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Ausgabe: | 1992 |
Spalte: | 152-154 |
Kategorie: | Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik |
Titel/Untertitel: | Gottesdienst - Weg zur Einheit 1992 |
Rezensent: | Bieritz, Karl-Heinrich |
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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2
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Liturgie, A. Steinmetz „Die Tönende Posaune Gottes" (127—
153) stellt Hildegard von Bingen als „Schöpferin liturgischer Gesänge
" vor. G. Wainwright präsentiert „Catherine Winkworth -
,Königin der Übersetzerinnen' deutscher Kirchenlieder" (289-
305), H. Kurzke „Notitzen zum Marienlied" (307-318).
Grundsätzlichere, das eigentliche hymnologische Thema
immer wieder überschreitende Reflexionen zur Frage einer
frauengerechten Sprache finden sich bei T. Berger „Das Gotteslob
der Frauen? Eine Durchsicht des katholischen Gebet- und
Gesangbuches von 1975" (385-413) und B. Einig .„Brüderlichkeit
' und ,Schwesterlichkeit' im Neuen Geistlichen Lied" (523-
579). Das hier vor allem aufgeworfene Problem einer „inklusi-
ven Sprache" (die also Frau und Mann gleichermaßen anspricht)
behandelt - etwas vorsichtiger als Einig - noch einmal B. Fischer
.„Inklusive Sprache' im Gottesdienst" (359-367) unter Rekurs
auf persönliche Erfahrungen im englischen Sprachraum und A.
Greule „Frauengottesdienste, feministische Liturgien und inte-
grative Sprache" (621-634) in der Auswertung von vier Modellen
. Allgemeine Zustimmung dürfte dabei die von Greule formulierte
Forderung finden, „daß wir im Gottesdienst grundsätzlich
eine exklusive Sprache vermeiden" (632). Vor schwierigere Probleme
stellt die Frage nach einer angemessenen liturgischen Sprache
zu und über Gott. Darf man biblische Texte, die androzen-
trisch formuliert erscheinen, verändern? Müssen traditionelle
Bilder wie die Vater-Anrede Gottes aus Liedgut, Gebet und Predigt
verschwinden? Es ist in dieser schnell zu schroffen Konfrontationen
führenden Problemlage wohltuend, daß hierzu differenzierende
Gesichtspunkte beigebracht werden. So weist etwa
Fischer auf die große Zurückhaltung mit der Vater- Anrede in
den Tages-, Gaben- und Schlußgebeten des Missale Romanum
und auf die Möglichkeit, weibliche Bilder für Gott aus dem Alten
Testament heranzuziehen, hin. Nach ihm ist vor allem die Ikonographie
an einem patriarchalischen Fehlverständnis der Vater-
Anrede schuld. Zu beachten ist auch der anhand sorgfältiger linguistischer
Analyse neuen geistlichen Liedguts belegte Hinweis
von Einig auf die geforderte sprachliche und symbolische Kompetenz
für eine Frauen und Männern angemessene Anrede Gottes
im Gottesdienst (558-560). Diese Überlegungen zur liturgischen
Sprache, die an die nordamerikanische Diskussion
anknüpfen (und wohl auch ein Spiegel des römischen Ausschlusses
der Frauen vom Vorsitz in der Eucharistiefeier sind), bilden
sowohl umfangmäßig als auch im Grad der erreichten Differenzierung
einen gewissen Schwerpunkt des Bandes.
Sehr viel weniger Beachtung findet daneben die kunstgeschichtliche
Perspektive. Doch liefert hier V. Kessel „Frauen als
Auftraggeberinnen von illuminierten liturgischen Handschriften
" (195-209) einen Beitrag, der, von historischer Detailforschung
ausgehend, grundlegende Fragen wie die nach dem Spezi-
fikum weiblicher Ikonographie herausarbeitet (angesichts der
eben genannten These Fischers ein dringendes, ins Zentrum der
Theologie reichendes Desiderat). Ebenfalls erst am Anfang
scheint die Frauenforschung in der Homiletik zu stehen. Zwar
beinhaltet der Beitrag von C. M. Noren „Frauen-Wort und Gottes
-Wort. Homiletische Beobachtungen zu Predigten von Frauen
im nordamerikanischen Raum" (601-620) sehr interessante
Thesen über die Besonderheit von Predigerinnen gegenüber
ihren männlichen Kollegen (z. B. umfangreichere Verwendung
von exegetischem Material in der Predigt, größere Aufnahme
von autobiographischem Material, besonderes Verhältnis zur
Gemeinde). Doch müßte die Methodik, mittels deren diese Einsichten
gewonnen wurden, ausführlicher dargestellt werden, um
deren Aussagekraft beurteilen zu können. Auf ein grundlegendes
homiletisches Problem macht noch B. Janetzky „Ihre Namen
sind im Buch des Lebens" (415-431) aufmerksam, die das erneuerte
Lektionar unter Frauenperspektive untersucht.
Des weiteren finden sich Aufsätze, die verschiedene Einzelbereiche
des vorgenommenen Themenkomplexes beleuchten und
z. T. bisher in der Forschung Vernachlässigtes bearbeiten. So thematisiert
A. Knippenkötter den „Weltgebetstag der Frauen"
(581-592), M. Lehnertz „Frau und Liturgie bei Boll" (319-343)
eröffnet interessante Perspektiven zum Zusammenhang von
Frauenfrage und Liturgie. Unter der Überschrift „Gott erfahren
" skizziert G. Hinricher das Liturgieverständnis Teresas von
Avila (211-228), I. Pähl „Eine starke Frau, wer wird sie finden?"
(433-452) eruiert „Aspekte des Frauenbildes in den Meßformularen
der Heiligenfeste", A. Albert-Zerlik und H. Becker rekonstruieren
„Frauenfragen im Trauungsritus" (453-474), W. Haunerland
„Maria exemplar" untersucht „frauenrelevante Aspekte
der Collectio Missarum de Beata Virgine" (493-521). Weitere
Themen sind das Yolanda-Epos (A. Heinz), die Rolle der Frau in
der Liturgiekritik und -konstruktion der Französischen Revolution
(A. Gerhards), die bis heute reichende Vorstellung einer
„kultischen Unreinheit" von Frauen (F. Kohlschein), die Frau in
der jüdischen Liturgie (K. Richter), die Jungfrauenweihe (G. Ko-
netzny) und die Leitung des Gottesdienstes durch Frauen (G.
Jansen).
Evangelische Leser(innen) dürften sich besonders für K.-H.
Bieritz „Die weyber nach den mennern. Der reformatorische
Gottesdienst und die Rolle der Frau" (229-252) interessieren.
Durch das Ineinander von systematisch-theologischen Kategorien
Luthers und historischen Einsichten öffnet Bieritz u. a. die
Perspektive der Frauenforschung auf den Faktor der Bildung.
Die aus pädagogischem Impetus vollzogene Intellektualisierung
des reformatorischen Gottesdienstes (Abendmahlsverhör!) führte
in Verbindung mit der Dreiständelehre - entgegen dem grundlegenden
ekklesiologischen Konzept des einen Leib Christi - zu
einer liturgischen Passivität der Frauen.
Es sei nicht verschwiegen, daß die Vielfalt der Themen, Fragestellungen
und Methoden den Rez. immer wieder die Frage nach
dem inhaltlich Verbindenden, nach der weiterführenden These,
stellen ließ. Vielleicht helfen hier die beiden noch nicht genannten
Aufsätze, die die übrigen Beiträge rahmen, weiter. G. Winkler
„Überlegungen zum Gottesdienst als mütterlichem Prinzip
und zur Bedeutung der Androgynie in einigen frühchristlichen
Quellen" (7-29) arbeitet die Auffassung vom Gottesgeist als
mütterlichem Prinzip vor allem in syrischen Schriften heraus, E-
Gutting „Theologisch-anthropologische Perspektiven für eine
,frauengerechte' Liturgie" (635-647) weist - hierin mit Winkler
übereinstimmend - auf die exemplarische Verwirklichung der
„Synthese männlich-weiblich geprägten Menschseins" in Christus
hin (643). Dabei greifen beide auf C. G. Jung zurück, nach
dem Christus die weibliche Komponente, seine anima, voll integrierte
. Vielleicht liegt in dieser These vom „männlichweiblichen
polaren Menschsein" (642) eine Art verborgenes
Fundament für viele der sonst nur lose verbundenen Beiträge. I"
der Diskussion hierüber könnte evangelische Liturgik neben dem
Drängen aufklare, biblisch geprüfte Grundlagen auch die Erfahrungen
von Frauen einbringen, die seit vielen Jahren Gemeinden
leiten und dem Herrenmahl vorstehen. Dies könnte die sich i*
diesem Sammelband abzeichnende und als Folge des gegenwärti'
gen römischen Kirchenrechts verständliche Verengung der Arbeit
auf den verbalen Teil des Gottesdienstes zugunsten einer
stärkeren Berücksichtigung des Rituellen (und hier vor allem von
Taufe und Herrenmahl) durchbrechen.
Berlin Christian Grethlein
Schlemmer, Karl [Hg.]: Gottesdienst - Weg zur Einheit. Impulse
für die Ökumene. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1989. 142 S-
8° = Quaestiones Disputatae, 122. Kart. DM 32,-.