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Ausgabe:

1992

Spalte:

169-171

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Halbfass, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Tradition and reflection 1992

Rezensent:

Brück, Michael

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 3

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ReligionSWisSßnSChaft auffindbar. Die dem Sämkhya entlehnte Yoga-Metaphysik lehnt

Saiikara vehement ab, da sie seinem radikalen Nicht-Dualismus

Haihfoec wr iu i~ -r j-.- j a n *• c i ■ i widerspricht. (224fQ Unter pädagogischen Gesichtspunkten

"aiDtass, Wilhelm: Tradition and Reflection. Explorations in In- , K„. * ' , • „, ,. „ . ,

dian Thought. Albany: State University of New York Press kann es fur Sankara durchaus eine Plural.tät von Wegen. Metho-

1991. VIII, 425 S. gr.8°. den und Argumenten geben; aber das Wesen der letztgültigen

Wirklichkeit ist eindeutig und nicht-plural, was nur durch Offen-
Der aus zehn (meist in den 70er und 80er Jahren erstmal er- barung (sruti) vermittelbar ist. (144) Der Vf. diskutiert die dies-
schienenen) Essays bestehende Band des deutsch-amerikani- bezüglich modifizierten Positionen der Schüler Sarikaras (vor
Schen Indologen bietet in philosophischen und teils historischen allem Suresvara) und der die vedische Orthodoxie hütenden
Reflexionen auf solider philologischer Basis wenig neue Erkennt- Mimämsä-Schulen, wodurch die prominente Position Saiikaras
n'sse, wohl aber ausgezeichnete Zusammenfassungen zu zentra- um so deutlicher hervortritt. Die radikale epistemologische Dif-
'en indologisch-religionswissenschaftlichen Themen: die Bedeu- ferenz zum Buddhismus wird nachdrücklich aufgezeigt.
tur|g des Veda für die philosophisch-religiöse Identität der Von solchen Überlegungen leitet sich die Bestimmung des
hinduistischen Traditionen, Offenbarungsautorität und kritische Menschen her - er ist im indischen Denken kein animal ratio-
Reflexion, die Sicht des Menschen im Hinduismus, Stellenwert nale, sondern spezifischer Ausdruck der zeitlosen transzendenta-
und Verständnis der karman-Vorstellungen im Horizont indi- len Wirklichkeit (die meist atman genannt wird), wobei gerade
scher Geistesgeschichte, die religiös-philosophische Begründung hier der Mensch sein Wesen mit den Tieren, höheren Wesen und
des Kastenwesens. Dabei schlägt der Vf. jeweils einen weiten (meist) auch Pflanzen teilt. Der samsära steht für eine nicht-an-
^°gen und diskutiert die unterschiedlichen Anschauungen der thropozentrische Einheit des Lebens. (272) Dazu im Widergroßen
philosophischen Schulen - vor allem Sämkhya, MTmäm- spruch steht die keineswegs nur sozial-pragmatische, sondern
Sa> Nyäya-Vaisesika und Vedänta - sowie auch historische Ent- auch exegetisch und philosophisch in fast allen hinduist. Schulen
Geklungen innerhalb dieser Schulen. Neuere Entwicklungen seit begründete Theorie, daß nicht alle Menschen (sondern nur die
dem 19. Jh. stehen kaum zur Diskussion, und Sozialwissenschaft- höheren Kasten) kultisch qualifiziert bzw. für die befreiende Er-
'che Argumente und Analysen auf anthropologischer bzw. eth- kenntnis reif sind. (273, 279) Im Mtmämsä wird bei Kumärila
n°'ogischer oder soziologischer Grundlage werden selten einbe- das Argument so weit getrieben, daß die unterschiedlichen Kargen
. Für den mit indologischer Methodik und Literatur sten als verschiedene Spezies erscheinen. (277)
^eniger vertrauten Leser ist der Band eine Fundgrube von Stel- Der Aufsatz zur karman-Lehre (291-345) behandelt diesselbe
etl aus der Primärliteratur, die sorgfältig kommentiert werden: als Grundstruktur indischer Wirklichkeitserfahrung, die sich hi-
em Indologen wird das zurückhaltend-abwägende Urteil des storisch allmählich herausgebildet hat und mit anderen Deutun-
utors willkommen sein (z. B. bei Autorschaft und Datierung der gen (Schicksal usw.) in Widerspruch steht. Der Vf. argumentiert,
ankara zugeschriebenen Schriften), der keinen Zweifel an den daß es vermutlich die Buddhisten waren, die eine strikte und uni-
Ucken und Unwägbarkeiten unserer gegenwärtigen historischen versal gültige Vergeltungskausalität eingeführt haben, wobei sie
enntnisse läßt. kosmologische und psychologische Aspekte verbanden (292),
Fast die Hälfte des Buches befaßt sich mit der Frage nach der indem hier nicht mehr das Handeln oder dessen Resultat, son-
°lle des Veda in den späteren hinduistischen Systemen, zumal dem die Intention als karman verursachende Wirklichkeit galt,
j^'t dem Problem, inwiefern die vedische Offenbarung als Er- Der Vf. benennt die systemisch bedingten Widersprüche in der
y nntn'squelle eine mehr oder weniger autonome menschliche karman-Theoriz und ihr zwiespältiges Verhältnis zum vedischen
g rtlunft zulassen kann oder nicht. Vf. erläutert im Detail, wie Ritual, leider ohne das Problem zu diskutieren, warum und in-
ar>kara das Konzept von adhikärabheda mit seiner These von wiefern die jeweilige Ausprägung des karman-GXaübem auch ka-
r absoluten Gültigkeit der vedischen Offenbarung vereint, stenspezifisch und sozial determiniert ist und nur bedingt in die
^dem er nämlich ein gleichsam inklusivistisches Modell kon- vom Hinduismus verschieden stark überformten Adivasi-
PhU'ert' S° a^n'^ara (d'e r'tue"e und dann auch hermeneutisch- Gruppen (Stammeskulturen) eindringen konnte. Neuere Feld-
^■'osophische Qualifikation eines Menschen für den Zugang forschungen zu diesem Thema (A. Ayrookuzhiel, The Sacred in
g^edischen Offenbarung und dann auch zur Erkenntnis, die Populär Hinduism 1983, u.a.) sollten die unbestritten notwen-
reiung aus dem samsära gewährt) ganz und gar im Veda ver- dige philologische Analyse ergänzen. Der Vf. hebt die Komplexi-
^ ert sein muß. (56ff) Ein universaler Inklusivismus - wie im tät der karman-Theone und die Vermischung von Mythischem
yp°"^edänta des 19. Jh.s (74) - ist nicht angezeigt, weshalb der und rational abgeleiteten Denkmustern hervor. Er unterscheidet
■ ^arikaras Polemik gegen die Buddhisten als symptomatisch drei grundsätzlich verschiedene Funktionen und Dimensionen
"weisen kann. Folgerichtig subordiniert Sankara tarka (Ver- des karman: 1. Prinzip der Kausalität, 2. Maßstab ethischer
k deserkenntnis) der Erkenntnis, die durch die vedische Offen- Orientierung, 3. Gegenbegriff (und beginnender Stufenweg) zur
daßUn*° verm't,e't w'rd (138ff), bemüht sich aber aufzuzeigen, letztgültigen Befreiung. (295) Der Rez. vermag hier allerdings
e , ZW|schen beiden kein Widerspruch bestehen muß: Vernunft- keine grundsätzlich verschiedenen Funktionen zu erkennen, so-
enntnis hängt ab von der Beobachtung der Regularitäten fern die Plausibilität des A:arwan-Glaubens, also auch jeder der
RehUSa''1^ m c'er Natur, wofür aber immer Bedingungen ange- drei Dimensionen, überhaupt erst durch die Vereinheitlichung
n und Ausnahmen festgestellt werden können (153ff); unbe- der kosmisch-ethisch-soteriologischen Betrachtungsweisen mög-
schftC ^er'a^''cn'<e't- vor allem die Erkenntnis des Unbedingten lieh ist. Dies um so mehr, da der Vf. andernorts (3880 die Gegen-
SchJ60 (bahman), kann also nie das Resultat menschlichen seitigkeit der Beeinflussung von Ebenen und Elementen des Le-
ord U'^°'serns sein. Der Veda selbst autorisiert nur den unterge- bens im Konzept von dhrti (dharma) als Grundintuition bereits
neten Vernunftgebrauch, um sich unter den Bedingungen von in der vedischen Geisteswelt hervorhebt. Eng mit diesen Gedan-
fjjr und Zeit darzulegen. (160) Auch Yoga als Methode kann ken verbunden ist der Reinkarnationsgedanke, dessen allmähli-
?UrR3n'<ara nur c'ann a's nützliches und vorläufiges Instrument che Entstehung auf dem Hintergrund und in Gegensatz zu der
Bef ewußtseinsschulung gelten, wenn er nicht als Mittel gilt, die upanisadischen Fünf-Feuer- und Zwei-Wege-Lehre übersicht-
und 'Un^ ZU erlan8en- (2260 Denn Yoga ist ein „Werk", bedingt lieh hergeleitet wird (323ff)- Sarikaras ambivalente Position wird
Wj ^^"schlicher Zweideutigkeit unterworfen, während die erwähnt, sofern auch der Reinkarnationsglaube unter der Theo-
herv hkeit

des brahman primär immer schon gegeben ist, nicht rie der zwei Wahrheitsebenen zu vyävahärika gehört, mithin also

■■gebracht und zeitlich bedingt und nicht durch einen Weg letztlich irreal ist. Der Vf. erwähnt den diesbezüglich bekannten