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Ausgabe:

1993

Spalte:

303-305

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Naumann, Thomas

Titel/Untertitel:

Hoseas Erben 1993

Rezensent:

Nissinen, Martti

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303

Theologische Literaturzeitung 1 IX. Jahrgang 1993 Nr. 4

304

Naumann, Thomas: Hoseas Erben. Strukturen der Nachinterpretation
im Buch Hosea. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer
1991. 198 S. gr.8° = Beiträge zur Wissenschaft vom
Alten und Neuen Testament, 131. Kart. DM 69,-. ISBN 3-17-
011579-0.

In seiner Hallenser Dissertation, deren Überarb. Fassung der
vorliegende Band ist, stellt sich Thomas Naumann (jetzt Bern)
das Ziel, innerhalb von Hos 4-14 „die später zugewachsenen
Texte als gezielte Nachinterpretationen schriftlich vorliegender
Spruchkompositionen hoseanischer Worte zu würdigen und
nach Inhalt und interpretatorischer Funktion genauer zu erfassen
, als es bisher geschehen ist" (10). Dabei will er „das theologische
Gewicht der Stimmen stärken, die anonym und im Hintergrund
maßgeblich" an der Endgestalt des Textes beteiligt
waren (16). Das Bestreben Naumanns, die zur „Unechtheit"
verdammten Texte zu ihrem Recht zu bringen, ist als lobenswert
anzusehen. Nach allem, was sich bisher über den verwickelten
Werdeprozeß der Prophetenbücher herausgestellt hat,
ist diese Aufgabe absolut notwendig, u.zw. ganz ungeachtet der
Tatsache, daß die Arbeit von Naumann immer wieder zu kritischem
Nachdenken Anlaß gibt.

Von der Einleitung (9-17) und dem Ausblick (184f.) abgesehen
besteht die Arbeit aus zwei Hauptteilen. Im analytischen
Hauptteil (18-154) wird ein Überblick über den gesamten Text
der Kap. 4-14 gegeben, wobei die folgenden Stücke als Nachinterpretationen
erkannt werden: 4,3.5aß.l5; 5.5bß; 6,1 la,b; 7,10;
8,lb.l4; 9,4b; 11,10; 12,lb.6; 14,2-4a.b.l0 nebst kleinen Eingriffen
in 9,10; 10,11 und 12,3. Diesen Texten kommt eine gesonderte
Behandlung zu. In diesem Zusammenhang wird das
auslegerische Anliegen der nichthoseanischen Texte sowie ihre
jeweilige Beziehung zum vorliegenden Kontext untersucht. Im
synthetischen Hauptteil (155- 183) werden sodann die herausgearbeiteten
Nachinterpretationen jeweils in ihrem theologischchronologischen
Kontext betrachtet. Hier leidet die Arbeit gewissermaßen
durch die schmale Textbasis, wie der Vf. auch
selbst einräumt (16f.). Aber gerade deswegen gilt es zu fragen,
ob die interpretatorische Nacharbeit im Hoseabuch doch nicht
wesentlich breiter ist, als Naumann hat sehen können oder wollen
.

Daß die Arbeit von Naumann den Untersuchungen von Jörg
Jeremias zum Hoseabuch entscheidende Einsichten verdankt,
wird in der Einleitung explizite festgestellt (14). Dies gilt besonders
für die schon in der Aufgabenstellung implizite Auffassung
von der Entstehung des Buches als einer Komposition hoseanischer
Worte, die von dem Schülerkreis des Propheten
schon früh fixiert und in späteren Zeiten nur sporadisch ergänzt
wurde. Auch die Liste der Nachinterpretationen in Hos 4-14
weicht bei Naumann nicht wesentlich von der bei Jeremias ab.

Die relativ kleine Anzahl von Nachinterpretationen gilt für
Naumann als Bestätigung der Meinung der neueren Hoseafor-
schung, daß der Hoseatext „erstaunlich wenig bearbeitet wurde"
(155). Hier fragt es sich aber, ob die methodischen Voraussetzungen
der Arbeit überhaupt eine andere Lösung erlaubt hätten.
Das Bild von dem Propheten Hosea als einem „der theologischen
Väter des Alten Testaments", d.h. als dem Vorgänger von
Dtn, Jer, DtJes usw., steht von Anfang an fest (11 u.ö.). Dies
macht es geradezu unmöglich, eventuelle Elemente späterer
Theologie im Hoseabuch unvoreingenommen zu würdigen, was
zur Folge hat, daß bestimmte Probleme bezüglich der theologiegeschichtlichen
Einordnung der Texte völlig aus dem Horizont
entschwinden. In dieser Hinsicht ist die Arbeit Naumanns kaum
weniger „enttäuschungsfest" als die von G. A. Yee, der eine
konträre Argumentationslinie mit diesem Wort vorgeworfen
wird (13f.). Ferner wird bei der Identifizierung späterer Interpretation
oft nicht recht klar, wie die Aussonderung bestimmter
Stücke sich methodisch rechtfertigt. Zumeist arbeitet Naumann

mit theologisch-inhaltlichen Indizien, wobei die herkömmliche
hoseanische BegrilTlichkeit eine große Rolle spielt, während die
formalen Kriterien (poetische Struktur usw.) stark zurücktreten.
Die somit gebotenen methodischen Probleme seien nun anhand
einiger Beispiele veranschaulicht.

1. Bei der Behandlung von 8,1-13 (63ff.) macht Naumann
eine Reihe von wertvollen Beobachtungen, denen er allerdings
nicht auf den Grund gehl. Nachdem Naumann die Auftrittsskizzenthese
von Wolff mit Recht abgelehnt hat, nimmt er ohne
Argument die Kompositionstheorie von Jeremias auf. Dabei
wird nicht einmal die Möglichkeit erwogen, daß 8,1-13 das
Resultat eines längeren Fortschreibungsvorgangs sein könnte,
obwohl die von ihm richtig erkannten Stichwortverbindungen
und der Gebrauch der Partikel kT sowie die wiederholten Sprünge
von einem Thema zum anderen und die ständige Abwechslung
der poetischen Form eine derartige Entstehung in der Tat
sehr plausibel machen.

2. Die Sekundarität von 8,1b als deuteronomistische (dtr.)
Nachinterpretation wird von Naumann mit Recht festgestellt
(65- 69). Von hier aus erhebt sich nun die Frage nach weiteren
Zeugnissen einer dtr. Redaktion im Hoseabuch, die jedoch
abschlägig beantwortet wird (179). Wenn aber 8,1b mit guten
Gründen als dtr. gilt, so wäre die Frage doch auch an vielen
anderen Stellen mit einem ebenso charakteristischen Vokabular
zu erheben - denken wir z.B. an 4,4-10 (m's, Skh, czb mit </'/,
twrh, yhwh als Objekt), 6,4-7 (hsd, d'i, cbr bryt), 1 l,5b.7 (Süb)
oder 13,4 (Dekalogprolog in poetischer Formulierung). Die genannten
Stellen verwenden zwar ausgesprochen „hoseanische"
Terminologie, aber dies sollte nicht mehr automatisch bedeuten,
daß sie von dem Propheten stammen. Daß „bei aller geistigen
Verwandtschaft auch die Unterschiede von hoseanischer und
dtr. Phraseologie deutlich werden" (179, Anm. 1), erklärt sich
einfach aus der von Naumann selbst betonten Kontextbezogenheit
der Nachinterpretationen und kann deshalb nicht als Beweis
für „Echtheit" gelten. In Fällen dieser Art führt die Annahme
einer hoseanischen Begrifflichkeit leicht zu Zirkelschlüssen.

3. Mit Naumann ist der Vers 4,15 (34-41.169f.) als sekundär
gegenüber seinem Kontext, aber gegen Naumann doch als abhängig
von Am 5,5 und 8,14 anzusehen. Daß die Differenz
dabei größer sein mag als die Gemeinsamkeit ist eher zu erwarten
, handelt es sich doch nicht um eine Abschrift der Amostex
te, sondern um deren Interpretation. Demgegenüber ist die vermeintliche
Abhängigkeit des jungen Jeremia von dieser Stelle
keineswegs bewiesen und dürfte nicht entscheidend zur Datierung
beitragen. Auch die Erwähnung von Gilgal und Betel ist
kein zwingendes Indiz für die Frühdatierung, denn die Namen
stammen aus Am und werden hier eher ideologisch als geographisch
gebraucht. Ist die eigentliche Aussage von 4,15 nicht
doch diese: „Nicht an beliebigen Stellen darf man bei Jahwe
schwören, sondern..."? Könnte die Kullzentralisalionsidce noch
stilvoller zum Ausdruck kommen, selbst ohne die Erwähnung
von Jerusalem? Damit kommen wir wieder einmal zu einer
Datierung in die dtr. Epoche.

Soviel zur Kritik, in deren Schatten die positiven Seiten der
Arbeit Thomas Naumanns, von denen es natürlich auch viele
gibt, geblieben sind. So gelingt es ihm. an vielen Stellen die
Dynamik und Technik der Nachinterpretation zu zeigen, wobei
er zu dem einleuchtenden Ergebnis kommt, daß in der Wechselbeziehung
von Tradition und Situation die Situation klar dominiert
(185). Daß die mündlich verkündeten Worte in dem heutigen
literarischen Kontext nur noch eine dienende Funktion ausüben
(156) und daß die biblische Prophetie wegen ihrer schriftlichen
Nachgeschichte einen Sonderfall unter anderen prophetischen
Zeugnissen im Alten Orient darstellt (160f.), hat Naumann
richtig gesehen. Zudem sind Naumanns Überlegungen
über die Verschriftung der Prophetenworte und die Wanderung
nordisraelitischer Traditionen nach .Inda (160ff.) erwägenswert