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Ausgabe:

1992

Spalte:

155-157

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Winkens, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Hilfe für Problemkinder 1992

Rezensent:

Biewald, Roland

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

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Schule und Kirche sind voneinander zu unterscheiden; denn
sie sind rechtlich getrennt. Es gibt aber wichtige Gründe, die
gegenseitige Annäherung zu betreiben, „Nachbarschafts"-Beziehungen
herzustellen. Denn Schule wird immer mehr zum
Lebensort der Kinder und Jugendlichen, sie muß sich für die
Lebensvollzüge der Umwelt, der Nachbarschaft öffnen. Die
Ortskirchengemeinde darf sich nicht den öffentlichen Aufgaben
und den Herausforderungen des sozialen Wandels verschließen,
von dem die junge Generation am Ort betroffen ist.

Der Band 6 der Reihe „Gemeindepädagogik", hg. vom Come-
nius-Institut Münster unter Mitarbeit von E. Goßmann, Chr.
Grethlein, Kl. Petzold und W. Steinen, vermittelt Konzeption
und Praxisberichte einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit
von Schule und Kirche am Ort. Ausgangspunkt sind einerseits
Erklärungen im Sinne der Inneren Schulreform zu „Gestaltung
des Schullebens und Öffnung der Schule" (Entwurf des nord-
rhein-westfälischen Kultusministers 1988; EKD-Text Nr. 34 von
1990 u. a.), andererseits die gemeindepädagogische Praxis eines
Lernens, das sich aus dem Leben erschließt. Für die Brückenfunktion
einer Nachbarschaft ist der Religionslehrer besonders
geeignet. In seiner Person sind schulische und gemeindliche
Wirklichkeit verbunden; er kennt die Lebensprobleme der jungen
Generation und die praktischen Lernprozesse beispielsweise
in kirchlichen Initiativgruppen (z. B. bezüglich einer „Giftmülldeponie
" oder einer „Obdachlosensiedlung"); er kennt sich aus
in der Gestaltung von Festen; er kann am ehesten Erfahrungen
des „praktischen Lernens", das auch den Hauptschülern Selbstvertrauen
und Ermutigung bringt, in den heutzutage „ instrumentalisierten
" Bildungsprozeß der Schule einbringen.

Der Praktiker, der nach Handlungsanweisung fragt, findet
zahlreiche Praxisberichte im vorliegenden Band (z. B. wie Pfarrer
, Lehrer und kirchliche Mitarbeiter zur Zusammenarbeit finden
; Projektarbeit im Hauptschulbereich einer Gesamtschule;
gemeinsames Feiern muslimischer und christlicher Feste; Schüler
verschiedener Nationalitäten gründen eine AG „miteinander
leben"). Ein besonderes Kapitel ist den Festen, insbesondere
dem Schulgottesdienst gewidmet; sie sind Chancen einer Nachbarschaft
von Schule und Gemeinde, in der neue Erfahrungen
von Gemeinschaft entstehen.

Die Probleme werden nicht verschwiegen: Es ist zu fragen, ob
hier nicht das Leben der Kinder und Jugendlichen verschult
wird? Und ist nicht Schule auch „Schonraum", ein notwendiger
Abstand vom Leben? Ist nicht der Religionslehrer überfordert,
vor allem in seiner Beziehung zur Ortsgemeinde? Kann schließlich
mit einem wirklich „offenen" Kirchen Verständnis der Gemeinden
gerechnet werden?

Die Aktivität der Annäherung, der Nachbarschaft, ist im vorliegenden
Band offensichtlich vorrangig von der Schule bzw.
vom Lehrer aus gedacht. Für den ostdeutschen Leser dagegen
wird das Interesse gegenläufig sein. Kirchliche Mitarbeiter, die
zum Religionsunterricht in der Schule bereit sind, werden die gemeindepädagogischen
Erfahrungen eines „Lernens, das sich aus
dem Leben erschließt", einbringen wollen und können. Das wiederum
könnte der Schule wenigstens im Lernbereich Religion
zur Öffnung verhelfen.

Berlin Dieter Reiher

Winkens, Hans-Joachim: Hilfe für Problemkinder. Chance und
Herausforderung für kirchliche Internate. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1990. VI, 218 S. 8°. Kart. DM 28,-.

Das Buch von Winkens zeichnet sich durch gute Lesbarkeit,
straffe Gedankenführung und einprägsame Zusammenfassungen
aus. Es ist ein engagierter Versuch, konzeptionell über kirchliche
Internate und Internatspädagogik nachzudenken und sich damit

den besonderen Herausforderungen zu stellen, die durch sogenannte
Problemkinder an diese herangetragen werden. Zunächst
scheint es, als sollte man Titel und Untertitel vertauschen, denn
es geht in der Zielstellung um ein tragendes Konzept für kirchliche
Internate. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich hier gerade
der Ansatz für dieses Konzept: die besondere Klientel der
Internate, die zu einem erheblichen Anteil aus Problemkindern
besteht, ist nicht nur Herausforderung, sondern die Chance einer
Neuorientierung der Internatspädagogik.

Im ersten Kapitel wird der Leser über Begriffsklärungen, Definitionen
und statistische Angaben in die besondere pädagogische
Institution des Internats eingeführt. Das eröffnet auch denjenigen
Lesern einen Zugang, die vielleicht mehr am Thema Problemkinder
als an Konzepten für Internate interessiert sind. Es
gelingt dem Vf., Neugier an der Situation und an den Möglichkeiten
des Internats zu wecken. Zugleich wird eine erste Beschreibung
der sogenannte Problemkinder versucht: es sind Kinder, bei
denen oft familiäre und gesellschaftliche Probleme festgemacht
werden, die sich als Lern- und Schulschwierigkeiten äußern
(16f)- Zusammen mit den Angaben über rückläufige Zahlen der
Schüler in kirchlichen Internaten (26f.) ist damit das Problem
angezeigt, dessen Lösung angegangen werden soll: die Krise einer
konservativen und der Klientel nicht angemessenen Internatspädagogik
.

Im zweiten Kapitel wird kurz der historische Weg nachgezeichnet
, den kirchliche Internate nahmen. Es ist ein atemberaubender
Gang von vorchristlichen Formen in den alten Hochkulturen
über frühchristliche, mittelalterliche und nachreformatorische
Internatsformen bis hin zu neueren katholischen Verlautbarungen
nach dem II. Vatikanischen Konzil. Das Kapitel ist ein hilfreicher
und historisch sauberer Überblick vor allem für die eingangs
genannten Leser, die nicht direkt mit kirchlicher
Internatserziehung befaßt sind. Er ist notwendig zum Verständnis
bisheriger Konzeptionen und Formen, und er wehrt dem Vorwurf
der Ahistorizität im Hinblick auf eigene konzeptionelle
Überlegungen des Vf.s. Gerade wenn ein Konzept aus aktuellen
Herausforderungen heraus entwickelt wird, ist die Bestimmung
des historischen Hinterlandes unumgänglich. Für den Zeitraum
nach der Reformation wird zwischen katholischer und evangelischer
Internatserziehung unterscheiden, wobei jeweils Propria
der Internate bestimmter Orden oder Epochen bestimmt werden-
Das differenziertere Bild evangelischer Internatserziehung mit
der Gefahr des Vereinsprotestantismus (58) wird ebenso gesehen
wie das geschlossener erscheinende Bild katholischer Internate
mit der Gefahr des Konservatismus durch Ablehnung reformpädagogischer
Ansätze (60/62). Wichtige Namen von Pädagogen
erscheinen im Abschnitt über nichtkirchliche Internate (64fD-
Die Zitation und Kommentierung nachkonziliarer Verlautbarungen
bereitet den Weg zur intensiveren Aufnahme sozialpädagogischer
Fragestellungen in die katholische Internatspädagogik
(77).

Die Ziele kirchlicher Internatserziehung werden im dritten
Kapitel mit der Klientel verglichen, in der Problemkinder eine
große Rolle spielen. Daraus werden Aufgaben und Funktionen
kirchlicher Internatserziehung abgeleitet, die in Anlehnung an
verschiedene Autoren zu sechs Punkten zusammengefaßt werden
, deren Stichworte einerseits den Gesamtumfang der Aufgaben
beschreiben, andererseits die Leitgedanken für die konzeptionellen
Überlegungen abgeben. Dieser Gedankengang wird
zunächst durch das vierte Kapitel unterbrochen, das sich den
pädagogisch-psychologischen Aspekten der „Problemkinder
zuwendet.

Ähnlich wie im historischen Kapitel wird in Überblicksform
etwas zu Begriffen (Verhaltensauffälligkeit, Schulschwierigkei'
ten, Lernschwierigkeiten...) und zu neueren empirischen Untersuchungen
(Thalmann 1968; Bach u. a. 1980/81; Bäuerlein u. *•