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Ausgabe:

1992

Spalte:

138-140

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Stein, Edith

Titel/Untertitel:

Briefe an Roman Ingarden 1992

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

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Zwar wissen die D.-Kritiker, daß Pfarrer in Scharen zu D. primitiven Reaktionen, d. h.,vorsprachlichen' Verhaltensweisen
laufen, daß das testimonium Spiritus internum verloren gegan- - und diese primitiven Reaktionen sind ,Prototypen' einer Denkgen
sei, aber leere Kirchen, verstummendes Gebet, Entfrem- weise, nicht,Ergebnis des Denkens'" (27). Diese Auffassung gip-
dung der Hüter der Religion von der existentiellen Wurzel der feit später in Wittgensteins Konzeptions des „Weltbildes", wie es
yon ihnen vertretenen „Lehre" führen kaum zu einer Neu- in „Über Gewißheit" dargelegt ist. Das Weltbild - das durchaus
besinnung der Voraussetzungen von Theologie. Die längst ver- durch eine Art Mythologie beschrieben werden kann - ist nicht
gessenen Leiberfahrungen der Berneuchener waren nicht in etwas, über das wir urteilen, sondern etwas, das uns unsere Beur-
Japan gewonnen worden, sondern in abendländischen Aufbrü- teilungskriterien an die Hand gibt (Über Gewißheit, 93). Bechen
. Die Ratschläge, die E. Rousselle, Kenner dauistischer kanntlich hat Fergus Kerr diese Gedankengänge Wittgensteins
Wege, Michaelsbrüdern zur geistlichen Führung junger Men- theologisch weitergeführt, indem er darlegte, daß auch die
sehen gab, bestanden in nachdrücklichen Hinweisen auf christli- Religion in uralten, vor jeder Reflexion liegenden instinktiven
ehe Überlieferungen. Heute, am Ende des Jh.s, erwartet man im Ritualen und Handlungsweisen ihren Grund hat (F. Kerr, Theo-
Christentum vielleicht nichts Zukunftsträchtiges mehr. Unauf- logy after Wittgenstein, Oxford: Blackwell 1986, p. 183).
fallig wird an einzelnen Orten sicher gewirkt, fern von dem lauten Weiterhin bedeutsam für den Theologen und Religionsphilo-
Werben östlicher Impulse. Es ist des Vf.s Verdienst, theoretisch sophen ist das, was der Vf. über Wittgensteins Auffassung von
d'e Legitimität des D.schen Werkes innerhalb des Christentums der ausdrucksvollen musikalischen Phrase, ihrem richtigen Vererwiesen
zu haben. Doch das Nach-Denken ersetzt nicht das stehen und dem Ausdrücken dieses Verständnisses in Gesten und
Gehen eines Weges. Der Vf. zeigt, daß sehr wohl reflektieren und Worten sagt. Denn hier bieten sich sofort Parallelen zum Kom-
argumentieren kann, wer sich auf einen Weg der Verwandlung plex des religiösen Erlebnissesund der in ihm wurzelnden religiö-
e'nläßt. Aber wie oft verrät sich in lebhafter Diskussion die unbe- sen Sprache an. Oft hört man den generellen Einwand, Musik sei
wußte Situation, wenn einem die Bemerkung unterläuft: das sage gar nicht beschreibbar. Auf der anderen Seite ist aber unbestrit-
1Cn jetzt einmal ungeschützt! Es ist Kiekegaards Warnung vor ten, daß eine ausdrucksvolle Musik, die wir verstehen, uns wiede-
Slch geschützt haltender Begrifflichkeit, wenn er erzählt, er sei rum zu elementaren, instinktiven Reaktionsweisen drängt: „Es
m't Wäsche in einen Laden gegangen, an dem zu lesen stand: hier ist nicht zu leugnen, daß man beim ,Mitgehen', beim intensiv
Wird Wäsche gewaschen. Die freundliche Bedienung macht ihn fühlenden Verstehen eines Musikstückes gewisse Gebärden, Ge-
auf seinen Irrtum aufmerksam: hier werde nicht Wäsche gewa- sichtsausdrücke, Bewegungen und Worte als passend empfindet,
schen, hier würden Schilder hergestellt, u.a. auch das, was er andere dagegen nicht" (46). Auf diese Weise kommt man bei
draußen gelesen habe. Daß in dieser kleinen Geschichte nicht das zunehmender Kenntnis des Mediums Musik dazu, das Verstehen
Schicksal abendländischen Christentums verdichtet sei, wird von musikalischen Stücken immer besser auszudrücken. Alleren
dem „Tor zum Geheimen" abhängen, das sich uns öffnet. dings ist etwas ganz Entscheidendes zu beachten: Wer die ent-

sprecHenden Musikstücke nicht kennt, dem bleiben die zu ihnen

Rostock Peter Heidrich gehörenden Reaktionsweisen und Worte völlig nichtssagend. Er

kann von letzteren nicht zu einem Verständnis der ersteren gelan-

c„. . gen. Wer sie aber kennt, der wird fähig, seinem Verständnis einen

chulte, Joachimi: Erlebnis und Ausdruck. Wittgensteins Philoso- immer adäquateren Ausdruck zu verleihen. Es liegt auf der

Pnie der Psychologie. Munchen-Wien: Philosophian Verlag „ . , „ .. , ... .. , . ... ,. . c

lo»7 io/ic oo i . a . v mi /in Hand, daß diese und ähnliche Ansichten Wittgensteins die Auf-

l?ö/. 184S. b = lntroductiones. Kart. DM 49,-. . , _ _ . _ _ . ,

fassungen von Theologen wie D. Cox, J. E. Smith und J. Mac-

Nachdem Wittgenstein den ersten Teil seiner „Philosophi- quarrie über religiöse Erfahrung und religiöse Sprache in gewinn-

schen Untersuchungen" abgeschlossen hatte, setzte er sich in ta- bringender Weise ergänzen bzw. modifizieren können,

gebuchartigen Manuskripten - nach der Zählung von G. H. v. Zum Schluß sei noch daraufhingewiesen, daß auch das Kapitel

Wfight sind es die Nummern 130-138 -von 1945 bis 1949 vor über „Glauben, Annehmen, Behaupten" wertvolle Einsichten

a"em mit psychologischen Begriffen auseinander. Es handelt vermittelt und ebenso die Bemerkungen über die Gehirnschrift

^■eh hier um ca. 1900 beschriebene Seiten. Hiervon wurden 450 aufschlußreich sind. Wittgenstein verneint den Gedanken, daß

Uruckseiten vor allem in den „Bemerkungen über die Philoso- es einen Grund gibt anzunehmen, der Struktur psychischer Phä-

Phie der Psychologie" und in den „Letzten Schriften über die nomene müsse irgendetwas in der Struktur des Organismus bzw.

"ilosophie der Psychologie" veröffentlicht. Der restliche Teil ist des Nervensystems entsprechen. Er ist auf keinen Fall ein Behauch
nicht publiziert worden, viorist; auch sind viele seiner Ausführungen unvereinbar mit

Der Vf. versucht nun, unter Berücksichtigung des gesamten dem sogenannten „logischen" Behaviorismus. Genauso klar ist,

Umfangreichen Materials die wesentlichen der von Wittgenstein daß er gewissen mentalistischen Positionen keine Sympathie ent-

lntendierten Argumente und Begriffserklärungen nachzuzeich- gegenbringt. Es ist eben so, daß er zahlreiche Fragestellungen aus

"er>. Hierbei wird die Wittgensteinsche Methode, die aus einer dem Bereich der Leib-Seele Problematik schlicht für konfus oder

erknüpfung von sprachlogischen und psychologischen Erwä- bestenfalls für unbeantwortbar hält.

*=ungen besteht, besonders gut demonstriert. Das Gewinnbringende des Buches besteht darin, daß es minu-

Thematisch bilden die Manuskripte eine ziemlich geschlos- tiös den einzelnen Gedankengängen der o.g. Wittgensteinschen
^ene Einheit. Es geht vor allem um die Begriffe des Denkens und Manuskripte nachgeht und sie uns auf diese Weise nahe bringt.
Empfindens, des Verstehens und der Wahrnehmung. Daneben Für den Theologen und Religionsphilosophen sind sie eine Fund-
'nden sich Bemerkungen über die Methode des Philosophierens grübe für Anregungen und Denkanstöße, insofern er sich auf die
Und die Möglichkeit der Begründung philosophischer Argu- sprachanalytische Arbeitsweise einzulassen gedenkt,
^ente. Überdies enthalten die Manuskripte eine Anzahl allgemeiner
Betrachtungen über ethische und ästhetische Fragen. In 9 Jänichendorf Wilfried Flach

aPiteln versucht der Vf., all diese Komplexe so zu entfalten, daß

le Denkbewegung Wittgensteins nachvollziehbar wird,

gen^ de" Theologen und Religionsphilosophen sind m. E. fol- Stein Edith: Briefe an Roman ingarden 1917-1938. Einleitung

"de Ausführungen interessant: Im 2. Kapitel legt der Vf. Witt- von h.-B. Gerl. Anmerkungen von M. A. Neyer. Freiburg-

° "Steins gegenüber den dreißiger Jahren spekulativer geworde- Basel-Wien: Herder 1991. 247 S. gr.8° = Edith Steins Werke,

en Sprachspielbegriff dar: „Das Sprachspiel beruht auf 14. Lw. DM 48,-.