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Ausgabe:

1993

Spalte:

334-335

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Tractatus de septem gradibus amoris et Tractatus de occultatione vitiorum sub specie virtutum 1993

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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333

Theologische Literatur/.eitung I 18. Jahrgang 1993 Nr. 4

334

Charakterisierung meinen Eindruck von den ersten Seiten der
.Introduction' (XI-XVI) zusammen. Seit in der Väterzeit die
Glaubenslehre mit der Philosophie in den Ring trat - sowohl in
Auseinandersetzung wie in Assimilierung - stellte sich die Frage
nach der Rolle der Theologie in einem übergreifenden Konzept
des menschlichen Stiebens nach Weisheit. Unter den Kirchenvätern
kann Augustinus als derjenige angesehen werden,
der hier den entscheidenden Schritt tat. indem er der Theologie
die Verteidigung, Entfaltung und Vertiefung der Glaubenser-
kenntnis zuwies. Mit dem Entstehen der europäischen Universitäten
kam ein neues Motiv hinzu, da nun neben der Theologie
auch profane Wissenschaften ihre Ansprüche anmeldeten: Jurisprudenz
, Medizin und vor allem die Philosophie. Parallel dazu
verlief eine andere Art der Entwicklung, das Einströmen profanen
Wissens durch das Bekanntwerden der antiken Philoso
phen und ihrer Vermittler, der arabischen Gelehrten. Diese Entwicklung
drängte die Theologie geradezu, ihren wissenschafts-
theoretischen Ort von neuem zu überdenken. In dieser Aufgabe
standen sich Thomas von Aquin und Heinrich von Gent als
Antipoden gegenüber. Ausgehend vom aristotelischen Wissenschaftsbegriff
ordnet der hl. Thomas die Theologie in einen
Gesamtbegriff von Wissenschaft ein. Heinrich sieht die Theologie
in einer Sonderstellung. Wie der Glaube zu seinem Vollzug
eines übernatürlichen Lichtes bedarf, so erfordert der Vollzug
der theologischen Reflexion eine sie begleitende und formierende
Erleuchtung. Für Heinrich ist dies wie ein methodisches
Prinzip. Ihm sind auch alle anderen Wissenschaften unterworfen
, sobald sie in den Dienst der theologischen Gotteserkenntnis
genommen werden. Mit dem sicheren Instinkt
eines großen Theologen vermeidet Heinrich aber ein Abgleiten
in einen Uluminationismus neuzeitlicher Prägung: Das Aufleuchten
des Göttlichen in den Dingen der Welt beruht nicht
auf einer naturhaften Eigenschaft der Gleichheit, sondern ist als
eine .Übertragung des Bildes'12 zu verstehen. Natürlich kennt
Heinrich den Unterschied zwischen Attributen, die in bildhaften
Bezcichnungsweisen auf Gott angewandt werden, wie ,leo',
.agnus", ,bos' und solchen, die einen inhaltlichen Bedeutungshinweis
auf Gott enthalten wie sapientia. virtus, pulchritudo.
essentia. Doch auch diese können Gott nur per similitudinem
zugelegt werden, weil sie vom Geschöpf her - von unserem
Sein her - genommen sind, wie es Dionysius ausdrückt.13

Heinrich verwendet für diesen Tatbestand den Begriff der
.translatio',14 der uns in der logica Modernorum bereits begegnet
. Daß dieser Begriff nicht allein auf die Symbolwörter anzuwenden
ist. sondern ebenso auf die eigentlichen Gottesprädika-
tionen, geht aus einer Bemerkung in Artikel XXXII Quaestio 4
hervor. Heinrich stellt dort ausdrücklich fest, daß der Schwer-

12 Vgl. Henricus de Gandavo, Summa, Art. XXXII, q.2, ed. Macken 39,
10-26: „Nee mirum quod propter huiusmotli similitudinem omnia Deo pos-
sunt atlribui. quia et propter eandem omnia quodam modo haben! esse in
ipso, quod patet per hoc quod esse et bene esse habent ab ipso, ul infra pate-
bii loquendo de divina perfectione. Unde dicit Dionysius... De divinis
nominibus (PG 3. 1819; in den Kommentaren vgl. die Nota zu diesem Text
in ed. Macken. a.O.): .In monade omnis numerus uniformitcr ante subsisiii
et habet numerum omnem monas in semetipse singulariter.' ...Ex quibus
post pauca concludit: .Deinde et omnio de Deo et simul praedicantur." Sed
hoc secundum similitudinis, ul dictum est. translationem, non autem secun
dum naturae proprietatem...". Vgl. jedoch den einschränkenden Gebrauch
von translative ebd. 37, 52-59.

13 Vgl. ebd. 43, 18-23.

" Zum Begriff der .translatio' hat uns L. M. De Rijk aus der Logica
Modernorum reiches Quellenmaterial geliefert, auf das ich hier nur hinweisen
kann. .Translatio' wurde in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht,
die von der Äquivokation eines Begriffes (bei wesensverschiedenen Dingen
: translatio aequivovationis) bis zur Anwendung auf gleichartige Objekte
, die sich in dialektischer Weise gegenüberstehen (translatio dialectica)
reichen. Vgl. L. M. DeRijk, Logica Modernorum. Vol. I: On the Twelfth
Century Theories of Fallacy. Assen 1952: Index verborum et rerum, 673:
translatio. Iranspositio. transsumplio.

punkt seiner Ausführungen auf diesen Prädikationen liegt.''
Heinrich zeigt bei aller Stringenz und Genauigkeit im Umgang
mit den theologischen Attributen und Prädikationen eine gnoseologische
Zurückhaltung, sicher auch unter dem Einfluß der
apophatisehen Theologie des Ps.Dionysius, der von ihm häufig
zitiert wird. Ein Zeugnis für diese Zurückhaltung möchte ich
auch in der Verwendung des (später kusanischen) Begriffes
.konjizieren' sehen, der in Art. XXXII, Quaestio 1 mehrmals
vorkommt, sogar in der Wendung: „Wir konjizieren etwas in
Gott von den Kreaturen ausgehend."16 Dabei besteht kein Zweifel
, daß die gesamte Argumentation in diesen vier Artikeln
XXXI bis XXXIV der Summa nach den strengen Regeln des aristotelischen
Organon durchgeführt wird, wobei andererseits
deren Gebrauch im theologischen Bereich einen Bedeutungswandel
gleichsam von innen her bewirkt. Es ist schon erstaunlich
, wie stark die Argumentation in diesen vier Artikeln unter
Heranziehung der aristotelischen Kategorienlehre, der Spraehlo-
gik, der Signifikationstechnik durchgeführt wird, also von Überlegungen
, die mehr den modus loquendi betreffen als die Theo-
Ontologie der Sache selbst. Doch wird da-durch in keiner Weise
die Sachproblcmatik von der Technik der Ausdrucksweise überwuchert
: diese behält stets ihre dienende Rolle.

Auf einer anderen Ebene begegnen wir einer gleichwertigen
Ausgeglichenheit, auf die ich am Schluß dieser Rezension besonders
hinweisen möchte. Die Editoren und Fachgelehrten,
die das Werk der Edition der Opera Omnia des Heinrieh von
Gent tragen, begnügen sich nicht mit der Vorlage eines revi-
dierten, kritischen Textes, bei dem in subtilster Weise jedes
einzelne Wort überlegt wird.17 Sie machen den Leser auch mit
der Geschichte der Textüberlieferung einschließlich den ersten
beiden Drucken bekannt, die zwar mit Recht nicht im textkritischen
Apparat berücksichtigt werden, deren Foliierung aber in
margine jeweils in dem edierten Text vermerkt wird. Dies ist
eine große Hilfe für den Forscher, der frühere Arbeiten über
Heinrich von Gent einbeziehen möchte, in denen unser Magister
nach den beiden ersten Drucken (Badius und Scarpina -
vgl. Etüde critique S. CXXXf) zitiert wird. Man kann den Editoren
und Mitarbeitern zu ihrem Werk nur gratulieren und die
Vollendung in absehbarer Zeit wünschen. Erwerb und Studium
des Werkes zu empfehlen ist überflüssig, da die mediävistische
Forschung, insbesondere die geistigen Freunde des Heinrich
von Gent, bereits darauf warten.

Erfurt Fritz Hoffmann

15 Vgl. Summa, Art. XXXII, q4, „Solutio" (ed. Macken 57. 32-42):
..Quaestionem istam de significato attributorum divinorum sub nominibus
impositis creaturis, a quibus assumuntUf et transferuntur ad Deum. possu-
mus intelligere generaliter, et de illis attributis quae attribuuntur Deo per
quandam similitudinem, et de illis. quae attribuuntur eidem per proprietatem
... Pondus ergo huius quaestionis totaliter vertitur circa ea. quae attrib-
untur Deo per proprietatem."

16 Vgl. Summa, Art. XXXII. q.l (ed. Macken 31, 66 u. 77; 32, 89;
33,16-26.

'7 Als Beispiel verweise ich auf die Entscheidung für .actor' statt .auc-
tor' entgegen der Variante in vier von fünf Handschriften. Vgl. Summa.
Art. XXXI. q. I (ed. Macken, 9, 64).

Zumkeller, Adolar: Henrici de Frimaris O.S.A. Tractatus
Ascetico-Mystici. Tomus II complectens: Tractatum de Septem
gradibus amoris et tractatum de occultatione vitiorum
sub specie virtutum. Rom: Augustinianum 1992. 164 S.
gr.8° = Corpus Scriptorum Augustinianorum. III.

Mit dem vorliegenden Band setzt A. Zumkeller die Edition
der Schriften des Erfurter Augustiners Heinrich von Friemar
d.Ä. (gest. 1340) fort (vgl. ThLZ 102, 1977, 114t").