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Ausgabe:

1993

Spalte:

396-397

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Horst, Pieter Willem van der

Titel/Untertitel:

Ancient Jewish epitaphs 1993

Rezensent:

Maier, Johann

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 5

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Aber was ist eigentlich „Hellenisierung"? Schon am Buchtitel
und wieder an den Kapitelüberschriften wird deutlich, daß
Hengel dem Leser klarmachen will: gerade dies läßt sich nicht
genau definieren. Die Anführungszeichen bleiben bis in den
Schlußabschnitt hinein (53-56) unerläutert stehen. Gerade aber
an der Überschrift dieses letzten Kapitels (6: The Consequen-
ces: Palestinian Judaism as 'Hellenistic' Judaism, 53) kann ich
meinen Haupteinwand verdeutlichen: Ist denn „hellenisiertes
Judäa" und „Hellenistisches Judentum" einfach dasselbe? Muß
man nicht unterscheiden zwischen einem Judentum, dem „Hellenisierung
" so oder so - passiv, ungewollt, abgelehnt oder auch
bejaht - widerfährt, und einem Judentum, das durch seine (vor
allem in der Diaspora gewonnenen) Erfahrungen dahin gebracht
wurde, die Auseinander- und Zusammensetzung mit der hellenistischen
Kultur und Bildung zu wollen und aktiv zu vollziehen
? Nur diesen Zweig würde ich „hellenistisches Judentum"
nennen wollen, aber gerade einer solchen Klärung geht H. aus
dem Wege, indem er von Philon und anderen Vertretern solchen
Judentums allenfalls am Rande redet (z.B. 29), womit er,
ganz gegen seine Absicht, dem geographischen Aspekt doch
wieder eine gewisse Bedeutung hinsichtlich der „Hellenisierung
" einräumt. Doch muß der gleiche Unterschied auch für
Jerusalem selbst zugestanden werden, u.zw. gerade in der Weise
, daß dort die „hellenistischen Juden" im engeren Sinne in
gewisser Weise Fremde im eigenen Mutterland sind, die sich
sogar in eigenen Synagogen versammeln - auch, aber gewiß
nicht nur aus Gründen der von ihnen bevorzugten Sprache (Ste-
phanus z.B. führt mit anderen, nichtchristlichen „Hellenisten" -
wie Lukas sie nennt - erregte Auseinandersetzungen, aber eben
offenbar gerade und nur mit ihnen: Apg 6,9; vgl. dann Paulus:
Apg 9,29). Die aus der Diaspora Heimgekehrten sind in Jerusalem
„Fremde" (so wie etwa Türken, die jahrzehntelang in
Deutschland gelebt haben, in ihrer Heimat kulturell als „Fremde
" empfunden werden, auch wenn sie treue Muslime geblieben
sind). Es geht um eine andere Art der „Hellenisierung" als etwa
bei der sadduzäischen Tempelpriester-Aristokratie. Die innere
Situation des spätantiken Judentums auch in Judäa ist tatsächlich
"complicated" (29) - mehr als es bei Hengel sichtbar wird.
Es ist eben kein Zufall, daß Philon in Alexandrien so dachte und
schrieb, wie er schrieb, und daß andererseits Josephus nach seinem
Selbstzeugnis erst nach langjährigem Aufenthalt in Rom
mit der griechischen Sprache so vertraut war, daß er ohne fremde
Hilfe mit ihr literarisch zurecht kam. Und es ist sicher auch
kein Zufall, daß wir zwar von Paulus wirklich wissen, daß er
das Griechische in einem eminenten Sinne beherrschte, nicht
aber von Jesus oder Petrus (trotz Hengeis Vermutungen 16f, 34
und 44 und trotz der Feststellung, daß Jesus und Paulus soziologisch
der gleichen oberen Mittelschicht angehört hätten: 56).
Wer den Beginn wirklicher „Hellenisierung" in der frühen Christenheit
(nach „Vorboten" wie Lukas, dem Auetor ad Hebraeos
oder Clemens von Rom) erst in das 2. Jh. setzt, verfällt offensichtlich
automatisch der Gefahr, an erster Stelle die großen
Gnostiker als wirkliche „Hellenisten" mit Namen zu nennen
und erst in zweiter Linie und pauschal auch die Apologeten zu
erwähnen (so H. 56). Vor der Fehlmeinung, echter Kontakt mit
hellenistischer Kultur mache aus Juden- oder Christentum mehr
oder weniger automatisch Gnosis, wäre der Leser besser geschützt
, wenn ihm die innere Differenzierung des Judentums
um die Zeitenwende (deren genaue Kenntnis für H. ja unzweifelhaft
ist) auch genauer vorgeführt worden wäre. Daß das dem
Urchristentum zeitgleiche Judentum in Diaspora und Heimat
ein "very complex phenomenon" war (28), wird dem Leser
nicht dadurch besser verständlich, daß es ihm unter dem bewußt
undeutlich gehaltenen Begriff der „Hellenisierung" (in Anführungszeichen
) vorgestellt wird.

Wir wünschen uns von der profunden Gelehrsamkeit M.
Hengeis dringend auch eine deutsche Ausgabe des „zweiten

Bandes" zu seinem „Judentum und Hellenismus" - möglichst in
der etwas breiteren Darstellungsweise des „ersten Bandes", also
ausführlicher als in der jetzt vorliegenden englischen „Kurzfassung
". Aber es wäre auch erwünscht, wenn in dieser deutschen
Fassung dann nicht nur anstelle alter, zu überwindender Einseitigkeiten
eine neue Einheitsdarstellung von der „Hellenisierung
" Judäas träte, sondern der Leser in die Lage gesetzt würde,
unter solchem allgemeinen Firnis auch die tatsächlichen geschichtlichen
Strukturen in der Berührung und Auseinandersetzung
„des" Judentums mit „dem" Hellenismus differenzierter
zu erfassen. Eine solche Darstellung wäre auch um einer christlich
-biblischen Theologie willen, die bestrebt ist, die echte Verwurzelung
auch der (späteren) „Heiden"-Kirche im Judentum
voll und sachgerecht zur Geltung zu bringen, von großer Bedeutung
.

Jena/Naumburg Nikolaus Walter

Horst, Pieter W. van der: Ancient Jewish Epitaphs. An intro-
duetory survey of a millennium of Jewish funcrary epigraphy
(300 BCE - 700 CE). Kampen: Kok Pharos Puhl. 1991. 179
S. 8° = Contributions to Biblical Exegesis and Theology, 2.

Die knappe, aber sehr gehaltvolle Studie stellt nicht nur eine
ausgezeichnete Einführung in diese Quellengattung dar, sie leitet
auch zur religionsgeschichtlichen Auswertung an, bietet S.
14ff. eine Auswahl mit Übersetzungen und Erklärungen. Abgesehen
von dieser einführenden Funktion kommt dem Buch aber
auch eine erhebliche forschungsgeschichtliche Bedeutung zu,
u.zw. auch für die Interessengebiete von Neutestamentlern und
Kirchengeschichtlern.

Die Einleitung behandelt u.a. die Probleme der Identifizierung
solcher Inschriften als jüdische, ihre Datierung und geographische
Streuung. Der Autor hat etwa tausend Stück ausgewertet
, vorwiegend griechische, aber auch lateinische und etliche
aramäisch-hebräischsprachige, und die sprachlichen Aspekte
werden Kap. II (22-39) für das Griechische recht detailliert
beschrieben. Schließlich ist auch auf den Überblick über die
Verwendung biblischer Passagen auf 37f. zu achten, die sich
allerdings auf zwei Standardverse beschränkte, Prov 10,7 und
(in dieser Periode nur selten) ISam 25,29. Äußerst präzis informiert
auch das Kap. III (40-60) über Formen, Formeln und
Motive bzw. über termini technici. Recht amüsant ist Kap. IV
(61-72) über Epitheta und Lobesformeln und deren Aussagewert
, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu paganen
Inschriften herausgestellt werden. Dabei kommen auch Selbstbezeichnungen
zur Sprache, die in mancherlei Hinsicht aufschlußreich
sind, z.B. 68ff. Joudatos, prosilytos, theosebis. Der
Autor setzt sich mit der Forderung von Solin nach Ausklammerung
der theosebeis/metuentes - Inschriften auseinander und
entscheidet sich (71) auf Grund der Inschrift von Aphrodisias
ebenfalls für die Klassifizierung als eine eigene, aber noch als
pagan zu wertende Gruppe.

Die in ca. 540 Inschriften enthaltenen Altersangaben, behandelt
im Kap. V (73-84), sind aus demographischer Sicht von
großem Interesse. Als Durchschnittslebensdauer erscheint für
Männer etwa 29, für Frauen - immerhin - 27 Jahre. Die Angaben
aus so gestreuten Fundorten sind freilich kaum repräsentativ
, dazu kommt, daß sie höhere soziale Kreise und auch da nur
Erwachsene, und da wieder vorwiegend Männer betreffen.
Regional - in Nordafrika - dominieren zudem wohl übertriebene
Angaben über hohes Alter. Funktionen und Berufe werden in
Kap. VI (85-101) behandelt, was auch einen Beitrag zur Geschichte
der Synagogen und ihrer Organisationsform darstellt.
Hervorgehoben sei dabei der Hinweis im Zusammenhang mit
dem Titel „Rabbi", daß das epigraphische Material nur eine