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Ausgabe:

1993

Spalte:

258-259

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

O'Neill, John C.

Titel/Untertitel:

The Bible's authority 1993

Rezensent:

Kern, Udo

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 3

258

kommt, betrachtet der Vf. dessen Überlegungen zur Entwicklung
einer Individual- und Existentialethik, die, als Gegenpol zu
einer Ethik, die sich auf objektive und allgemeingültige Normen
konzentriert, die Gewissensentscheidung des Einzelnen betont.

Mit diesem Ertrag, wie er aus der Theologie R.s erhoben werden
kann und auch in der Linie des Denkansatzes „autonomer
Moral" liegt, insofern die „theonome Autonomie"dcs Menschen
hinsichtlich der „kategorialen" Inhalte des „Weltethos" damit
vereinbar und daraus begründbar bleibt, gibt sich der Vf. aber
nicht zufrieden. Seine Untersuchung ist unverkennbar von dem
Interesse gesteuert, aus dem zentralen Heilsereignis in Jesus
Christus über die vom transzendentalen Ansatz her erreichbaren
„formalen" Grundelemente hinaus auch ein „inhaltliches", ,.ka-
tegoriales" Proprium christlicher Ethik ableiten zu können. Deshalb
greift er durchgängig jene kritischen Stimmen zur Theologie
R.s auf, die auf alle möglichen Schwachen, Verkürzungen,
Einseitigkeiten, Unausgewogenheiten und Aporien hinweisen,
die sich vom transzendentalen Ansatz und dessen Ausarbeitung
durch R. her ergeben, und die alle auf die Feststellung hinauslaufen
, daß von daher das Kategorial-Geschichtliche und deshalb
auch das „Neue" des christlichen Heilsercignisses gar nicht
erfaßt werden könne. Diese Kritik macht sich der Vf. zu eigen
und thematisiert in einem eigenen Kapitel die „begriffliche Engführung
der transzendentalen Christologic" R.s (I 15-120). Von
daher fordert er die Ergänzung der transzendentalen Methode
durch die „objektiv-intentionale" (K. Demmer), bzw. die Erweiterung
oder strukturelle Veränderung des R.sehen Ansatzes (W.
Thüsing) und plädiert dementsprechend auch für eine Veränderung
des Ansatzes „autonomer Moral" (vgl. 160f, 200f).

Damit kommt die Problematik des ganzen Unternehmens in
den Blick. Sie ist vor allem darin begründet, daß der Vf. sich
den Zugang zur Theologie R.s weithin über die Sekundärliteratur
gebahnt hat (vgl. z.B. 18 Anm. 19, 88 Anm. 165) und dabei
mitunter zu schnell der Meinung war, „gesicherte" (13), „bewühl
le" (18 Anm. 19) oder „allgemein-anerkannte" (204) R.-Interpretationen
vor sich zu haben. Er fragt von der an R.s Theologie
vorgetragenen Kritik, auf die er stößt, nicht zurück, ob es
sich dabei um ein - selbstverständlich nicht nur mögliches, sondern
immer und unbedingt notwendiges - vertiefendes und bereicherndes
Weiter-Denken vom „Ansatz" R.s und dessen theologischen
Grundentscheidungen her handelt, oder ob sich darin
zeigt, daß dieser „Ansatz" gar nicht erfaßt worden ist oder bestritten
wird. Letzteres ist z.B. der Fall, wenn im Gegenüber zu
dem R.sehen Verständnis des Begriffspaars „kategorial-trans-
zcndental" eine fehlende „Vermittlung zwischen beiden Kategorien
(!), in der fehlenden dritten Dimension (!), dem Personalen
", festgestellt wird (57). Aber auch die „neue Verhältnisbestimmung
von Anthropologie und Christologie", wie sie der Vf.
von W. Kasper übernimmt (l()8f, 155), geht von einem ganz
anderen christologischen und trinitätstheologischen Grundverständnis
aus. als es das R.s ist. Und wenn der Vf. feststellt, R.
kenne keine „anthropologia crucis" (118) und es fielen in seiner
Christologie wichtige „kreuzestheologische" Strukturelemente
und Aspekte aus (99, 156, 203), so wäre doch zu fragen, um
welche Elemente es sich handelt und ob es nicht solche sind, die
R. sehr wohl kennt, aber eben nicht für richtig hält, und vor
allem: unter welchem Aspekt die vermißte „Kreuzestheologie"
eigentlich das „überbietet" , was der Vf. aus der Theologie R.s
über die Bedeutung von Kreuz und Kreuzeserfahrung erhebt
(vgl. 49, 61,90, 111, 174-178, 180-182).

Schließlich sei noch vermerkt, worin sich der Vf. und R.
schon von vornherein in ihrem Verständnis von christlicher
Ethik und katholischer Moraltheologie unterscheiden. Der Vf.
gehl davon aus. daß es „nur ein gültiges Ethos und eine wahre
Ethik" gibt, „nämlich jene, wie sie sich aufgrund des Christusereignisses
im Kontext des urchristlichen Glaubens und Lebens
entw ickelt haben", als „der definitive kategoriale Ausdruck des

transzendentalen göttlichen Anspruchs" (132f). Er ist offensichtlich
der Meinung, daß diese „neutestamentlich-christliche
Ethik" für die christlich Glaubenden - und letztlich nur für sie -
klar erkennbar ist und ihre konkrete Interpretation und Entwicklung
in der „Dynamik des Offenbarungsgeschehens" allein vom
Glauben her erfolgt (vgl. z.B. 198f). Er hat dabei aber gerade
das nicht mit im Blick, was er bei R. vermißt: die konkrete, geschichtliche
, „kategoriale" Wirklichkeit dieser Ethik, mit all
ihren geschichtlichen Bedingtheiten, „menschlichen" Vorüberzeugungen
, Mißverständnissen und Verblendungen, von denen
sie immer mitbestimmt ist, die Wirklichkeit christlicher und
katholischer Ethik mit jenen „Inhalten", die jahrhundertelang
festgehalten und tradiert wurden, den Menschen Lasten auferlegten
, und doch auf alles andere zurückzuführen sind als auf
das christliche Heilsereignis und den Willen Gottes, mit ihrer
Geschichte, in der oft genug andere als die Glaubenden sich als
die Exekutoren des Willens Gottes erwiesen haben, solche geschichtlichen
und menschlichen Bedingtheiten zu überwinden.
R. dagegen hat von seinem „Ansatz" her diese geschichtliche
Wirklichkeit christlicher Ethik, die dunkle Tragik kirchlicher
Geistesgeschichte gerade in dieser Hinsicht, nicht Ubersehen,
und er hat das in seinen Äußerungen zu moraltheologischen
Fragen so deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es eigentlich
nicht überhört werden kann.

Der Leser, der sich in dieser Studie untere Berufung auf die
Theologie R.s mit der Problematik des Denkansatzes „autonomer
Moral" konfrontiert sieht, wird also gut daran tun, jeweils
zu überlegen, ob „eine sorgfältige Auseinandersetzung mit diesem
bedeutenden theologischen Lehrer" (205) ihn zum Weiter-
Denken bewegt, oder ob er es mit Anfragen und Einwänden zu
tun hat, die von anderer Seite im heutigen theologischen und
kirchlichen Umfeld gegen diesen Ansatz erhoben werden.

Leipzig Siegfried Hühner

O'Neill, J. C: The Bible's Authority. A Portrait Gallery of
Thinkers from Lessing to Bultmann. Edinburgh: Clark 1991.
IX, 323 S. 80. Pb. £ 12.50.

J. C. O'Neill, "Professor of New Testament Language, Lite-
rature and Theology at New College, University of Edinburgh",
porträtiert in diesem Band einundzwanzig deutsche Denker: 1.
Lessing, 2, Michaelis, 3. Semler, 4. Kant, 5. Herder, 6. Eichhorn
, 7. Hegel, 8. Strauss, 9. F. C. Baur. 10. Weisse, 11. Ewald,
12. Bruno Bauer, 13. Kähler, 14. Overbeck, 15. Nietzsche, 16.
Wellhausen, 17. Harnack, 18. Gunkel, 19. Albert Schweitzer.
20. Barth und 21. Bultmann. Man ist ein wenig überrascht von
dieser Zusammenstellung. Was ist hier zu erwarten und intendiert
? Eine Theologiegeschichte ist nicht beabsichtigt. Was diese
Denker nach O'Neill verbindet, ist, daß für alle Genannten,
wenn auch in oft differenter Weise, die Frage nach der Autorität
der Bibel virulent ist. Der große Einfluß deutschen Denkens
auch auf die englischsprachige Kultur ergebe sich von diesem
für O'Neill gewissen Faktum. Der Triumph des deutschen Denkens
liege in der sehr unterschiedlichen, aber kontinuierlichen
Autorität der Bibel. (4) Das Verstehen der jüngeren Geschichte
sei von der Frage nach dem autoritativen Stellenwert der Bibel
her (die oft mit einer Vernachlässigung der Gottesfrage cinher-
gehe) möglich. Ungeachtet dessen, ob man O'Neills These teilt
oder nicht, vermißt man überzeugende Kriterien für gerade diese
Auswahl.

Anschaulich und lebendig porträtiert O'Neill seine Kandidaten
. So ist die Lektüre geradezu spannend. Das Interesse der Leser
wird von Seite zu Seite geweckt. Verhältnismäßig ausführlich
werden biographische Daten dargeboten. Allgemeingesellschaftliches
und häusliches Milieu werden ebenso angesprochen