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Ausgabe:

1992

Spalte:

135-137

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ottemann, Christian

Titel/Untertitel:

Initiatisches Christentum 1992

Rezensent:

Heidrich, Peter

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135

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

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Der Autor versucht offensichtlich, die zentralen Probleme zu
diskutieren, die sich entweder auf Erasmus selbst und auf methodische
Fragen, oder auch auf die wichtigsten Strömungen der
Zeit konzentrieren. Er behandelt z. B. Erasmus als Augustinermönch
, die Interpretationsprobleme der frühen Erasmusbriefe,
die Devotio moderna und Agricolas Einfluß auf Erasmus. Im
großen und ganzen ist ihm dies auch gelungen. Er stellt deutliche
Fragen und formuliert in ständiger Diskussion mit anderen Spezialisten
seine Sicht auf Erasmus und dessen Umwelt.

Diese Sicht stellt er klar heraus. Erasmus war an erster Stelle
ein Humanist, ein grammaticus, "and in his writings we find a
deep understanding of the role of language in human culture"
(121). Man beachte dabei, daß in Schoecks Sicht der Humanismus
auf keinerlei Weise im Gegensatz zum Christentum betrachtet
wird. Er unterscheidet auch nicht zwischen einem italienischen
, nicht- oder unchristlichen Humanismus und einem nördlichen
oder deutschen, christlichen Humanismus. Nach ihm gehören
beide, Humanismus und Christentum, problemlos zusammen
, und aus dieser Sicht ist es erklärlich, daß er z.B. eine
Protestantisierung des Humanismus um 1550 beobachtet.
Schoeck ist der Meinung, daß Erasmus' Spiritualität einer der
Höhepunkte in der Geschichte der christlichen Spiritualität ist,
und daß darin der Humanismus eine wesentliche Rolle spielt.

Ich finde es schwierig, ein Urteil über dieses Buch abzugeben.
Einerseits schätze ich die deutliche Stellungnahme, der ich in
mancher Hinsicht auch beipflichte. Ich bewundre auch viele treffende
Charakterisierungen, so z. B. folgende über die Persönlichkeit
des Erasmus: "...at the core of Erasmus there is indeed a
strong dement of paradox, and therefore his characteristic mode
is ironic". Andererseits ist der Stil des Autors öfters zu überschwenglich
und seine Auffassungen sind bisweilen recht stark
rhetorisch unterlegt. Inzwischen ergibt sich aus diesen Aufsätzen
zur Genüge, daß der Autor gute Argumente hat, auch wenn er sie
nicht immer in gewünschter Schärfe unterbreitet. Ich hoffe, daß
er in Kürze eine Biographie des jungen Erasmus veröffentlichen
wird.

Amsterdam Cornelis Augustijn

Philosophie u. Religionsphilosophie

Ottemann, Christian: Initiatisches Christentum. Karlfried Graf
Dürckheims Lehre vom „initiatischen Weg" als Herausforderung
an die evangelische Theologie. Frankfurt/M.-Bern-New
York-Paris: Lang 1990. XIV, 639 S. 8° - Europäische Hochschulschriften
. Reihe XXIII: Theologie, 402. Kart. DM 133,-.

Das Buch ist 1989 in Hamburg als Dissertation angenommen
worden. In der schönen Reihe der Europäischen Hochschulschriften
zeichnet es sich durch seinen Umfang aus. 328 S. Text,
78 S. Exkurse, dazu 213 S Anm. und 16 S. Lit. Angaben. Vieles im
Text ist, wie die Anm., in Kleindruck gesetzt. Die Studie dürfte
Dürckheims literarisches Werk vollständig behandeln, auch D.s
Vorträge im Frankfurter Ring im Kassetten-Mitschnitt sind verzeichnet
. Der Vf. setzt sich zum Ziel, ein Handbuch für das Studium
des Werkes D.s für theologisch interessierte ev. Christen zu
bieten. Das ist ihm gelungen. Als Handbuch wird es zu einzelnen
Themen gezielt aufgeschlagen werden, dort findet der Benutzer
Darstellung und Kritik der Kritik. Wer es hintereinander lesen
will, wird seine Mühe haben. Der Stil D.s ist auf die Begriffsebene
projiziert, sorgfältig wird kundiger wie ahnungsloser Kritik nachgegangen
. Mit Erfolg bemüht sich der Vf., dem initiatischen Weg
D.s theologisch Heimatrecht im Christentum zu erstreiten.

Daß D.s Lebenslauf u.a. dargestellt wird, versteht sich von
selbst bei dem Umfang des Buchs. Daß auch des Vf.s eigener Weg

zum Thema skizziert wird, ist kein Zufall. Denn er hat eine andere
Voraussetzung für die Theologie, als sie üblicherweise im
theol. Unterricht erschlossen wird. Die „Zufälle", die ihn geistlich
lebende Menschen begegnen ließen, die ihn in spiritueller
Bindung förderten, ließen Theologie zum „Nach-Denken" werden
, in zeitlicher Folge auf schweigendes Beten. Das erschloß
ihm den Zugang zu existentiellen Praxis D.s.

Das Problem des Buches liegt gewissermaßen „vor" dem
Buch, es zeichnet sich im Untertitel ab: D.s Lehre vom „initiatischen
Weg". D. könnte diesen Untertitel mit dem Begriff
„Lehre" für sich stehen lassen, ihm bedeutete es konkrete Unterweisung
, Anleitung zu Erfahrungen am und im Leibe, und diese
Unterweisung nicht primär durch Worte, sondern durch einen atmenden
Magister. In der theologischen Diskussion wird aus
„Lehre" das System präziser Begriffe, in dem Erfahrungen vergangener
Zeiten gefaßt und tradiert werden.

Kierkegaard hat mit seinem Satz, Christentum sei Existenz-
mitteilung (und nicht Begriffsvermittlung) auf diese Diskrepanz
hingewiesen, die bei Urs v. Balthasar in der Unterscheidung von
knieender und sitzender (= urteilender) Theologie wiederkehrt.
Der Aquinate unterscheidet zwischen Theologie als sapientia
und als scientia und zitiert zur ersten den Areopagiten: Hiero-
theus doctus est non solum discens, sed et patiens divina. In der
Weise der scientia könne der habitus virtutis durch Studium ersetzt
werden beim Urteil. Eckhart kannte viele Lesemeister und
wenig Lebemeister.

Die umfangreiche Studie ist übersichtlich gegliedert. Zunächst
erfahren wir, wie D. die geistig-religiöse Not des heutigen westlichen
Menschen sieht. Vf. setzt dabei D.s Wollen in Beziehung zu
Tendenzen des sog. New Age.

Den Begriff des Initiatischen übernimmt D. von J. Evola. „ Das
Tor zum Geheimen öffnen", „die Einweihung in ein Geheimnis
", deutet es D. Schade, daß das Wort „geistlich" in dt., griech.
oder lat. Fassung so abgegriffen ist, daß es D. nicht passend vorkam
, die immanente Transzendenz zu bezeichnen. D.s Arbeit
geht von einem metaphysischen Menschenbild aus, dem doppelten
Ursprung des Menschen muß Rechnung getragen werden.
Diese Anthropologie hat ihre Aspekte in der Bewußtseinsgeschichte
(dort kommt Gebser zur Sprache), in der Entwicklungspsychologie
(der für D. wichtige Begriff „Reife"), in der
Individuation (im Sinne Jungs) und somatologisch. Was die
D.-Kritik meistens unter der Frage nach östlichem und westlichem
Lebensbewußtsein untersucht, wird vom Vf. interessanterweise
mit dem Menschenbild Luthers verglichen.

Die Gotteserfahrung ist bei D. Seinserfahrung, die philosophischen
Implikationen erörtert der Vf. ausführlich.

Das Kapitel über den christlichen Glauben bei D. geht der
Frage des Synkretismus und des „ Synkritischen " nach. D.s Interesse
an der Unterscheidung von faith und belief hätte mit Bubers
zwei Glaubensweisen verglichen werden können. Das abschließende
Kapitel untersucht die initiatische Übung, den Ruf nach
dem Meister, die Methoden initiatischer Arbeit, die Meditation,
den Alltag als Übung. Die Exkurse erörtern philosophische, psychologische
und theologische Spezialfragen.

Es war schon gesagt worden, der Vf. nimmt D., den geistlich erfahrenen
Philosophen und Psychologen, grundsätzlich gegen alle
Einwände und Kritiken aus ev. und röm.-kath. Sicht in Schutz.
Er registriert zu Recht, daß bei den Berneuchenern vor 50/60
Jahren ein ähnlicher Ansatz versucht wurde. Das könnte durch
Verweis auf das Berneuchener Buch, das „Gottesjahr 1938" und
Stählins Mysterientheologie vertieft werden. Berneuchen sprach
(wie später D.) vom Leib, der man ist, im Unterschied zum Körper
, den man hat. Aber das Unvermögen des Bern. Buches, in der
theol. Diskussion sein Anliegen eindrücklich zur Geltung zu
bringen, kann den Leser heute skeptisch machen gegenüber der
Erwartung des Vf.s, D. werde die ev. Theologie herausfordern.