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Ausgabe:

1993

Spalte:

242-243

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Haumann, Arnold

Titel/Untertitel:

"Gott mit uns?" 1993

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 3

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der 1. Aufl., wo es eher so aussieht, als habe die Amtskirche fast
widerwillig dem Druck der kirchlichen Basis schließlich und
endlich nachgegeben.

d) Der meistzitierte Satz des Werks - daß zwischen Kirchenführern
und Parteigrößen so etwas wie Kumpanei geherrscht habe
(1. Aufl. S. 39) - wird in 2. Aufl. S.42 nicht getilgt. Vielmehr
wird in Anm. 205 hinzugefügt, Bischof Demke habe etwas ähnliches
„eingeräumt". Wenn das heißen soll, daß die Vff. nichts
weiter behaupten wollen als das, was Demke über „Kumpanei"
dargelegt hat (s. seinen ausführlichen Artikel „Frankfurter
Rundschau" vom 25.1.1992), so bedeutet das die Rücknahme
des Vorwurfs der l. Aull. Denn Demke hat der Darstellung von
Besier/Wolf, die DDR-Kirche sei der SED allzu gefügig gewesen
, ausdrücklich widersprochen. Ihre Rede von der „Kumpanei
" wertet er als „verleumderisches Schlagwort". Was er offen
und nachdrücklich zugibt, ist ein Versagen anderer Art, nämlich
das Sicheinlassen der Menschen in der DDR, auch der Christen,
auf das zweideutige Spiel der DDR-Gesellschaft. Nach seiner
Analyse kam es aufgrund eines Gemisches von kollektivem
Selbstmitleid und gegenseitiger Schonung zu einem Klima der
unklaren Kompromisse, des Augenzwinkerns, des verständnisvoll
-widerwilligen Gewährenlassens. In diesem Klima litt die
Klarheit des Denkens und Wollens.

Die Korrekturen der neuen Aufl. sind nicht umfangreich, aber
sie entschärfen eben die öffentlichkeitswirksamen Spitzensätze
der 1. Aufl. Es wäre gut gewesen, wenn dieser Umstand die Vff.
zu einer Dämpfung ihres rechthaberischen und entrüsteten Tons
bewogen hätte.

2. Das Gesamturteil über das Buch kann so mit neuen Akzenten
wiederholt werden.

Die Vff. haben mit Kompetenz und Fleiß eine wichtige Dokumentation
von eindrucksvollen Dimensionen vorgelegt. Die Strategie
und Taktik des MfS bei der Überwachung und Infiltration
der Kirche ist nun genauestens überblickbar. Die „Kirche im
Sozialismus" war immer auchKirche im Geheimpolizeistaat. Die
Aufarbeitung der Vergangenheit kann die schmerzhafte Bewußt-
machung dieser Rückseite des Systems nicht umgehen, und dazu
gehiiit auch die Aufdeckung der konspirativen Mitarbeiter des
Unterdrückungsapparates innerhalb der Kirche. Die historische
Dokumentation stellt eine unentbehrliche Unterstützung des
Selbstreinigungsprozesses der Kirche dar. Der Beitrag von Besier
/Wolf ist im Blick auf diese begrenzte Aufgabe als nicht nur
berechtigt und nötig, sondern auch als wertvoll und weithin gelungen
zu beurteilen

Kritik ist anzumelden, weil die Vff. bedeutend mehr behauptet
haben als ihre Dokumentation tragen kann. Sie machen nicht
nur Aussagen über die Stasi-Infiltration, sondern auch über die
öffentlich verantwortete Haltung der DDR-Kirche. Sie werfen
dieser Kirche ihre allzu große Nachgiebigkeit gegenüber der
SED-Politik vor, wobei sie auf unklare Weise das gewissermas-
sen offizielle, weil unumgängliche und von allen erwartete Doppelspiel
der „Kirche im Sozialismus" mit der konspirativen
Doppelrolle einiger kirchlichen Amtsträger in Zusammenhang
bringen. Leider sind es eben diese von der Dokumentation nicht
gedeckten Vorwürfe, die dem Werk seine öffentliche Resonanz
verschafft haben. Damit begünstigen die Vff. eine schlagseitige
Urteilsbildung über den Weg der Kirche in der DDR. Es ist zu
bedauern, daß die 2. Aufl. an diesem entscheidenen Punkt nicht
zu einer Klärung. Differenzierung und Verständigung beigetragen
hat.

3. Angesichts der großen kirchenkritischen Geste, mit der die
Vff. ihr Anliegen vortragen und im Vorwort zur 2. Aufl. verteidigen
, ist noch ein Kommentar nötig.

Die Vff. berufen sich auf die 3. Banner These, in der sie „die
grundsätzliche Abkehr von einer Bedürfniskirche formuliert"
linden (XIII). Den Grundschaden der großen Volkskirchen-
Institution sehen sie darin, sich gesellschaftlich geltend und unentbehrlich
machen zu wollen. Die Anfälligkeit für die Systemverstrickungen
der DDR-Kirche erkläre sich aus diesem falschen
Selbstverständnis. Die Vff. schildern in einfühlsam-sarkastischen
Wendungen die Genugtuung, die ein über seine Erfolglosigkeit
verzweifelnder Amtsträger erfuhr, wenn sich die
Stasi für ihn interessierte, ihn brauchte (Xlf.; vgl. 87.Anm.397).
Aber auch die heutigen Widerstände gegen die Wahrnehmung
der Vergangenheit, und ganz besonders die heftigen Reaktionen
auf ihr Buch, erscheinen den Vff. als Ausflüsse der verfehlten
und vergeblichen Bestrebungen, den öffentlichen Status der
großen Kircheninstitution zu bewahren. Ihre Vorworte stellen
sie unter eindringliche Predigten Luthers und Bonhoelfers, die
die Kirche an Christus allein weisen und jede andere Bestandsgarantie
als Ungehorsam anprangern. Den Vff. zufolge fehlt der
offiziellen Kirche heute der Mut und die Bereitschaft, Kirche
des Bekenntnisses und nichts anderes zu sein. Stattdessen orientiert
man sich kirchlicherseits an den Kategorien des Einflusses,
der Nützlichkeit, des Prestiges, der Opportunität usw., die dem
Wesen der Kirche fremd sind und höchstens in den Bereich des
Vorletzten gehören. Sie mahnen eine Wahrnehmung der jüngsten
Kirchengeschichte und ihrer Schuld an, die dem Wesen der
Kirche entspricht (vgl. insbesondere 99-103).

Das sind wahrhaftig große und bedenkenswerte Themen.
Aber es ist zu bestreiten, daß sie in dem Zusammenhang, den
die Vff. durch ihre Stasi-Dokumentation hergestllt haben, zureichend
verhandelt werden können. Ganz einerlei wie man sich zu
ihren theologischen Gesichtspunkten stellt: das Mitwirken
kirchlicher Amtsträger an konspirativen Tätigkeiten ist unvereinbar
mit der geltenden kirchlichen Ordnung; und in jedem
Fall war Stasi-Mittäterschaft ein Vertrauensbruch, also menschlich
-moralisch verwerflich. Es ist sicher im allgemeinen richtig,
daß eine so etablierte und durchorganisierte Institution wie die
evangelische Kirche in besonderem Maße die Bearbeitung
durch die Geheimpolizei herausforderte und ermöglichte. Die
Angreifbarkeit wächst nun einmal mit der Größe wie die Beeinflußbarkeit
mit dem Einfluß. Aber dieser Umstand erlaubt noch
kein spezifisches Urteil. Und umgekehrt: auch wenn die DDR-
Kirche die Stasi-Infiltration besser überstanden hätte, so wären
die ekklesiologischen Fragen, die die Vff. aufwerfen, immer
noch auf der Tagesordnung.

Im Zusammenhang der vorgelegten Dokumentation ist eine
Frage zu klären: Wie ist die konspirative Komponente staatlichen
Handelns als Teil der kirchlichen Wirklichkeit der DDR
einzuschätzen und zu beurteilen? Es wäre richtig gewesen, sich
auf diese Frage, die wahrhaftig kompliziert und bedeutsam genug
ist, zu konzentrieren. Die kirchenkritischen Ansichten der
VIT., so bedenkenswert sie an sich sein mögen, hätten methodisch
zurückgestellt werden müssen. Im vorliegenden Werk dienen
sie nicht zur Klärung, sondern nur zu einer Verstärkung des
anklagenden Tons, der einer gemeinsamen Arbeit an der Bewältigung
der Vergangenheit nicht zuträglich ist.

Aarhus Peter Widmann

Haumann, Arnold: „Gott mit uns"? Zwischen Weltkrieg und
Wende. Widerspruch eines politisch engagierten Theologen.
Vorwort: P. Heinemann. Bonn: Pahl-Rugenstein 1992. 269 S.
m. Abb. 8«. Kart. DM 28,-. ISBN 3-89144-131-2.

Seit der politischen Wende des Jahres 1989 haben Bilanzschriften
sprunghaft zugenommen. Nicht alle werden so erfolgreich
sein können wie seinerzeit Heinrich Manns „Ein Zeitalter
wird besichtigt" oder gegenwärtig Timothy Garton Ashs preisgekröntes
Werk "The uses of adversity" (dt. „Ein Jahrhundert
wird abgewählt"). Das Bilanzbuch oder besser, das Bilanzbüchlein
des 1923 geborenen einstigen Wehrmachtsoffiziers