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Ausgabe: | 1993 |
Spalte: | 360-361 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Ethik |
Titel/Untertitel: | Soziales Denken in einer zerrissenen Welt 1993 |
Rezensent: | Wiebering, Joachim |
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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 4
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Freiheit" geschrieben, es handele sich dabei um einen Werkstattbericht
des Autors. Das war nicht pejorativ gemeint. Es
sollte der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Entwicklung der
Gedanken eine Fortsetzung finde. Was dort und zwischenzeitlich
in zahlreichen Zeitschriftenartikeln und Aufsatzsammlungen
von Huber zur theologischen und philosophisch-ethischen
Reflexion christlichen Friedensverständnisses vorliegt, findet
nun in diesem Gemeinschaftswerk eine systematisch überzeugende
und sprachlich gelungene Zusammenfassung.
Mit seinem Heidelberger Kollegen Hans-Richard Reuter hat
H. einen ebenbürtigen Ko-Autor gefunden. Auch Reuter kann
auf eine Anzahl einschlägiger Vorarbeiten - z.B. zur ethischtheologischen
Interpretation der matthäischen Makarismcn
(ZEE 1979) und der Feindesliebe (ZEE 1982) zurückgreifen.
Seine detaillierte Analyse ausgewählter kirchlicher Friedensdokumente
, die in diesem Buch vor allem zur Typologie des
kirchlichen Redens in der Friedensfrage beiträgt, hat er bereits
1986 im Rahmen der Friedensforschung der FEST vorgelegt.
Das Buch ist in drei große Kapitel gegliedert. Das erste ist
darstellend und behandelt „Modelle des Friedens in der Geschichte
" (27-131); das zweite ist analytisch und stellt unter der
Überschrift „Herausforderungen zum Frieden im Atomzeitalter
" Unterschiede und Gemeinsamkeiten kirchlicher Reaktionen
dar. (132-208) Das dritte redet von der „Verantwortung für die
Zukunft des Friedens", geht auf theologische Perspektiven und
ethische Grundlagen ein und versucht zugleich die konkreten
Arbeitsfelder für Frieden und Gerechtigkeit zu markieren (209-
352).
Lehrbücher haben es normalerweise an sich, schweißtreibende
Wirkung zu verbreiten. Doch dieses Lehrbuch lädt nicht zum
„Büffeln", sondern zum Nach- und Mitdenken ein. Die Autoren
sind von der oft beschwerlichen Gewohnheit abgerückt, die
Wissenschaftlichkeit ihres Werkes durch eine Unmenge von
Anmerkungen unter Beweis zu stellen. Jedes Zwischenkapitel
schließt mit einer ausgewählten Bibliographie zum behandelten
Stoff. Die wenigen wörtlichen Zitate, die im Text nur mit Autorenname
, evtl. Jahreszahl und Seitenangabe in Klammern belegt
sind, können anhand dieser Literaturangaben leicht verifiziert
werden.
Die Autoren versuchen, den Begriff des Friedens zu klären, indem
sie seine Implikationen in historischen Situationen und ideologischen
Konzeptionen aufspüren. Damit entgehen sie sowohl
einer idealistischen Eingrenzung und utopischen Entweltlichung
des Friedensthemas als auch einer unkritischen politischen Option
. Der Friedensbegriff wird eher pragmatisch an den Indikatoren
„Abbau von Not, Vermeidung von Gewalt, Verminderung
von Unfreiheit" (22 u.ö.) entfaltet. Wo sie auf die „Friedensverantwortung
der Kirchen" eingehen, geschieht das nicht deduktiv
belehrend, sondern analytisch aufklärend durch die sorgfällige
Exegese kirchlicher Texte. Hier wird auch der ökumenische Charakter
dieser Friedensethik am handgreiflichsten.
Die politischen Konkretionen haben durch die Auflösung des
Ost-West-Konflikts nichts an Aktualität eingebüßt, eher noch
mit dem Golfkrieg an Brisanz gewonnen. George Kennan, ehemaliger
US-Botschafter in Moskau, hatte schon vor langem entschieden
bestritten, daß das amerikanische „Feindbild Sowjetunion
" auf einer realistischen Einschätzung beruhe und die
Hochrüstung legitimieren könne (Zitat 317). Heute erleben wir,
wie rasch das Feindbild auf „neue Hitler" verlagert wird, um
den militärisch-industriellen Komplex weiter rechtfertigen zu
können. Das Konzept der „gemeinsamen Sicherheit" (31 lff)
bleibt weiterhin eine politische Option für den Abbau von Gewalt
. Die Verminderung von Unfreiheit setzt eine weltweite
Durchsetzung und Anerkennung der Menschenrechte voraus.
Solange jedoch der Abstand zwischen der Mehrheit der Armen
und der Minderheit der Reichen eher wächst als abnimmt, häuf!
sich ein Konfliktstoff an, der sich durch das Verschwinden der
sog. 2. Welt noch unmittelbarer äußert. Der Golfkrieg mit den
unermeßlichen ökologischen Folgeschäden gibt einen Vorgeschmack
dafür. Diese Problematik kommt in dem Buch etwas
zu kurz. Die Friedensethik wird sich in Zukunft noch intensiver
mit der wirtschaftlichen Machtausübung gegenüber Mensch
und Natur auseinandersetzen müssen.
Dieses ungewöhnliche Lehr- und Studienbuch ist auch ein
„Lesebuch". Die einzelnen Kapitel haben eine jeweils eigene
Gedankenführung und bereiten auch stilistisch ein Lesevergnügen
. Dies und die reichhaltige Information machen das Buch zu
einem Standardwerk für eine neue Generation auf der Suche
nach Frieden.
Neudietendorf Götz Planer-Friedrich
Kerber, Walter, u. Johannes Müller [Hg.]: Soziales Denken in
einer zerrissenen Welt. Anstöße der katholischen Soziallehre
in Europa. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1991. 232 S.
8« = Quaestiones Disputatae, 136. Kart. DM 38,-. ISBN 3-
451-02136-6.
Eine Gruppe von Sozialwisscnschaftlcrn des Jesuitenordens
hat diesen Sammclband verfaßt und zusammengestellt. Der
Ausgangspunkt ist die neue Weltsituation nach dem Zusammenbruch
des sozialistischen Wirtschaftssystems und das immer
stärkere Nord-Süd-Gefälle zwischen reichen und armen
Ländern. Äußerer Anlaß ist das einhundertjährige Jubiläum der
ersten päpstlichen Sozialenzyklika „Rerum novarum". Wenn
man weiß, wie stark die katholische Soziallehre jeweils durch
die entsprechenden Enzykliken stimuliert worden ist, läßt sich
denken, daß die Entwicklung der päpstlichen Enzykliken für die
katholische Soziallchre entscheidend ist. Einige der Beiträge
haben noch auf die neueste Enzyklika des Papstes „Centesimus
annus" eingehen können, die ebenfalls zu dem genannten Jubiläum
erschienen ist.
In einem ersten Teil werden aktuelle politische und soziale
Fragen aufgegriffen. In der Kürze der Beiträge läßt sich allerdings
kaum mehr als eine Problemanzeige bieten. „Die guten
Absichten und das Elend ihrer Verwirklichung" ist etwa ein
treffender Zwischentitel in O. Edenhofers Skizze über „Wachstumskrise
, Entwicklung und Umweltschutz" (23-35). Wie viele
andere Wissenschaftler plädiert H. Büchele für eine globale
Verantwortung und sieht sie am ehesten durch eine „Weltrepublik
frei verbündeter Staaten" gewährleistet (62-72). Kritischer
zur katholischen Tradition als andere äußert sich E. Lau, wenn
sie die mangelnde Aufmerksamkeit der katholischen Soziallehre
für die Berufsarbeit der Frau beklagt und auf die Probleme
alleinstehender Frauen mit Kindern hinweist (73- 83).
Im Beitrag „Menschenrechte und Kirche" von N. Bricskorn
wird der Wechsel von Ablehnung zur Zustimmung der katholischen
Kirche knapp und sachlich an den entsprechenden Passagen
der Enzykliken und Konzilspapicre referiert (93-104). Im
zweiten Teil stellt L. Kuczera „Erwartungen in der ehemaligen
DDR an die katholische Soziallehre" vor (107-117), doch es
kommt dabei eher zu einem Rückblick auf die Rolle der katholischen
Kirche vor und in der Wende von 1989/90 und zu einer
eindrücklichen Darstellung gegenwärtiger Ratlosigkeit. „Völlig
unerwartet begegnen wir im geeinten Deutschland einer Kirche,
die ungewohnt pragmatisch denkt und handelt, wobei das Rechnen
mit Kosten fester Bestandteil all ihrer Planung ist" (I 15).
„Nun erleben wir die Realität des Westens und erfahren, was es
kostet, so glanzvoll zu leben. Dieser Schritt vom Glanz in die
Realität verlangt von allen Altersgruppen eine mühsame Umstellung
" (116).
Über die Rolle der katholischen Kirche in Polen urteilt St.
Pyszka, daß sie als einzige in der Lage war, zwischen Regierung