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Ausgabe:

1993

Spalte:

225-227

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barclay, John M. G.

Titel/Untertitel:

Obeying the truth 1993

Rezensent:

Merk, Otto

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 3

226

chend rabbinischer Überlieferung sind sie in biblischer Zeit verwurzelt
und wurden in der Zeit von Exil und nachexilischer
Neukonstituierung (Esra und die „Große Versammlung") geprägt
. Schwerpunkte der weiteren Entwicklung bilden die tan-
naitische Normierung (von der Tempelzerstörung bis zur Fixierung
der Mischna um 200 n.Chr.), die Durchsetzung der Tradition
des Babylonischen Talmuds durch die Gaonim (8.-11. Jh.),
die liturgischen Dichtungen des Mittelalters und deren zeitgeschichtlicher
Hintergrund (das Aufblühen des aschkenasischen
Judentums in Deutschland einerseits, die Schreckenszeit der Judenverfolgung
während der Kreuzzüge andererseits) sowie Einflüsse
von Mystik und Kabbala auf den Gottesdienst.

Außerordentlich informativ und für christliche Leser in Europa
besonders hilfreich sind die folgenden Kapitel über die Herausbildung
und das Selbstverständnis der Hauptströmungen des
gegenwärtigen Judentums. Vor allem die nordamerikanischen
Ausprägungen kommen hier ausführlich zu Wort, während das
gottesdienstliche Leben im Staat Israel auffällig selten in den
Blick tritt.

Auf ein knappes Kapitel zur Entwicklung der Synagoge folgen
am Schluß einige Anregungen zum Vergleich jüdischen und
christlichen Gottesdienstes sowie ein hoffnungsvoller Ausblick
auf die Erneuerung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen
angesichts einer belasteten und doch gemeinsamen Geschichte
.

Angesichts des bisweilen unübersichtlichen Angebots populärer
Literatur zu den religiösen und kulturellen Traditionen des
Judentums verdient das hier angezeigte Buch besondere Hervorhebung
. Es erschließt detailliert und doch übersichtlich den
Reichtum und die Vielfalt des jüdischen Gottesdienstes in Geschichte
und Gegenwart. Ein ausgezeichnetes Sachregister
macht es zu einem auf Dauer brauchbaren Nachschlagewerk.
Uber Information und Erklärung hinaus wurzelt es erkennbar in
der Praxis von Gebet und Gottesdienst und lädt zu solcher ein.
Dem selbstgesteckten Ziel, „ein vertieftes Verständnis jüdischen
Glaubens und Wesens zu wecken" (9), wird es in ausgezeichneter
Weise gerecht.

Cambridge Karl-Wilhelm Niebuhr

Neues Testament

Barclay, John M.: Obeying the Truth: A Study of Paul's Ethics
in Galatians. Ed. by J. Riehes. Edinburgh: Clark 1988. XV,
298 s. 8° = Studies of the New Testament und Its World. Lw.
16.95. 2. Aull. 1991. Fortress Press, Minneapolis XIII, 298 S.

80.

Wohl unter dem Eindruck, daß durch die Übertragung wichtiger
Partien antiker/hellenistischer Rhetorikschemata auf den
Galaterbrief (besonders durch H.D. Beiz) die Relevanz des ethischen
Abschnittes in Gal 5 und 6 nicht genügend für den Gesamtaufbau
und die theologische Argumentation in diesem
Brief Beachtung finde, unternimmt es der Vf. in seiner unter der
Betreuung von Morna Hooker (IXf.) gefertigen Cambridger
Dissertation (1986), die Paränese in ihrer durchschlagend integrierenden
Bedeutung bei der Bewältigung der galatischen Krise
zu erweisen.

Nach einem vorzüglichen Überblick zur Forschung unter bes.
Berücksichtigung der Ethik im Gal, für die als einschlägiger
Abschnitt 5,13-6,10begründet ausgewiesen wird (Kap. I, 1-35),
geht der Vf. in Kap.2 (36-74) auf den Hintergrund der galatischen
Wirren ein: Die dortigen Heidenchristen, durch ihre Bekehrung
zum christlichen Glauben in ihrer bisherigen Umwelt
entwurzelt, haben als .Gottesvolk' eine neue Identität erhalten,
die aber erst - so die Agitatoren - durch Beschneidung und .Gesetz
' und durch diesen inhärente ethische „Aktivitäten mit bedeutenden
sozialen Implikationen" zur vollen neuen Identität in
der Synagoge verhelfen (52ff.56ff.59.60ff.72f.; vgl. auch S.250
Anm. 50: "Paul is attacking Jewish-Christians for their Jewish
presuppositions, and for wanting to make Gentile believers live
like Jews") . Geht es dem Vf. durchaus um eine Rekonstruktion
der gal. Verhältnisse (vgl. auch 106), so besteht weitreichender
Konsens doch nur darin, daß die gal. Christen Heidenchristen
waren und die Agitatoren offenbar von außen in die Gemeinde
^) dringen, nicht aber - hier ist der Vf. überzeugter als der
Rezensent - über das Vorhandensein und nähere Bezüge, die
jüdisches Glaubensleben in der Landschaft Galatien ausweisen
und die konkrete Anschauung für die von den Agitatoren aufgewiegelten
und die vom paulinischen Verständnis christlichen
Glaubens abgewandte Gemeinde hätte sein können. Auf der genannten
Rekonstruktion aber baut nach dem Vf. des Paulus Antwort
zunächst im Kernteil des Briefes (gemeint sind Gal 2-4)
auf (Kap. 3 [75-105]), um dann anschließend mit gleicher Deutlichkeit
der gal. Krise durch ethische Weisungen zu begegnen.
In einem sehr sorgfältigen Durchgang möchte der Vf. zeigen,
daß alle tragenden Begriffe ("Key passages in Paul's description
of Ethics") in Gal 5, 13-6,10 vom Apostel in die aktuelle gal. Situation
eingebracht seien und dadurch die maßgebenden Begriffe
in diesem Abschnitt wie u.a. Freiheit, Liebe, "Spirit-flesh
dualism" (211 u.o.) und die konkreten Anordnungen (bes. 5,26;
6,L3ff; vgl. S. 153) ihre gezielte Verortung haben (vgl. Kap. 4:
"The Sufficiency of the Spirit"; Kap. 5: "The Practical Value of
the Spirit" (75-177). Eingangs angeführte Problemfelder (26ff.)
finden somit nach dem Vf. sämtlich im Ergebnis ihre Bestätigung
, z.B. 1) "Is Paul's exhortation relates to the argument of
the earlier Chapters concerning law und faith? Our conclusion is
that his exhortation develops out of and concludes Iiis earlier
arguments"; 2) Gal 5,13-6,10 "related to a concrete Situation in
the Galatian churches or should it be considered as an example
of general 'paraenesis'? Here we may concluse that this passage
is best understood as having beert framed speeifieally for the
current crisis in the Galatian churches" (216IT.). Dabei ist der
Vf. weit davon entfernt, paulinische Ethik auf .Situationsethik'
zu beschränken; "the theological roots of Paul's ethic" (233ff.)
stehen ihm außer Frage, wie er nicht nur in der theologischen
Analyse des Gegeneinanders von „Fleisch und Geist" (Kap. 6
(178-212)) deutlich macht, sondern auch mehrfach in der - wenn
auch etwas verhaltenen - Erörterung des Verhältnisses von .usueller
' und .aktueller' Paränese (M. Dibelius) und in Nachweisungen
überkommenen paränetischen Gutes aus jüdischer und hellenistischer
Ethik (bes. zusammengefaßt in "Conclusions" (216-
251 u.ö.).

Die gedankenreiche, sehr geschlossene, extreme Positionen -
bes. in der Beurteilung der Agitatoren - begründet widerlegende
, die Forschung umfassend einbe/ichende und excellent geschriebene
Untersuchung lohnt zu Rückfragen, die hier aus
Raumgründen nicht erörtert werden können, über die man aber
gerne mit dem Vf. ins Gespräch käme. Des Rez. Bedenken betreffen
über schon Genanntes hinaus u.a. das Verständnis des
Gesetzes und damit einen Teil der theologischen Argumentation
, wie sie der Vf. für Gal 2-4 geltend macht. Sie zielen aber
vor allem auf den Kern vorliegender Untersuchung; Ist nicht die
Ermöglichung neuen Lebens als Wandel im Geist und damit die
im Evangelium gründende Freiheit in Gal 5,13-6,10 weitaus
grundsätzlicher von Paulus gesehen und erst in der Herausarbeitung
dieser Grundsätzlichkeit auch umfassend Antwort auf die
gal. Krise, auf das von den Galatern selbst gewählte Joch in der
Versklavung? Gerade die Entschränkung einer .Situationsethik"