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Ausgabe:

1992

Spalte:

143-145

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Jäger, Bernd

Titel/Untertitel:

Karl von Hase als Dogmatiker 1992

Rezensent:

Kern, Udo

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

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bereits unterdrückend. Das wird besonders deutlich in der Auseinandersetzung
mit den Interpretationen des Christus-Symbols.
Das Modell vom Haupt-Sein Jesu ist immer wieder als Herrschaftsmuster
mißbraucht worden. Anne Carr hat hier besonders
viele Vorbehalte und regt feministische Theologinnen besonders
zum Weiterdenken und zur Auseinandersetzung mit der Christo-
logie an.

Interessant ist ihre Vision von Kirche, die sie aus den Evangelien
ableitet: „Kirche als ein Mysterium, eine mystische Gemeinschaft
und als ein Auftrag". Dabei geht es ihr um Gegenseitigkeit
und also eine Gemeinschaft verantwortlicher „Erwachsener".
Vielleicht sollten wir an Hand solcher Bilder einmal wieder neu
die so gerühmten demokratischen, synodalen Strukturen unserer
Kirchen bedenken.

Elisabeth Moltmann-Wendel hat ein Vorwort geschrieben. Sie
empfiehlt das Buch „den Theologinnen, für die traditionelle
Theologie noch immer als hoffnungslos patriarchal korrumpiert
erscheint"; den „Studierenden, für die die gesellschaftlichen
Herausforderungen des Feminismus noch immer keine Relevanz
zur Theologie haben"; den „Lehrenden, die hier Souveränität
und Dialogfähigkeit der feministischen Theologie erleben können
". Ich schließe mich diesen Empfehlungen an und füge hinzu:
Frauen und Männer, die nach Ausdrucksmöglichkeiten für ihre
Glaubenserfahrungen in heutiger Zeit suchen, die an der Kirche
leiden und sie doch lieben, Finden in diesem Buch Anstöße und
Denkhilfen.

Berlin Gudrun Althausen

Jaeger, Bernd: Karl von Hase als Dogmatiker. Gütersloh: Mohn
1990. 228 S. 8° = Die Lutherische Kirche, Geschichte und Gestalten
, 12. Kart. DM 24,-.

Carl August Hase1 schreibt in seiner „Evangelisch-protestantischen
Dogmatik" (Leipzig 1870, 6. verb. Aufl. [letzte von Hase
hg. Aufl.], 9): „Durch die Dogmatik soll das im dunkeln Drange
des Gefühls Umfaßte zur Freiheit einer klaren Überzeugung gelangen
. Da die Religion nicht ursprünglich ein Wissen, so ist die
Dogmatik mit all' ihrer Philosophie auf religiösem Gebiete keineswegs
unbedingt das Höhere, vielmehr kann sie auf Irrwegen
des religiösen Geistes zur letzten Spitze derselben führen. Dennoch
ihr Wert an sich ist, daß sie das höchste Selbstbewußtsein
der Religion erstrebt: ihr Gebrauch ist zum Dienste der Kirche,
weil in einer Zeit, da jede Beziehung des Lebens zur wissenschaftlichen
Anschauung kommt, das christliche Leben von den mit
der Lehre Betrauten nicht ohne Vermittlung der Wissenschaft
wahrhaft gefördert werden kann." Für den Rezensenten bringen
diese Sätze Hases dogmatische Intention gut zum Ausdruck.
Hase, in seinen dogmatischen Ansätzen mehr als zunächst
erkennbar und von ihm selbst zugegeben von Schleiermacher
ausgehend, versteht sich zurecht in seinem theologischen Werk
wesentlich neben der Kirchengeschichte in der Dogmatik zu
Hause. Hases frühe theologische Schriften sind wesentlich dogmatische
. In den zwanziger Jahren entstehen Hases dogmatische
Hauptwerke: „Hutterus redivivus", „Gnosis" und „Evangelisch
-protestantische Dogmatik".

Bernd Jaeger möchte das in unserem Jh. in Vergessenheit geratene
dogmatische Werk theologisch in Erinnerung rufen. Das ist
verdienstvoll. Der Kirchenhistoriker Hase ist nicht ohne seine
Dogmatik recht zu interpretieren. Hases Zeitgenossen (A.
Mücke, K. F. A. Kahnis, O. Pfleiderer, F. Nippold, Martin Käh-
ler - so zurecht Jaeger, 161 fT) beachten dies noch. Zuzustimmen
ist Jaeger, wenn er in den dogmatischen Arbeiten Hases „den
Konvergenzpunkt seines gesamten theologischen Schaffens"
sieht. (175)

J. geht so vor, daß er zunächst anschaulich den biographischen
Hintergrund von Hases theologischen Arbeiten entfaltet. In
einem 2. Hauptteil werden die o. g. drei dogmatischen Hauptwerke
Hases genetisch, struktural und wirkungsgeschichtlich
vorgestellt. Dem dogmatisch-theologischen System gilt der dritte
Abschnitt der Arbeit. - Hervorzuheben aus dem Literaturverzeichnis
ist die „Hase-Bibliographie" (201 ff). Ein „Anhang"
(180ff) enthält sechs (bis auf einen teilweise publizierten) bisher
unveröffentlichte Briefe Hases an A. D. C. Twesten und sechs an
F. A. G. Tholuck und 4-Faksimileseiten von Hases „Lehrbuch
der Evangelischen Dogmatik" (1826) und der „Evangelischprotestantischen
Dogmatik" (18706). Wobei man sich über Sinn
und Zweck dieses letzteren streiten kann.

J. charakterisiert Hase, anknüpfend an Selbstzeugnisse desselben
, als einen zur „ Gruppierung der,freien Theologie'" gehörenden
, gekennzeichnet „durch die Verbindung von strenger Wissenschaftsorientierung
mit dem historischen Interesse an den
geschichtlich gewordenen Gestaltungen des Christentums und
den Grundsätzen freier Kritik gegebener Traditionen" (32f). Zurecht
sagt J., daß l. Hases dogmatische Schriften aus dem akademischen
Unterricht hervorgehend konzipiert und in diesem benutzt
wurden und daß 2. auch dann, als Hases Schwergewicht
seiner akademischen Lehre nicht mehr auf der Dogmatik lag,
Hases Interesse an dogmatischer Arbeit nicht stagnierte. (Vgl.
z. B. die späten Auflagen der dogmatischen Werke Hases.)

Basis für die strukturale Darbietung des dogmatischen Systems
Hases ist für J. Hases „Evangelisch-protestantische Dogmatik
" (18706). Die beiden Hauptpunkte Ontologie und Christo-
logie werden in ihrem Großaufriß richtig dargestellt. Sowohl die
Bestimmung der beiden als das Verhältnis beider zueinander
werden korrekt demonstriert. Auch konstatiert Jäger zurecht das
niedrigere Niveau der religionsphilosophischen Abschnitte der
Dogmatik Hases (101). Profilierter hätte man sich allerdings den
Aufweis der Rezept ionsdefizite Hases in bezug auf die zeitgenössische
Philosophie gewünscht.

Überzeugend zeigt J., daß es Hase mit seiner religonsphiloso-
phischen Grundlegung (Ontologie) um wissenschaftlich begründende
Verantwortung des religiösen Glaubens angesichts des modernen
Bewußtseins geht: Menschliches Freiheitsbewußtsein ist
orientiert auf die in der Relation zur Gottesidee sich gründende
sittlich-religiöse Persönlichkeit.

Im Zentrum der Dogmatik steht für Hase als umfassende
Theorie des Christentums die Christologie. In Jesus Christus ist
der Mensch zu einem göttlichen Leben bestimmt. Von hier aus ist
für v. Hase die Tradition zu werten. Das wird von J. gut herausgearbeitet
, ebenso wie Hases Kritik an der Idiomenkommunikation
und an Anselms Satisfaktionstheorie. Das gilt auch in bezug
auf Hases Ekklesiologie, definiert im Rahmen der Christologie,
mit deren Schema von Ideal und Wirklichkeit in Hinblick auf die
Kirche. Die Differenz zwischen katholischer und protestantischer
Ethik bei Hase wird recht interpretiert. Die katholische
Kirche sieht nach Hase das Ideal der Kirche schon jetzt in sich
selbst entfaltet wirklich da, protestantische Ekklesiologie weiß
um die prinzipielle Unvollkommenheit, um die immer nur unvollkommene
Annäherung an das Ideal der Kirche. Die „prinzipielle
^) Verschiedenheiten" von katholischer und evangelischer
Kirche „gehn aus der entgegengesetzten Auffassung des Verhältnisses
zwischen der empirischen und idealen Kirche hervor." (C
A. Hase, Evangelisch-protestantische Dogmatik, Leipzig 18 706.
321, vgl. Jaeger, 154). Prinzipiell ist für Hase das katholische
Christentum durch Autorität und Äußerlichkeit geprägt (diese
Form sei aber durchaus nötig für bestimmte „Nationen"), das
protestantische - und hier erwiese sich dessen Überlegenheit %
durch Freiheit und Innerlichkeit.

Für J. ist „ Hases dogmatisches Werk ... im ganzen ... von der
Intention geleitet, die Situation des neuzeitlichen Protestantis-