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Ausgabe:

1993

Spalte:

346-348

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Maaser, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Theologische Ethik und politische Identität 1993

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 4

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Leimgruber, Stephan, u. Max Schoch |Hg.|: Gegen die Gottvergessenheit
. Schweizer Theologen im 19. und 20. Jahrhundert
. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1990. 688 S., 8 Taf.
gr.8°. Lw. DM 88,-. ISBN 3-451-21986-7.

Anläßlich des 700-jährigen Jubiläums der Schweiz, das 1991
gefeiert wurde, sollte auch der theologische Beitrag zur jüngeren
Geistesgeschichte dieses Landes gewürdigt werden: Dies
war das Vorhaben der Hgg. des umfangreichen Bandes. Er enthält
39 Beiträge über führende Schweizer Theologen (Theologinnen
gelangen noch kaum zur Darstellung) in ökumenischer
Ausgewogenheit: Protestantische, katholische und christkatholische
(altkatholische) Figuren erhalten den ihnen gebührenden
Anteil (in der Schweiz ist alles nach dem Proporzsystem geregelt
). Als „Schweizer Theologe" gilt - großzügig - wer in irgend
einer Weise mit der Schweiz zu tun hat, (sowohl Schweizer
, die im Ausland gewirkt haben, als auch Ausländer, die in
der Schweiz gewirkt haben). Die Anordnung ist nicht einfach
chronologisch: nach einem Abschnitt über Gestalten des 19.
Jh.s (A. Gügler. J. B. Leu, A. Vinet, A. Schweizer, A. E. Biedermann
und Ph. Schaff) kommen Theologen zur Sprache,
welche sich zu Beginn des Jh.s mit sozialen Fragen beschäftigt
haben (G. Fulliquet, V. Cathrein, A. Meyenberg, H. Kutter, L.
Ragaz). Es folgen Kurzbiographien von Exegeten (A. Schlauer,
O. Cullmann. E. Schweizer, H. Haag) und Systemati kern (nach
Konfessionen geordnet: O. Pfister, M. Werner, K. Barth, E.
Brunner, E. Thurneysen, F. Buri, A. Rieh, G. Ebeling; Ch.
Journet, H. U. von Balthasar, J. Feiner, M. Löhrer, F. Böckle.
H. Küng: E. Herzog. E. Michaud, A. Gilg). Unter der Überschrift
„Vielseitige Ökumene" gelangen ganz unterschiedlich
interessierte Gelehrte zur Darstellung (L. Vischer, nochmals O.
Cullmann - als einziger erhält er überraschenderweise eine
Doppelplazierung -, J.-L. Leuba, J.-J. von Allmen, O. Karrer,
W. Nigg), und schließlich erscheinen Theologen, die ihre Arbeit
„in weltweiten Horizonten" betrieben haben (Marga Büh-
rig, Else Kähler, W. Bühlmann, G. Cottier, R. Schutz und W.
Hollenweger). Ein „Ausblick in eine - hoffentlich - gute Zukunft
der Theologie in der Schweiz" von Kurt Koch rundet den
Band ab.

Die einzelnen Kurzbiographien sind von ganz unterschiedlichen
Gesichtspunkten her verfaßt und befassen sich mit Gestalten
von recht unterschiedlichem Gewicht. Manche von ihnen
sind fast völlig vergessen, andere haben eine bleibend theologiegeschichtliche
Bedeutung; so ergibt sich bei der Lektüre
trotz der Einleitungen zu den einzelnen Kapiteln kein einigermaßen
geschlossenes Bild schweizerischer Theologiegeschichte
- was nicht erstaunen sollte, denn so etwas wie eine „schweizerische
Theologiegeschichte" gibt es eben überhaupt nicht.
Gerade die einzelnen Darstellungen zeigen, in welchem Maße
die Schweizer Theologen Anteil haben an der protestantischen
bzw. katholischen, an der deutsch- bzw. französischsprachigen
Theologiegeschichte. Und so fragt man sich denn schließlich,
welchen Sinn die Ausgrenzung des „Schweizerischen" im Hinblick
auf Theologie überhaupt haben könnte.

Nun gibt es in der Schwei/, ohne Zweifel bestimmte Eigenheiten
kultureller Sonderentwieklung im Vergleich mit anderen
Regionen Europas. Hinzuweisen ist etwa auf die Vielsprachigkeit
; die nationale Identifikation (die allerdings stark auf regionalen
Identifikationen basiert) ist nicht durch eine gemeinsame
Sprache vermittelt. Sodann hat sich hier in den meisten protestantischen
Kantonen im 19. Jh. ein politischer Liberalismus
mit etatistischen, zuweilen fast totalitären Zügen durchgesetzt,
welcher dann auch in den Kirchen wirksam wurde - wogegen
der Katholizismus in eine konservative Minderheitsposition
gedrängt wurde (konservativer Protestantismus und liberaler
Katholizismus wurden je marginalisiert). Wie haben sich derartige
- und vergleichbare - kulturelle Eigenarten in der Theologie
niedergeschlagen? Eine "Relecture" der Beiträge mit solchen
Fragestellungen bringt nicht eben viel - von Ausnahmen
abgesehen: Interessant ist etwa R. Leuenbergers Darstellung
des Waadtländers Alexandre Vinet, welcher dem Anspruch des
radikalliberalen Staates gegenüber eine freie Kirche theologisch
begründet (aber durchaus nicht von einer lediglich konservativen
oder erwecklichen Position her). In der Regel jedoch
merkt man von solchen typisch schweizerischen Gegebenheiten
in den Theologenbiographien kaum etwas; und dies ist
wohl auch ein Spiegel der Realität. Die Vielsprachigkeit der
Schweiz hat nicht dazu geführt, daß es zu einer Vermittlung
zwischen deutsch- und französischsprachiger theologischer
Kultur gekommen wäre: Die Deutschschweizer leben in einer
deutschen Kulturprovinz, die Romands in einer französischen.
Die speziellen kirchlichen Verhältnisse haben sich kaum in der
Theologie niedergeschlagen - ein Reflex der Ausdifferenzierung
von Theologie als Wissenschaft. Schließlich ist auch die
ökumenische Entwicklung der jüngsten Zeit nichts spezifisch
Schweizerisches, sondern spiegelt eine globale Entwicklung
wider.

Diesen Beobachtungen entspricht der prospektive Schlußabschnitt
des Buches, in welchem Kurt Koch künftige theologische
Aufgaben im Rahmen einer „gemeinsamen europäischen
Theologie" beschreibt. Für die theologische Arbeit stehen nicht
nur ganz andere Themen im Vordergrund als Fragen von
„Volk" oder „Nation", sondern diese Größen, auch die Gegebenheiten
regionaler Kultur, sind sogar kaum mehr als Determinanten
theologischer Reflexion wahrnehmbar. Oder soziologisch
ausgedrückt: Politische Grenzen spielen - wenn sie nicht
nationalistisch aufgeladen sind - im Bereich der Religion so
wenig eine Rolle wie in anderen Subsystemen der Gesellschaft,
abgesehen eben von dem der Politik.

Zürich Fritz Stolz

Maaser, Wolfgang: Theologische Ethik und politische Identität
. Das Beispiel des Theologen Walter Künneth. Bochum:
SWI-Verlag 1990. 377 S. 8° = SWI...außer der Reihe, 5.
ISBN 3-925895-24-8.

Der gelehrte Aufwand, der dem Leser aus den Seiten dieses
Buches - einer Bochumer Dissertation von 1989/90 - entgegenschlägt
, ist groß, die Botschaft hingegen eher problematisch.
Sie lautet, der einstige Dozent an der Apologetischen Zentrale
in Berlin-Spandau (nicht Berlin-Dahlem, wie der Vf. irrtümlich
schreibt - 108), der Mitbegründer der „Jungreformalorischen
Bewegung", der Pfarrer, Dekan und nachmalige Ordinarius für
Systematische Theologie an der Universität Erlangen, sei eine
autoritäre, harmoniesüchtige, zu Sterotypien neigende Persönlichkeit
gewesen. Außerdem war er ein Nationalist, ein Antisemit
und Sozial-Militarist. Sein theologisches Werk entspreche
weithin der lebensweltlichen Prägung. Gewisse Wandlungen in
diesem Theologenprofil seien zu konzedieren. Um auch nur
den Anhauch des Eindrucks zu vermeiden, er wolle Künneth
verunglimpfen, versichert der Vf., die „personalethische" Dimension
des „Exempels" Künneth sei im Horizont seines Erkenntnisinteresses
mehr oder minder belanglos, ja berge die
Gefahr einer Verstellung der „analytischen Aufgabe" in sich
(289).

Bewaffnet mit den Instrumenten der politischen Kulturfor-
schung, der Sozialpsychologie, der Biographiehermeneutik und
der Wissenssoziologie macht der Vf. den Erlanger Theologen
zu einem wissenschaftlichen Präparat. „Am Leitfaden ausgewählter
Merkmale des autoritären Syndroms analysiere ich die
Autobiographie W. Künneths" (103). Ist das Vorgehen des Vf.s
ein Ausdruck seines Eifers, die demokratische, partizipative