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Ausgabe:

1993

Spalte:

252-254

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U.

Titel/Untertitel:

Kombinatorische Theologie 1993

Rezensent:

Wagner, Falk

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 3

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60). Das ist bedeutsam, da im Vorgriff Licht auf den zu erarbeitenden
Stoff zu werfen ist; denn „insgesamt will die vorliegende
Studie Schritt für Schritt vom .Ganzen', d.h. vom weiten
Feld des Zusammenspiels der Künste, hinführen zu dem Verständnis
dessen, was Kierkegaard beabsichtigt" (13). So wird
zum Beginn der Begriff der Ästhetik erhellt. Das wird mit der
Frage verbunden, wie es um die „gegenwärtige Relevanz ästhetischen
Denkens" bestellt ist. So kann, um einen Bürgen zu
nennen, H. Küng eine „mögliche Verwobenheit von Kunst und
Religion" diagnostizieren (29).

Uber eine ausführliche Betrachtung des Zusammenspiels der
Künste in der vergleichenden Literaturwissenschaft - unter anderem
wird George Steiners komparatistische Analyse herangezogen
! (42ff.) - kommt es dann im zweiten großen Abschnitt des
Werkes zur „Musik in der Literatur" bzw. dann folgerichtig zur
Beschreibung der „Mozart-,Idee' in Kierkegards .Entweder-
Oder'" (61 ff.). Die „Entweder-Oder"-Analyse ist nur möglich
vom biographischen Hintergrund des Dänen her, der wiederum
die Sinndeutung für den Begriff der „Existenz" (62f.) gibt. Die
innere Dialektik zwischen dem Erziehungsprogramm des Vaters
M. P. Kierkegaard und dem „Ewig Weiblichen" wird geschickt
erhellt, wobei wichtige, im deutschen Sprachraum wenig bekannte
Tagebuchnotizen wie Pap. IV, A 89, X, 1A 8 eingeflochten
werden. Daß das Reginetrauma wie die (angeborene) Schwermut
hierbei eine wesentliche Rolle spielen, versteht sich von selbst.

Dieser Teil von Abschn. „2" bildet auch von der Dichte der
Kleinanalysen zu Kierkegaards Aussagen über sich selbst her
den Angelpunkt der Untersuchung. Das Existenzmodell des
„dänischen Sokrates" hilft somit bei der Erschließung des „Mozart
-Begriffs" in „Entweder-Oder" I (81 ff.). Im formalen Rückschluß
auf die „Abraham - Lobrede" in „Furcht und Zittern"
(1843) wird einer kierkegaardschen „Lobrede" auf Mozart mit
zwei längeren, treffenden Zitaten Raum gegeben (92ff.).
Kierkegaards diesbezügliche Betrachtungen basieren auf den
drei großen Mozartopern „Figaros Hochzeit", „Don Giovanni"
und der "Zauberflöte". Um entsprechende Analysen zu Mozarts
Werk verständlich zu machen, wird u.a. auf die Beobachtungen
des bedeutenden Musikwissenschaftlers Alfred Einstein hingewiesen
. Einstein liefert in seinem Mozart-Buch: „Mozart. Sein
Charakter - Sein Werk" (Frankfurt/M. 1980) die Bestätigung
dafür, daß auch bei diesem Genie der Prozeß der Entfremdung
von seinem Vater einherging mit der Suche nach dem „Ewig-
Weiblichen". Hier finden sich also parallele Entwicklungslinien
zu dem dänischen Genie, die zu interessanten Interpretationen
im „philosophisch-literarischen" wie künstlerischen Sinne einladen
.

Die Linie der Beobachtung des Zusammenspiels von philosophischer
Ästhetik und musikalischem Ausdruck wird mit Hilfe
von Mozartdeutern wie Norbert Elias, Wolfgang Hildesheimer,
Georgi W. Tschitscherin verfolgt. Letzterem wird viel Raum gewidmet
, da dieser „marxistische Mozart-Enthusiast" auf Mozarts
kritische Haltung zur Gesellschaft und seinen Willen zum „Neu-
erertum" deutlich hinweist (96ff.).

Jedenfalls findet die tiefe Vielschichtigkeit in der Musik
Mozarts ihre kongeniale Erfassung in Kierkegaards diesbezüglichen
Opernanalysen. So kann man, wie es in der Überschrift
zu Kap. „3" des zweiten Abschnitts betont wird, „Mozartsche
Charaktere im Spiegel der Existenzsphären Kierkegaards"
sehen und beschreiben (121-140). Die sehr schönen Einzelanalysen
, wie die der Donna Elvira (140ff. mit Verbindungslinie
zum Reginetrauma!), bilden den Höhepunkt der Untersuchung.

Ein kürzeres, aber gewichtiges „Postskript" über Kierkegaards
Mozart-Rezeption „aus literaturphilosophischer Perspektive
" mit Hinweisen auf Hermann Broch, Thomas Mann
u.a. (147ff.) rundet die vielseitig anregende Schrift ab.

Detmold Wolfdietrich von Kloeden

Systematische Theologie: Dogmatik

Dalferth, Ingolf U.: Kombinatorische Theologie. Probleme
theologischer Rationalität. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1991. 158 S.80 = Quaestiones Disputatae, 130. ISBN 3-451-
02130-7.

„Wir leben schon lange mit Vielheiten, auch in der Theologie
." (13; vgl. 5) Von dieser Feststellung geht der in Frankfurt
/M. lehrende Systematiker Ingolf U. Dalferth aus, um angesichts
sowohl des gesellschaftlichen wie des kirchlich-theologischen
Pluralismus eine als Kombinatorische „Orientierungsdisziplin
" (12) verstandene Theologie zu erproben. Eine als Methode
oder praktische „Kunst des Deutens, Interpretierens, Ver-
stehens, Prüfens, Urteilens und Entscheidens" (6, 19) sich begreifende
Theologie habe die Elemente der Referenzsysteme
des christlichen Glaubens, der personalen Lebenserfahrungen,
der Wissenschaften, der staatlich-politischen und wirtschaftlichen
Institutionen und der Religion in und außerhalb der Kirchen
auf kreative Weise zu kombinieren, um „bei der reneklierenden
Entfaltung des christlichen Glaubens der Pluralität alltäglicher
, kultureller... und struktureller Wirklichkeiten gerecht
werden" (19) zu wollen. Da aber der Pluralismus nicht bloß die
soziale Umwelt der Kirchen und ihrer Theologien betrifft, unsere
Gegenwart überdies „durch eine immer unübersichtlicher
werdende Pluralisierung theologischer Positionen, Konzeptionen
und Orientierungsangebote" (13) geprägt sei, kann sich
offensichtlich auch der Entwurf einer methodisch-kombinatorischen
Theologie nicht der Einsicht entziehen, „unüberwindlich
partikular, eben nur einer unter anderen" (5) zu sein. Gleichwohl
scheint der Vf. der Ansicht zuzuneigen, er könne den im
„Vorwort" (5f) und in der „Einleitung" (11-22) berücksichtigten
binnentheologischen Pluralismus durch seine vorgeschlagene
Kombinatorische Theologie überwinden, sodaß dann der
Pluralismus vorrangig in Kontakt von Kirche und Theologie
„mit der immer nur in einer Pluralität von Perspektiven gegebenen
Welt" (50) zu Tage treten würde. Wenigstens ist es auffällig
, daß das Problem des theologischen Pluralismus und Positionalismus
in dem Versuch, Theologie als praktische „Kunst
des kompetenten Umgangs mit den Erfahrungs- und Hand-
lungsfeldem christlichen Glaubenslebens" (15) aufzubauen,
keine konstitutive Rolle mehr spielt.

Wie der /. Teil (23-58) zeigt, in dem der Vf. das Verhältnis
von kirchlicher Lehre und wissenschaftlicher Theologie artikuliert
, bedient er sich einer als „Rationalität der Theologie" bezeichneten
Verfahrenstechnik „der argumentativen Explikation
und systematischen Kombination von Differenzen" (26), denen
er als nicht konstruierten, vielmehr vorgegebenen Leitgesichtspunkten
das „geschichtlich-konventionell gegebener..) Selbstverständnis
des christlichen Glaubens über seinen eigenen
Grund" (20) zugrunde legt. Die mit der Einheitlichkeit des
kirchlich-theologischen Gegenstandsbezugs gegebene „Fundamentaldifferenz
von göttlichem und menschlichem Handeln"
wird somit als „Prinzip und Kriterium" (37) aller weiteren Differenzierungen
fixiert und gesetzt (vgl. 44). Obwohl er die als
Funktion für die Welt konzipierte wissenschaftliche Theologie
besonders hervorhebt (33), bezieht er die Differenz „zwischen
kirchenbezogener dogmatischer und weltbezogener wissen
schaftlicher Theologie" (58) bloß auf die unterschiedliche Art
des kirchlichen Welt-Kontaktes. Im Unterschied zum Personen
betreffenden Welt-Kontakt der auf konsensfähige Verkündigung
zielenden kirchlich-dogmatischen Theologie soll sich die
weltbezogen-wissenschaftliche Theologie einerseits als konfliktfähige
sozialethische Theologie auf gesellschaftliche Handlungszusammenhänge
und andererseits als kontradiktionsfähige