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Ausgabe:

1993

Spalte:

254-255

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Emeis, Dieter

Titel/Untertitel:

Zwischen Ausverkauf und Rigorismus 1993

Rezensent:

Friemel, Franz Georg

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 3

254

w issenschaftliche Theologie auf das wissenschaftliche Wissen
beziehen. Die wissenschaftliche Theologie geht zwar über binnenkirchliche
Differenzen durch die Berücksichtigung der „Differenzen
zwischen christlichem und nichtchristlichem Lebensvollzug
" (49) hinaus. Aber als wissenschaftsorientierte Theologie
soll sie „unter Wahrung der Einheit von Wahrheit christliches
Glaubenswissen in Auseinandersetzung mit dem Wissen
der Zeit pointiert zur Geltung bringen" (51), so daß sie „die von
ihr unterstellte Einheit der Wahrheit im Blick auf Kontradiktion
und Konsistenz christlicher und nichtchristlicher Wahrheitsansprüche
zu erproben" (55) habe. Angesichts der im vorgegebenen
Gegenstandsbezug mitgesetzten „Universalität des christlichen
Wahrheitsanspruches" (57) werden Pluralität und Positionalität
durch geordnete Differenzierungen so ersetzt, daß die wissenschaftliche
Theologie „dem im christlichen Glauben selbst angelegten
Anspruch auf die Einheit der Wahrheit im Hinblick auf die
sich daraus ergebende Konsequenzen für die Einheitlichkeit des
Wissens gezielt" nachgehen könne (ebd.).

Obwohl der Vf. die im //. Teil (59-98) thematisierte Rationalität
der Theologie insbesondere durch die „Kombination von
Differenzen" (62) aufbauen will, läuft die von ihm favorisierte
Rationalität faktisch darauf hinaus, als Positivitäten genommene
theologische Standards (Schrift, Bekenntnis, Dogma) sekundär
mit an Differenzen (62) orientierten Argumentationsweisen zu
kombinieren. Dieser Kombination von Glaubenspositivitäten
und technisch-rationalen Verfahrensweisen liegt ein Verständnis
der Vernunft zugrunde, durch das diese als eine Verfahrensform
„Probleme durch diskursive Argumentation zu lösen und
doxastische Ansichten durch die Angabe von Gründen zu rechtfertigen
und zu begründen" (93 Anm. 37) habe. Die als lebens-
spraktische, ..kontextsensible und bereichsspezifische Verfah-
rensform" (15) gefaßte Rationalität wird also von der möglichen
Konstitution und Qualifikation von Gehalten zugunsten der
Aufgabe entlastet, Begründungsverfahren für immer schon gegebene
Glaubensansichten auszubilden. Für die interne Rationalität
der Theologie sei daher die „Kerndifferenz zwischen Glau-
bensansichten und den Gründen für oder gegen Glauhens-
ansichten" (71 f.) grundlegend. Diese auf rationalitätsgeleitete
Differenz abhebende Formulierung täuscht allerdings darüber
hinweg, daß der Vf. die „in der internen Perspektive des Glaubens
" benennbaren Gründe desselben auf den christologisch gelegten
„Grund des Glaubens" (78) reduziert, um diesen zum
Kriterium genuiner Theologie und der ihr entsprechenden Standards
zu erheben. Auf die drei Standards der Schrift, des Bekenntnisses
und des Dogmas sei folglich die „rationale (...) (argumentative
(...) Struktur theologischer Reflexion in der Binnenperspektive
des Glaubens" (82) zu basieren. Die für die
„Glaubensexplikation" der Theologie beanspruchte Rationalität
besteht somit darin, den Glauben an Gottes „Heilshandeln in
Jesus Christus auf der Grundlage der Glaubensartikulation der
christlichen Gemeinde" zu explizieren (83). Diese Art der auf
Gründen des Glaubens beruhenden Rationalität (64) fällt jedoch
zirkulär aus: Als Grund des Glaubens wird Christus aufgrund
des Glaubens geglaubt. Die auf Differenzen setzende Rationalität
(62) versagt folglich im Fall der Differenz von Glaube und
Glaubensgrund, da beide wie als gründend so zugleich als begründet
eingeführt werden. Diesem Zirkel glaubt der Vf. nur
dadurch entkommen zu können, daß er das allein in der Glaubensperspektive
als „eschatologischc(s) Ereignis" adäquat faßbare
„Handeln Gottes in Jeus Christus" (92) zum Rationalitätsstandard
der Theologie erklärt (98). Aufgrund der Zirkularität
von Glaube und Glaubensgrund würde dieser Rationalitätsstandard
dann freilich darin bestehen, Differenzen durch differenzlos
-indifferente Unmittelbarkeit zu ersetzen. Die vom Vf. propagierte
Rationalität kombinatorischer Verfahrensdifferenzen
scheint also nicht die adäquate Denkart zu sein, um den Grund
des Glaubens über, sei's tautologische, sei's formelhafte Versicherungen
hinaus vernünftig zu artikulieren. Das dürfte nur
dann gelingen, wenn die ontologisierend-sprachanalytische
Trennung zwischen subjektivitätsunabhängigen Gegebenheiten
(90) und an Differenzen orientierten Verfahrenstechniken zugunsten
eines gegenstandskonstituierenden Vernunftsverständnisses
überschritten würde.

Daß der Vf. jedoch der Trennung von Glaubenspositivität
und rationaler Verfahrenskunst treu bleibt, wird vollends im ///.
Teil (99-158) deutlich, in dem er dem Erkenntnisproblem unter
dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von heiligem Geist und
menschlicher Erkenntnis nachgeht. Die semiotisch und sprach-
anlytisch angelegte „Skizze einiger erkenntnistheoretischer
Grundprobleme" (125) enthält eine Reihe von Klassifizierungen
, die auf die im Anschluß an N. Luhmann formulierte
„Grunddifferenz zwischen Wahrnehmung und Kommunikation"
(120) hinauslaufen. Diese Grunddifferenz soll mit der pneuma-
tologischen Leitdifferenz zwischen menschlichem und heiligem
Geist so kombiniert werden, „daß ein Orientierungswissen in
Hinblick auf das dunkle Problemfeld von heiligem Geist und
menschlicher Erkenntnis erzielt wird" (158). Indem aber der Vf.
zur Erhellung dieses Problemfeldes auf den physikalischen
Feldbegriff rekurriert, um den Geist als „Vollzugsform" des tri-
nitarisch differenzierten und durch Gott selbst konstituierten
„Gott-Feldes" zu deuten, scheinen die schwierigen trinitarisch-
pneumatologischen Fragen statt erhellt zusätzlich verdunkelt zu
werden. Wie ist die vorstellungshafte Rede vom „Gott-Feld"
nicht nur mit der Rede von Gott als handelnder Person (79),
sondern überdies mit dem Rationalitätsverständnis des Vf.s zu
vereinbaren? Der Vf. zeichnet in der Vorstellung des Gott-Feldes
nur das in der theologischen Tradition übliche subordinatia-
nisch-asymmetrische Gefälle zwischen dem alles konstituierenden
Gott und dem Konstituiertsein Christi und des Geistes ein,
ohne die formelhafte Nennung des Aus-sich-selbst-Konstituiert-
seins des Gottes-Feldes (134) begründend zu explizieren. Von
dieser Annahme sind auch die Ausführungen zum Geist als
„Situation der Kopräsenz" und „der sich selbst deutenden Kommunikation
Gottes mit uns" (145) abhängig. Die auf glaubensmäßiges
„Orientierungswissen" (155) abstellenden Bemühungen
hinterlassen somit einen zwiespältigen Eindruck: Die im
sprachanalytischen Kontext sich bewegenden Versuche zur Klärung
von Verfahrensrationalität und epistemischen Unterscheidungen
sind zwar für sich erhellend; aber diese Versuche tragen
kaum dazu bei, die an Glaubenspositivitäten und formelhaften
Versicherungen orientierte binnentheologische Anspruchsmentalität
einer Offenbarungstheologie zu erschüttern.

Wien Falk Wagner

Emeis, Dieter: Zwischen Ausverkauf und Rigorismus. Zur

Krise der Sakramentenpastoral. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1991. 120 S. 80. Kart. DM 16,80. ISBN 3-451-22281-7.

Das Buch handelt von dem Zwiespalt, der entsteht, wenn
wenig in die Kirche integrierte Menschen ein Sakrament erbitten
. Ein Sakrament setzt Glauben und Bindung an die Gemeinschaft
der Glaubenden voraus, und diese Disposition ist in vielen
Fällen in einer abbröckelnden volkskirchlichen Situation
nicht mehr gegeben. Insofern spricht Emeis eine die Gemeinden
und ihre Seelsorger bedrängende Frage an. Er weiß, daß allgemeingültige
Anregungen für ein in unserer Situation gültiges
pastorales Handeln nicht möglich sind. Aber er führt in die Problematik
ein und gibt - behutsam und differenziert - Antworten.
Dabei wählt er einen längeren pastoraltheologisch fundierten
Anmarschweg. Er folgt dem erprobten Dreischritt „sehen -
urteilen - handeln". Zuerst schildert er die häufig vorgefundene
Situation: „das Abschmelzen" des konfessionellen Milieus; die