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Ausgabe:

1993

Spalte:

343-344

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion 1993

Rezensent:

Sommer, Wolfgang

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 4

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desselben Vf.s. 1959 widerfährt ihm eine lebenswendende Begegnung
mit der „Dunklen Nacht" des Johannes vom Kreuz.
Ein Jahr später tritt er in die Gesellschaft Jesu ein. 1969 wird er
Doktorand bei Karl Rahner. Er entdeckt östliche Mystik - ihr
Echo in den USA macht es ihm dringlich, die Schätze christlicher
Mystik wieder aus der Vergessenheit zu heben. Um für
seine Vorlesungen nicht immer auf fremde Textsammlungen
angewiesen zu sein, stellt er die vorliegende Anthologie zusammen
.

55 Autoren werden mit einem biographischem Abriß und
knappen Auszügen aus ihren Werken vorgestellt, etwas über 10
Seiten bleiben für jeden verfügbar. Mit Origines, Augustinus,
dem Areopagiten beginnt die Reihe, sie schließt mit Gemma
Galgani, Elisabeth von der Dreifaltigkeit (tl906), Faustina Ko-
walska (t 1938), Teilhard, Thomas Merton, Henri Le Saux, Karl
Rahner. Jakob Boehme und andere Liebhaber der Alchemie
sind ausgenommen, ebenso Simone Weil und Dag Hammar-
skjöld, die zwar eine attraktive Spiritualität verkörpert hätten,
aber nicht christliche Mystiker im authentischen Sinn gewesen
seien. Eckhart, Merton, Teilhard, K. Rahner seien zwar auch
nicht Mystiker gewesen, aber doch mystische Theologen. Pas-
cals Memorial, des Franziskus Sonnengesang und Gebet, die
Haselnußvision der Juliane von Norwich sind aufgenommen
worden wegen des Gewichts dieser Texte.

Eine Einführung versucht, den Begriff „Mystik" zu klären. Er
wird abgesetzt von Irrationalismus, von Parapsychologie, von
der Pfingstbewegung. Der englische Philosoph Stace und die
„einflußreichen Theologen" K. Barth, E. Brunner, F. Heiler, A.
Ritsehl, N. Söderblom, E. Troeltsch und A. Harnack hätten
Mystik mißverstanden und zu Unrecht biblische, prophetische
Religion in einen Gegensatz zu östlicher, mystischer Religion
gesetzt, Mystik dabei als pagan oder als Erfahrung undifferenzierter
Einigung interpretiert. Daß die soeben genannte Reihe
von Theologen Protestanten waren, wird nicht erwähnt, die Anmerkungen
kennen keine konfessionellen Grenzen, die eigenen
Positionen werden unpolemisch vorgetragen. Authentisch
christliche Mystik, wie sie diese Anthologie vorführt, gründet
selbstverständlich in der Bibel. Patriarchen, Propheten, Psalmi-
sten machten ihre Erfahrungen mit Gott. Jesu „trinitarisches
Bewußtsein" könne ein mystisches Bewußtsein im höchsten
Sinne genannt werden. Dabei wird auf Mt 11,27 und auf das
Johannesevangelium verwiesen. Bei Paulus steht das „in Christus
" im Mittelpunkt.

Das Anliegen einer so umfangreichen und im einzelnen dann
doch so knappen Anthologie ist nicht abstrakt-theologisch. Es
möchte der Kirche helfen, die gegenwärtige Situation der Religion
zu bestehen. Es möchte dem Englischlesenden, der die
Tiefe und den Reichtum östlicher Religionen bestaunt, den
Reichtum, die Vielfalt christlichen Lebens mit Gott erschließen.
Das gelingt dem Autor. Dabei geht er nicht naiv vor, sondern ist
sich überall der Probleme und ihrer Diskussion bewußt. Ausgenommen
vielleicht des Grundproblems: Wie konnte es zur Vernachlässigung
dieses christlichen Erbes kommen?

Rostock Peter Heidrich

Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm: Betrachtungen über
die vornehmsten Wahrheiten der Religion. Ausgew. u. hg.
von W. E. Müller. Hannover: Luth. Verlagshaus 1991. 309 S.
u. 36 Faks. S. 8° = Niedersächs. Bibliothek Geistlicher Texte
, 2. DM 24,80. ISBN 3- 7859-0614-5.

Zugang zu einem Hauptwerk der deutschen Aufklärungstheologie
ist sehr zu begrüßen, da über die Aufklärung viel geredet,
aber ihre Texte kaum mehr außerhalb der Fachwelt wahrgenommen
werden.

Der Hg. Wolfgang Erich Müller, der 1984 eine Untersuchung
zur Theologie Jerusalems vorlegte, stellt in seiner Einleitung
die Hauptgedanken dieses praktischen Kirchenmannes im Zeitalter
der Neologie knapp heraus und führt in sein Leben und
seine Schriften ein. Die schwierige Aufgabe einer sinnvollen
Textauswahl ist m.E. gut gelöst, da exemplarische Texte J.s
vorgelegt werden, die diesen charakteristischen und doch eigengeprägten
Vertreter der Aufklärungstheologie interessierten
Lesern von heute bekannt machen können.

Die Auswahlausgabe beginnt mit Texten zu J.s philosophischer
Theologie, die die Hauptintentionen der natürlichen Theologie
der Aufklärung über die Existenz Gottes, seine Vollkommenheit
und Vorsehung, daß Problem des Bösen in der Welt,
vom zukünftigen Leben und über die Moralität des Menschen
gut erkennen lassen. Bei aller Vernünftigkeit dieser natürlichen
Religion hat doch die Offenbarung Gottes in J.s Religionsauffassung
einen festen Platz. Er sieht sie in verschiedenen Stufen
geschichtlich sich entfalten, womit er einen Zugang zur positiven
Würdigung des Alten Testamentes findet. Er kann das Alte
Testament sowohl als göttlichen Unterricht in der Religion wie
auch als Geschichte dieses Unterrichtes verstehen, womit die
Unvollkommenheiten in der Religionsauffassung als Akkommodation
an die Verstehensweisen der angesprochenen Menschen
verstanden werden können.

Das Bibelverständnis J.s kommt in dieser Auswahlausgabe
gut zum Ausdruck. J. kam ja in seiner Untersuchung des Pen-
tateuch zu dem Ergebnis der Verwendung früherer Quellen,
so daß er als erster Vertreter der sog. älteren Urkundenhypothese
in Deutschland gilt. Diesen wichtigen Aspekt bringt der Hg.
auf der Grundlage der Schrift J.s: „Briefe über die mosaischen
Schriften und Philosophie" (Braunschweig 1762). Die Auslegung
des Alten Testamentes durch J. wird an anschaulichen
Beispielen wie an der Geschichte von der Sintflut und vom
Sündenfall deutlich. Die allegorische Interpretation des Sündenfalls
führt zu einer Sündenauffassung als Unvollkommenheit
der menschlichen Natur, die durch Erziehung zur Religion
überwunden werden kann.

Die Christologie J.s ist erst postum im ersten Band seiner
Nachgelassenen Schriften 1792 erschienen. Aus diesem werden
Abschnitte abgedruckt, die die große Verehrung J.s gegenüber
Jesus zeigen und seine Auffassung von der höchsten Stufe der
Religion in der Religion Jesu. Durch Jesus können alle Menschen
Gott als Vater erkennen, in seiner Liebe zu Gott und den
Menschen zeigt sich die höchste Stufe der Religion. Die neute-
stamentliche Exegese J.s, die die Zwei-Naturen- und Trinitätsleh-
re aus apologetischen Gründen strikt ablehnt, wird in den Abschnitten
über die Hoheit und die Person des Erlösers gut erkennbar
.

Die Auswahlausgabe bringt als letzten Text den Fragment
gebliebenen „Entwurf einer Lebensgeschichte" J.s. Er stellt
einen nüchternen Bericht der Lebensumstände J.s bis zum Jahr
1771 dar. Auch wenn man über die persönlichen Verhältnisse
J.s nichts erfährt, so wird doch sein wichtigstes Amt als Hofprediger
und Prinzenerzieher am braunschweigischen Hof besonders
deutlich, das er, von der göttlichen Vorsehung bestimmt,
treu zu erfüllen versucht.

Auf die besonders interessanten Predigten J.s wird in der Einleitung
kurz hingewiesen. Schade ist m.E., daß bei dieser sinnvollen
Auswahlausgabe auf die Vorstellung einer Predigt J.s verzichtet
wurde.

Der zweite Band der neuen Reihe führt in eine völlig andere
Welt: in die Zeit der Aufklärung. Auch dieser neue handliche

Neuendettelsau

Wolfgang Sommer