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Ausgabe:

1993

Spalte:

228-229

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Meier, John P.

Titel/Untertitel:

A marginal Jew 1993

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 3

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in das Grundsätzliche ist für die ethischen Partien im Gal doch
stärker zu betonen, wodurch dann auch die anstehende Situation
in neuem Licht, in dem unaufgebbaren theologisch begründeten
Gegenüber von Freiheit und Gesetz und den darin liegenden
Implikationen erscheint.

Das im vorliegenden Werk verhandelte und in der Exegesengeschichte
schon häufig konträr behandelte Anliegen verdient
volle Beachtung. Der Vf. ist durch seine Dissertation zu einem
wichtigen Gesprächspartner geworden, so daß mit gutem
Grund seine Untersuchung in einer in den Seitenzahlen 1-298
unveränderten, im Untertitel und in den römischen Seitenangaben
leicht geänderten Paperbackausgabe neu herausgebracht
wurde (ohne Beseitigung der wenigen Druckversehen, z.B.
85;117;172).

Erlangen Otto Merk

Kingsbury, Jack, Dean: Conflict in Luke. Jesus, Authorities,
Disciples. Minneapolis: Fortress Press 1991. XII, 180 S. 8°.

Das vorliegende Buch will den Leser mit der „Evangelienerzählung
des Lukas" (Luke's gospel story) vertraut machen, u.
zw. mit Hilfe einer literarischen Analyse (literary, or narrative,
approach) und so verständlich wie möglich. Letzeres ist K.
zweifellos gelungen.

Die Darstellung ist durchsichtig aufgebaut, flüssig geschrieben
und gut lesbar. In Kap. 1 (Introduction, 1-36) geht es
K. um die Welt des LkEv, näherhin um die Umstände, die sie
bestimmen, um die Personen, die in ihr agieren, und um ihren
Plan (plot), Lukas habe „in der Erzählung (narrative) ... ein
brauchbares Mittel gefunden, um die Heilsgeschichte, die Gott
in Jesus vollendete ... zu erzählen" (34). Das Zentrum des
Erzählplans bildeten die Konflikte, die der Protagonist Jesus
mit den Autoritäten Israels und mit seinen Jüngern habe. Dementsprechend
gäbe es im LkEv drei Hauptlinien. K. behandelt
sie in Kap. 2-4 je für sich, nämlich "The Story of Jesus" (37-
78), "The Story of the Authorities" (79- 107) und "The Story of
the Disciples" (109-139). Seine Ergebnisse: Für das LkEv sei
Jesus „Israels Messias und der Gottessohn, mit dem Gott
die Heilszeit eröffne, indem er die schriftlichen Verheißungen
für Israel (und die Völker) erfülle und so seinen Heilsplan vollende
" (XI). Die Autoritäten Israels seien im Lkev „selbstgerecht
", „unfähig, die Wirklichkeit richtig wahrzunehmen" (105),
sie betrieben Jesu Tod, und verständen nicht „die Ironie, daß
auch Gott und Jesus diesen Tod wollten" (106). Die Jünger
schließlich folgten Jesus zwar loyal nach, seien aber geistig unreif
und mißverständen ihn immer wieder; erst die Belehrung des
auferstandenen Jesus führe sie zu geistiger Reife.

Wer das vorliegende Buch aufmerksam liest und auch die
zahlreichen in ihm genannten Stellen aus dem LkEv nachschlägt
, der erhält fraglos einen gewissen Einblick in Inhalt und
Aufbau des LkEv. Die Frage ist, ob dieser Einblick genügt.
Kaum! Denn von der Besonderheit des LkEv im Vergleich zu
den Mitsynoptikern Mk und Mt sowie zu Jo erfährt der Leser
von K.s Buch so gut wie nichts, und wenn ihm jemand erzählte,
daß die lukanische Theologie in der Mitte dieses Jahrhunderts
sehr umstritten war, so würde er höchst überrascht sein. Gar
nicht verstehen würde dieser Leser schließlich, daß Lukas damals
vor allem wegen seiner theologia gloriae kritisiert wurde;
soll doch, so K., gerade das Element des Konflikts das Zentrum
der Darstellung bilden. Offensichtlich kann eine nur „literarische
Analyse" einer ntl. Schrift zu beträchtlichen Verkürzungen
führen.

Münster Martin Rese

Meier, John P.: A Marginal Jew. Rethinking the historical
Jesus. I: The Roots of the Problem and the Person. New
York-London-Toronto- Sydney-Auckland: Doubleday 1991.
XI, 484 S. gr.80 = The Anchor Bible Reference Library.
Hlw. $ 25.-.

Der Autor dieses breit angelegten, auf zwei Bände geplanten
Werkes, Professor für NT an der Catholic University of America
in Washington, geht von einem ehrgeizigen Szenario aus: ein
katholischer, ein protestantischer, ein jüdischer und ein agnosti-
scher Historiker werden dazu verurteilt, aus den Tiefen der Bibliothek
der Havard Divinity School nicht eher wieder aufzutauchen
, bis sie ein Consensus-Dokument erarbeitet haben zu der
Frage, wer Jesus von Nazareth war und was er wollte. Dieses
Dokument müßte, meint M., etwa so ausfallen wie das von ihm
vorgelegte Werk. Tatsächlich enthält schon der hier vorzustellende
erste Band keine neuen oder gar extremen Thesen, sondern
repräsentiert einen in der Fachliteratur verbreiteten Con-
sensus, der einem akademisch gebildeten Publikum nahegebracht
werden soll. Aufhorchen läßt zunächst nur der provozierend
formulierte Titel. Doch auch er verliert an Brisanz, wenn
man die von M. in der Einleitung sehr betont vertretene Unterscheidung
von Wissen und Glauben, von historischem und
wirklichem Jesus nachvollzieht. Ein über Glaubensgrenzen hinausreichender
Consensus kann sich in der Tat nur auf das mit
wissenschaftlichen Mitteln erreichbare Wissen um den historischen
Jesus beziehen. Nur vom historischen Jesus in diesem
Sinn mit seinem Berufsverzicht, seinem Wanderprophetentum,
seinem Eheverzicht, seiner Verwerfung von Gewalt und Fasten
kann Marginalität ausgesagt werden. Vornehmstes Ziel des
Autors ist es, "reliable data" des historischen Jesus bzw. seiner
Umwelt aufzudecken, nicht aber deren theologische oder soziologische
Interpretation vorzulegen.

Der erste Teil des ersten Bandes beschäftigt sich mit den
„Wurzeln des Problems" (21-201). Die in der deutschen Literatur
verbreitete Unterscheidung von „historisch" und „geschichtlich
" wird als wenig hilfreich abgelehnt. M. bleibt bei der Feststellung
: „der historische Jesus ist nicht der wirkliche Jesus,
sondern nur eine fragmentarische hypothetische Rekonstruktion
von ihm dank der modernen Forschungsmethoden" (31). Dieser
begrenzte Fragehorizont bzw. das leitende Interesse an "reliable
data" führen zunächst zu einer breiten Erörterung der Quellenfrage
. Im Blick auf das kanonische Schrifttum bekennt sich M.
zur synoptischen Zwei-Quellen-Theorie und zum selbständigen
Charakter der johanneischen Tradition. Hinter dem sog. Testimonium
Flavianum des Josephus (ant.l8.3.3.§63f) sieht M.
einen authentischen Grundtext, der die historische Existenz Jesu
bestätigt. Ob die Tacitus-Notiz (ann.15,144) eine selbständige
Tradition repräsentiert, ist unsicher. Die jüngere rabbinischc
Überlieferung stellt keine unabhängige Quelle dar. Dasselbe
gilt von den Agrapha und den apokryphen Evangelien. - Nach
der Quellenfrage erörtert M. die Kriterienfrage. Auch hier folgt
er einem breiten Consensus. Primäre Kriterien für älteste Jesusüberlieferung
sind das Argument der Kontradiktion zur
kirchlichen Lehre, das Argument der Diskontinuiät zu Judentum
und früher Kirche, das Argument der vielfachen Bezeugung
, das Argument der Kohärenz und das Argument des gewaltsamen
Endes Jesu im Blick auf seine Worte und Taten. Als
sekundäre bzw. zweifelhafte Kriterien sieht M. Spuren des
Aramäischen und der palästinischen Umwelt an, die Lebendigkeit
der Erzählung, Tendenzen der sich entwickelnden synoptischen
Tradition und die historische Vermutung. Den ersten Teil
beschließen Überlegungen zur Relevanz der Frage nach dem
historischen Jesus: „der historische Jesus ist ein Bollwerk gegen
die Reduktion des christlichen Glaubens im allgemeinen
und der Christologie im besonderen auf "relevante" Ideologie
von irgendeiner Sorte" (200).