkanonischen
frühjüdischen Schriften. Frankfurt/M.: Knecht
1991. XV, 408 S. gr.8° = Frankfurter theologische Studien,
39. ISBN 3-7820-0625-9.

Angelika Strotmann hat mit ihrer Dissertation (Philosophisch
-Theologische Hochschule St. Georgen in Frankfurt/M.,
1990) eine echte Lücke in der Forschung aufgespürt und - das
sei vorweggenommen - durch eine gründliche Untersuchung
weitgehend aufgefüllt. Es überrascht in der Tat, daß „die Vaterschaft
Gottes in frühjüdischen Schriften bis heute nie Gegenstand
einer selbständigen, detaillierten und von ntl. Interesse
zunächst unabhängigen Forschungsarbeit gewesen" ist (3). St.
führt das auf die Instrumentalisierung der Vaterschaft Gottes
durch die ntl. Forschung zurück, mit der sie sich einleitend auseinandersetzt
(3-19). Hauptkritikpunkt ist die Reduzierung und
Fixierung der Fragestellung auf die sprachliche Form der
Vateranrede im individuellen Gebet und die aus diesem Ansatz
resultierende alternative Abhebung der Gottesanrede Jesu vom
atl. und jüdischen Sprachgebrauch. Demgegenüber bestimmt
sie als Ziel ihrer Untersuchung, „die Gottesprädikation Vater in

den relevanten frühjüdischen Texten jeweils vom Kontext her
sorgf ältig auf ihren Inhalt hin zu analysieren und auf diese Weise
einen Überblick über die Konnotationen zu erhalten, die zur
Zeit Jesu und zur Zeit der Entstehung des NT im Judentum
schwerpunktmäßig mit der Vaterschaft Gottes verbunden
waren" (19). Ihre Arbeit ist also selbst durchaus auf das Neue
Testament ausgerichtet, versucht aber, damit bisher oft verbundene
methodische Kurzschlüsse zu vermeiden.

Aus dem zu untersuchenden Textkorpus schließt die Vfn.
vorab sachlich begründet die rabbinische Literatur und - sachlich
kaum zu begründen, aber im Blick auf den Umfang des
Vorhabens verständlich - die Schriften Philos und des Josephus
aus. Im folgenden behandelt sie die Vaterschaft Gottes in den
Spätschriften des Alten Testaments (Tob, Sir, Weish: 24-142),
in apokalyptischer Literatur und Testamentenliteratur (ApEz,
TestXII, TestHiob, TestAbr: 143-226), in erzählender Literatur,
Gebeten und pseudepigraphen griechischen Dichterzitaten (Jub,
JosAs, VitAd, 3Makk, PsDiphilos/Menander, PsPythagoras,
Gebet Jakobs: 227-329) und in den nichtbiblischcn Qumran-
Schriften (4Q 502,39, 4QShirb [= 4Q 511 ] 127, 4QDibHama [=
4Q 504| ULI, 1QH 9,35f: 330-359). Einleitend setzt sie sich
jeweils kompetent mit den häufig schwierigen und kontrovers
beurteilten Einleitungsfragen auseinander. Der Besprechung
der Einzelbelege für die Vaterbezeichnung Gottes sind ausführliche
Kontextanalysen vorangestellt. Auch der Strukturanalyse
kommt oft erhebliches Gewicht zu, ohne daß die inhaltlichen
Aspekte vernachlässigt werden. Die Analyse der Einzelstellen
zielt auf eine genaue Erhebung semantischer Aspekte der Vaterbezeichnung
Gottes in ihrem jeweiligen Kontext. In diesen
durchweg überaus gründlichen Erörterungen liegt der Hauptertrag
der Untersuchung. Immer wenn dies die frühjüdischen
Belege nahelegen, zieht die Vfn. atl. Stellen mit heran, aus denen
sich oft der Gehalt der frühjüdischen Aussagen überraschend
erschließt. Dabei urteilt sie durchaus differenziert über
den jeweiligen Grad der Verwandschaft (lediglich die Interpretation
von TestLev 17,2 von IChr 28,2-9 her scheint mir überzogen
), erweist aber insgesamt die vielfältig prägende Kraft
biblischer Sprache und biblischer Gotteserfahrung im Frühjudentum
.

Im Ergebnis ihrer Einzeluntersuchungen benennt St. eine lange
Reihe von Konnotationen der Vaterbezeichnung Gottes im
Frühjudentum: Erziehung, Erbarmen, Vergebung, Treue, Verläßlichkeit
, Fürsorge, Verantwortung, Liebe, Güte, Freude, Zuwendung
, Nähe, Schutz, Hilfe, Rettung, machtvolles Eingreifen
zugunsten der Menschen, absolute Schöpfermacht, Anteilgabe
an Gottes Macht, Herrlichkeit und Erkenntnis (360). Das Gebet
bzw. der Gebetsruf ist dabei die am häufigsten begegnende Gattung
, Adressaten sind Israel bzw. einzelne Israeliten, einzelne in
Not geratene Menschen aber auch alle Geschöpfe bzw. die
ganze Schöpfung (363f). Die Vfn. versucht zu Recht nicht, diese
Vielfalt zu systematisieren, erkennt aber in dem Aspekt der
Treue die Grundeigenschaft des väterlichen Gottes (373). „Gott
ist seiner Verpflichtung zur Fürsorge und zur Erhaltung gegenüber
der Schöpfung treu. Er zeigt seine Treue in der Erziehung
seiner Kinder, besonders aber im Erbarmen für sie, wenn sie
sich gegen ihn verfehlt und sich von ihm abgekehrt haben. Auf
seine von Beginn des menschlichen Lebens atl lesistchende
Treue verläßt sich der einzelne Beter in Not und Bedrängnis,
aber auch für Israel ist die Anrufung Gottes als Vater besondere
Garantie dafür, daß Gott die Erwählung Israels zu seinem Volk
nicht vergißt oder gar rückgängig macht." (374) Damit ist der
Punkt benannt, von dem aus die o.g. Instrumentalisierung der
Vaterschaft Gottes in der ntl. Forschung zu überwinden ist:
Gegenüber der Polarisierung der Vaterschaft Gottes in den
Aspekt der Gehorsam fordernden Autorität einerseits und den
der Barmherzigkeit andererseits ist zunächst auf die Viellall der
frühjüdischen Aussagen zu verweisen, sodann aber auf die Prio-