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1992

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

140

Mit der Herausgabe der Briefe an Roman Ingarden liegt im
Jahr des Centenargedenkens der bedeutendste Teil des Briefwechsels
von Edith Stein vor; gewichtig vor allem, weil hier ein
Partner angeredet ist, mit dem sie sich philosophierend verbunden
wußte und der ihr an geistiger Statur, wenn nicht gleich, so
doch nahe kommt. Obwohl es sich nicht um einen Briefwechsel
handelt (die Gegenäußerungen Ingardens gingen verloren), so ist
doch der Ertrag ungemein reichhaltig. Die durchgängige Kommentierung
der in der Zeit zwischen dem 5.1. 1917 und dem 6. 5.
1938 geschriebenen 161 Briefe und Postkarten durch die Editorin
Maria Amata Neyer (O. C. D.) in Gestalt von Anmerkungen,
die zahlreiche Einzelheiten aufhellen, stellt eine wissenschaftliche
Leistung hohen Ranges dar. Drei Bereiche sind es, die durch
diese Briefe neu beleuchtet werden: die inneren Beziehungen des
sog. Husserlkreises, der persönliche Weg und die intellektuelle
Biographie Edith Steins.

Roman Ingarden, 1893 in Krakau geboren, gehörte zum engsten
Kreis der Schüler Edmund Husserls; er hatte seit 1912 in
Göttingen, ab 1916 in Freiburg bei ihm studiert und 1918 mit
einer Arbeit über Bergson promoviert. Von 1924 an lehrte er an
der Universität Lemberg, wurde bekannt durch seine phänomenologische
Studie „Das literarische Kunstwerk" (Halle 1930),
war 1946-1950 und dann wieder ab 1956 Professor an der Universität
seiner Heimatstadt, wo er 1970 verstarb. Die Briefe zeigen
ihn als eine in der bürgerlichen Bildungsschicht Vorkriegspolens
verwurzelte Persönlichkeit, laizistisch und national,
kulturell auf den deutschen Sprachraum orientiert. Die gemeinsame
philosophische Herkunft überbrückte die Spannung zur
preußisch-jüdischen Patriotin der Kriegsjahre wie zur katholischen
Konvertitin der Nachkriegszeit.

Ihre Prägung als Philosophen erfuhren beide im Schülerkreis
Husserls, dessen Ausstrahlungskraft und Vielgestaltigkeit in den
Briefen in Erscheinung tritt. Es sind Namen von Gestalten, deren
Weg weit auseinander führen sollte: Adolf Reinach, Fritz Kaufmann
, Ludwig Ferdinand Clauß, Alexander Pfänder, Hans
Lipps, Helmut Plessner, Ludwig Landgrebe, (der spätere Straßburger
Neutestamentier) Jean Hering, Dietrich von Hildebrand,
Gerda Walther und sie alle überragend Hedwig Conrad-
Martius.

Man kann verfolgen, wie Martin Heidegger, noch 1918 eine
Randfigur (der „kleine Heidegger"), zum Thronusurpator wird.
Außenbeziehungen gibt es nur zum Umkreis der neuen Ontolo-
gie Nicolai Hartmanns und zeitweise zu Max Scheler, (dessen
moralischen und geistigen Niedergang man beklagt), nicht zu den
Diltheyanern, geschweige denn nach Frankfurt.

In den persönlichen Mitteilungen wird sichtbar, daß äußere
Ereignisse als Katalysatoren der großen lebenswendenden Entscheidungen
gewirkt haben: der Zusammenbruch 1918 in der
Zuwendung zum Katholizismus, der Triumph der destruktiven
Mächte 1933 beim Eintritt in den Orden. Man ahnt, daß die
Krise der Beziehungen der beiden Partner eingreifenden Charakter
hatte. Auch nach einer gewissen Distanzierung von Ingarden
und dessen Heirat begleiten die Briefe ihren weiteren beruflichen
Weg, dessen Stationen das Lehrerinnenseminar in Speyer und (ab
1930 als Nachfolgerin Bernhard Rosenmöllers) das Pädagogische
Institut Münster und schließlich der Kölner Karmel waren. Bis
zuletzt geht es um kritisch-produktive Auseinandersetzung in
Gestalt von Anmerkungen und Korrekturen zu den erarbeiteten
und veröffentlichten Texten.

Da es sich um die Briefe an einen philosophischen Weggefährten
handelt, treten auch die Konturen der intellektuellen Biographie
in Erscheinung. Der Weg liegt geradezu entgegengesetzt zu
dem von Martin Heidegger. Die Beschäftigung mit der mittelalterlichen
Philosophie stand nicht am Anfang wie bei diesem (Die
Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus, 1916), er begann
vielmehr mit einer auch sonst im Phänomenologenkreis anzutreffenden
Sympathie für die Objektorientierung und den kritischen
Realismus der philosophia perennis. Erst im Brief vom 1.
8. 1922 erscheint so etwas wie ein Programm: den präzisen,
durchgebildeten Begriffsapparat der Scholastik und die „unmittelbare
Beziehung mit den Sachen, die uns Lebensluft ist", zusammenzubringen
(149). Danach beginnt sie mit der Übersetzung
Newmans und vor allem der Quaestiones disputatae de
veritate des Thomas (159), bekennt sich zur absoluten Setzung
der Erkenntnis als Glaubensakt, getragen von einem Glauben an
die veracitas Dei (161). In der Husserl-Festschrift von 1929 stehen
Ingardens Beitrag über das Problem Idealismus-Realismus
und ihrer über Husserls Phänomenologie und die Philosphie des
Hl. Thomas von Aquin nebeneinander. In Münster entsteht die
als Habilitationsschrift gedachte Arbeit „Akt und Potenz", auf
der das im Kölner Karmel vollendete zweibändige Werk Endliches
und ewiges Sein (jetzt Band 2 der Werkausgabe) beruht.

Die Einleitung (9-24) von Hanna-Barbara Gerl, als Guardini-
Biographin und feministische Theologin bekannt, beleuchtet den
lebens- und geistesgeschichtlichen Hintergrund, verzichtet aber
auf einen Hinweis, den man gerade von ihr erwartet hatte. Der
Anteil von Menschen jüdischer Herkunft war abgesehen von der
Frankfurter Schule nirgends in der deutschen Philosophie so
groß wie im Husserlkreis. Was dieser jener voraushatte, ist die
große Zahl von Frauen, die dort eigenständiges Profil gewannen
und deren Namen in diesen Briefen immer wieder auftauchen.
Edith Stein, von ihrer ersten Biograhin als eine „große Frau des
Jahrhunderts" bezeichnet, wäre ohne diese Gemeinschaft nicht
die geworden, die sie schließlich war.

Leipzig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Atheismus (Themaheft WuA(M) 32, 1991, Heft 2): Vorgrimler, Herbert:
Vom Untergang des religiösen Bewußtseins. Theologische Aspekte des
Atheismus (60-65) - Engel, Ulrich: Auschwitz: Hölle und Himmel ohne
Gott. „Die Ermittlung" von Peter Weiß (66-69) - Eggensperger, Thomas:
Jean-Paul Sartre und der Respekt des Christen vor dem Atheismus (75-79)
- Schulte, Ulrich: „Heimkehr zum Gott seiner Väter?" Heinrich Heines
späte Dichtung aus der Zeit seiner achtjährigen Krankheit, aus der Zeit der
„Matratzengruft" (80-85) - Neufeld, Titus: Ist die Kirche Gott los? Anmerkungen
zum „Atheismus (in) der Kirche" (86-90).

Bathen, Norbert: Die Widersprüchlichkeit der Annahme der Existenz
von nur Kontingentem. Der Möglichkeitsbegriff in der „tertia via" des
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