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Ausgabe:

1993

Spalte:

287-288

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hempel, Johannes

Titel/Untertitel:

Über Kirche, über uns 1993

Rezensent:

Kruse, Martin

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Seite 1

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287

Theologische Lileraturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 4

288

Subjekt des eigenen Tuns werden und das Allgemeine Priester-
tum praktizieren.

Im letzten Beitrag untersucht Wilhelm Grcib den Funktionswandel
im Pfarrerberuf: „Der Pfarrer als Musterprotestant.
Zum Wandel einer kirchlichen Funktionselite". „Musterprotestant
" kann der Pfarrer sein, indem er sich „authentisch zeigt,
also nicht perfekt, sondern fragmentarisch, ohne Identitätszwang
, als die Chance gelebter Rechtfertigung".

Das mit einem Personenregister versehene Buch zeichnet
sich dadurch aus, daß der Titel nicht nur als Motto dient, sondern
sämtliche Beiträge inhaltlich bestimmt. Trotzdem fällt es
nach der Lektüre schwer, zu erkennen, worin protestantische
Identität besteht. Dieses Ergebnis liegt durchaus in der Absicht
mancher Autoren. Unter praktisch-theologischem und ökumenischem
Aspekt kann es nicht befriedigen. Es fällt auf, daß die
psychologische Komponente, ohne die der Identitätsbegriff
abstrakt bleibt, kaum eine Rolle spielt. Der Gottesdienst wird
überwiegend kritisch apostrophiert, weil das Identitätsproblem
vorrangig von der gesellschaftlichen Funktion des Protestantismus
her reflektiert wird. Für protestantische Identität - horribile
dictu: in ihren reformierten und lutherischen Varianten! - ist
aber der Gottesdienst von konstitutiver Bedeutung. Nach dem
Willen der Hgg. soll der Band „dazu beitragen, das Gespräch
über die Präsenz des Protestantismus in unserer Gesellschaft
wieder zu intensivieren". Vielleicht führt das Gespräch dazu,
daß das Ja zur Pluralität sich mit deutlicheren Profilen protestantischer
Identität verbindet.

Gutenberg bei Halle/S. Eberhard Winkler

Hempel, Johannes: Über Kirche, über uns. Fragen und Antworten
eines Bischofs. Mit einem Vorwort und Zwischen-
texten von F. Stöcker. Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1992.
170 S. 80. Pp. DM 24,-. ISBN 3-374-01382-1.

Der Vf., seit 1972 Landesbischof der Ev.-Luth. Landeskirche
Sachsens, ist derzeit der dienstälteste unter den leitenden Geistlichen
in der EKD. Der Band beinhaltet sechs Vorträge, einen
Brief an Pfarrerinnen und Pfarrer, eine biblische Meditation,
fünf Predigten und eine Interpretation der Erzählung „Der alte
Mann und das Meer" von Ernest Hemingway. Es sind Zeitdokumente
geistlicher Reflexion und seelsorgerlicher Kirchenleitung
unter den Bedingungen der DDR zwischen 1972 und 1989.

Die Texte sind nicht „veraltet", sie haben ihren Lebensbezug
und ihre geistliche Aktualität und Dringlichkeit bewahrt. Der
Hg., lange Jahre Mitarbeiter der Pressestelle der Sächsischen
Landeskirche, hat nicht nur ein einführendes Vorwort geschrieben
, er konstruiert auch - wohl aus Sorge, der Kontext könne
dem Leser nicht deutlich sein - Situationen, die den Vorträgen
als Einstimmungen vorausgestellt sind. Der Stilbruch ist hart.
Doch gerade auf diese Weise tritt Hempels Verständnis von
Konkretion heraus.

Hempel will seine Hörer nicht von sich aus festlegen. Der
biblischen Wahrheit darf und kann sich der Prediger nicht bemächtigen
. Sie erschließt sich selbst, im sorgfältigen Hören,
Suchen, Fragen. Der Prediger ist Anwalt eines Dialogs. So
kommt die Wahrheit zum Zuge. Sie greift in alle Lebensbezüge
ein. In der Predigt zum 40. Jahrestag der Zerstörung Dresdens
am 13. Februar 1985 finden sich die bezeichnenden Sätze: „Nun
möchte ich von der Lage der Christen in unserem Land reden.
Ich bitte euch aber, bewahrt euch eure innere Freiheit des Urtei-
lens, und überlegt es euch selbst in Ruhe" (142).

Hempels Predigten und Vorträge sind aus der Erfahrung und
Überzeugung gestaltet, daß die Konkretion, das Leben, die

Wirklichkeit nicht erst durch den Prediger oder Lehrer hinzuge-
brachl wird, sie ist immer schon in der Sprachgestalt der Bibel
angelegt.

Hempel zeichnet ein außergewöhnliches Bemühen um sprachliche
Sorgfalt und Verständlichkeit aus. Das Elementare des
Glaubens soll ausgesprochen werden.

Die Interpretation der Erzählung von Hemingway ist an das
Ende des Bandes gestellt. Sie könnte dem Leser aber auch als
eine Einführung in das hermeneutische Bemühen Hempels dienen
.

Es ist schade, daß nicht auch ein Text aufgenommen wurde,
der Hempels engagiertes Mitwirken im Ökumenischen Rat der
Kirchen ausweist.

Berlin Martin Kruse

[Kiesow, Ernst Rüdiger:] Widersprechen und Widerstehen.

Theologische Existenz heute. Festschrift für Ernst Rüdiger
Kiesow zum 65. Geburtstag am 9. Januar 1991. Hg. von F.-
H. Beyer, H. Fritzsche, J. Langer. Rostock: Universität Rostock
. Theologisehe Fakultät 1991. 232 S„ I Porträt 8«.
ISBN 3-86009-080-1.

Ernst Rüdiger Kiesow hatte ein Vierteljahrhundert den praktisch
-theologischen Lehrstuhl der Universität Rostock inne und
übte von 1990 bis zu seiner Emeritierung das Amt des Prorektors
dieser Universität aus. Die ihm zum 65. Geburtstag überreichte
Festschrift enthielt 38 Beiträge, von denen 13 in-zwi-
schen an anderen Stellen gedruckt und daher in die hier anzuzeigende
Veröffentlichung nicht aufgenommen wurden.

Daß der etwas trotzig klingende Titel die Autoren nicht fest
legte, beweist Heinrich Rathke eingangs mit dem persönlich
gehaltenen Zuspruch: „Den Mut nicht sinken lassen". Hans-
Friedrich Weiß fragt, was Mk 12,17 zu einem „Ethos des Widerstandes
" beiträgt.

Es folgt ein homiletischer Teil: Joachim Scharfenberg, Predigt
über Off 5,1-14: f riedlich Wintzer, Predigt über Ml 5.3;
Manfred Josuttis, „Gesetz und Evangelium in der Sprache des
Mythos". „Das Evangelium, das in my-thischer Sprache von
einer Rettungstat Gottes für die vom Bö-sen gefangene, vom
Tod bedrohte Schöpfung erzählt, bildet in sich selbst und durch
sich selbst den grundlegenden Widerstand gegen alle Lebenszerstörung
". Henning Schröer möchte seine Gedanken über
„Anschauliche Predigt" als „dankbares Zeichen der Lerngemeinschaft
Praktischer Theologie über die Grenzen hinweg
verstanden wissen, für deren Überwindung Kiesow sich immer
eingesetzt hat. Gert Otto würdigt den Rhetoriker Walter Jens
als Redner.

Acht Beiträge beziehen sich auf die kirchliche und theologische
Situation in der DDR vor, in und nach der „Wende". Günther
Kehnscherper erinnert an seinen Einspruch 1959 gegen die
Jugendweihepraxis, die dem Prinzip der Trennung von Staat und
Kirche widersprach. Helmut Fritzsche zielt mit seinen „Notizen
" zu den geistigen Folgen der „Wende" darauf, daß Religion
die „Unverfügbarkeit von Wahrheit und Unverletzlichkeit
der Würde jedes Einzelnen anerkennt" und damit zu einer universalen
Kommunikationsgemeinschaft beitragen kann. I ran/
Georg Friemel berichtet über religiöse Unterweisung in der
DDR aus katholischer Sicht, während Eckart Schwerin und
Franz-Heinrich Beyer das Problem von Christenlehre und Religionsunterricht
auf dem Erfahrungshintergrund der evangelischen
Kirchen in der DDR erörtern, wobei Heyer den Aspekt
der Öffentlichkeit von Religion als Argument für den Religionsunterricht
zur Geltung bringt. Gottfried Kretzschmar, „Widerste-