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Ausgabe:

1992

Spalte:

134-135

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schoeck, Richard J.

Titel/Untertitel:

Erasmus grandescens 1992

Rezensent:

Augustijn, Cornelis

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

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deutet C. im Rahmen dieses Schemas, nämlich als Ausdruck Die Betonung göttlicher Gegenwart in religiöser Erfahrung braucht not-

dafür, daß das gewöhnliche menschliche Leben nicht mehr der wendig ein Korrektiv - und Philosophie und auch Theologie (als logos und

Ort göttlicher Gegenwart ist (53. 58. 72). Zur Zeit des großen by- the°s) haben sich immerauch so verstanden wissen wollen. Das ist das, was

zantinistischen Bilderstreites sind diese drei Formen der "di- ,ch ndie Dialektik„des nennen m°chte, die ausgehalten werden

• „ „ .... . , ,. . ... ., ., ,, .... _ muß, und sie muß nicht nur allgemein ausgehalten werden, sondern auch

stancing voll ausgebildet: 1. die institutionelle Vermittlung; 2. ... . . „ . . . ,. . . . .. ,.. , r

j. ■„_,,. ~, . , ~ , , in jedem einzelnen Glaubigen. C. weist ja selbst auch ausdrücklich auf

die rituelle Sakralitat, die sorgfältig vom profanen Raum und den Augustjnus hia> bei dem beide Tendenzen sichtbar sind; man könnte hier

Dingen des taglichen Lebens getrennt wird; und 3. die philoso- auch Mejster Eckhart nennen, dem C. fälschlicherweise pantheistische

Phisch verstandene participatio divinae naturae, die nach C. die Tendenzen vorwirft (eine längst überholte Meinung, was schon darauf hin-

Personale Relation zu Christus ersetzt (108f; vgl. 122f. 214). Die deutet, daß das Buch in seinen historischen Teilen z.T. weniger überzeu-

Frage, in welchem Maße die menschliche Erfahrung Wort Gottes gend ist). Diese Dialektik aber mit C. aufzugeben, hieße, auf eine Position

•st, tritt nach C. ganz in den Hintergrund. C. macht aber auch zu verfallen, die der Gefahr des Subjektivismus ausgesetzt wäre. Über-

darauf aufmerksam, daß sich bei Augustinus neben der " distan- hauP1' der immer wieder betonte Gegensatz von religiöser Erfahrung und

cing" Gottes auch eine gegenläufige Tendenz findet (vornehm- o?'oto»**« Partizipation bedeutet eine Simplifizierung des Problems,

liok • j ^ r v . ., _ . , , , die der Sache, um die es hier geht, in keiner Weise gerecht wird,

lieh .n den Conesswnes), wo namhchd.e^^^dasentsche.- Nun zu der zwejten Form def -distanci ». der rituellen. Na_

dende Symbol für die göttliche Gegenwart im menschlichen ^ eme überwind der Kluft zwischen dem Sakralen

Leben ist (113; vgl 214). Solche Reaküonen waren zwar zu allen und profanen immer anzustreben Paul Tilhch nat das z B mit

Reiten ,n Gang (C. erinnert in diesem Zusammenhang an The- Forderung einer Theonomie in seinem gesamten Werk

»ese von Avi a, Johannes vom Kreuz, Katharina von Genua, Ig- • . _ A j_ ■ u u. *u u u a

... ' ■ ■ j ■ ^ immer wieder zum Ausdruck gebracht. Aber er sah auch - und

nat.us von Loyola), aber weder die Reformation noch die Gegen- das ^ Recht _ daß di£S Jmmer nur eine Fordem sein kann.

ZTZ Ie,n u „ dJsianci"g ^tteS aufllal" denn wir leben nicht im himmlischen Jerusalem, im Reich Gölten
(215). Die Aufklärung mit ihrer Reduktion des Christentums wQes kejnen Tempe, mehrgibt. D. n. die sakrale« distancing"
auf che natürliche Religion bewirkt erstmals eine stärkere gegen- ^ ^ m übenvinden> in der Existenz aber immer nurf „.

' P fJ'nf " " 10 ™II u"8 emer r ^hg!on dCf Hef" tarisch überwindbar! Wer das nicht sieht, ist unrealistisch; es be-

U 1 i 1 efSt gt ^"u tC e'!e deutete, vor den Zweideutigkeiten menschlichen Seins die Augen

Umkehr dieses Prozesses zustande (217). Diese Umkehr ist nicht
zuletzt bedingt durch die neuen Einsichten in Natur und Funk

zu verschließen. Das, was C. in bezug auf die institutionelle

6, . „ . "distancing" sagt, trifft eben auch auf die sakrale zu!

"on der Symbole, die durch die jüngsten Forschungen auf „ ... „, „ „ , . „ e. ., , . , c , .

, . , ... . . , °,. , C. spricht an einer Stelle selbst von der Gefahr ideologischer Symbole

anthropologischem und linguistischem Gebiet gewonnen werden (343) wie ideologisch> so könnte man hier fragen> ist c.s eigene „Ge-

nten- Schichtstheologie"? Denn diese, als der Versuch, zur Erfahrung der ersten

Diese Einsichten, die C. im 2. Teil seines Buches vorstellt, Generation zurückzufinden, gelingt nur durch zum Teil konstruierte Inter-

könnten mithelfen, ein neues Verständnis auch der christlichen pretationen (was z. B. die schon mehrfach angesprochene Rolle der Philo-

Symbole herbeizuführen (vgl. 257. 269). Entscheidend ist hier sophie anbelangt oder die Interpretation der christologischen und trini-

die Erkenntnis, daß wir nicht nur symbolbildende Wesen sind (so tarischen Auseinandersetzungen, die zwar immer auch eine gewisse "dis-

z- B. Cassirer), sondern daß wir geradezu symbolisch existieren, tancing" bewirken mögen - sie waren aber zu ihrer Zeit der Sache nach ge-

daft ci^k „~:„. v__i^>:____•_________„ ___;„:„„„_,,_;„ fordert; die Wahrheit liegt nicht in der Komplikation, aber sie wird mit der

u<»u sich die geistige Dimension unseres Wesens ja immer nur im . . ' ... , .„*,.' , .

I^ikr l. j •• i i / i -i ->rv^ a cj /- ji j- Zeit immer komplizierter; und was will Theologie anderes, als Antwort

'-e'olichen ausdrucken kann (vgl. 7. 296). Auf der Grundlage die- , ... _ K .. _

Cl ... _, l. . • . j , . geben auf die Fragen ihrer Zeit?)

Erkenntnisse plädiert C. für eine Überwindung der verschie- vielleicht wird C.s Überbetonung der Erfahrungsseite christlichen

uenen Formen der "distancing" und für die religiöse Erfahrung Giaubens verständlicher, wenn man bedenkt, daß es letztlich praktische

der göttlichen Gegenwart als Ausgangspunkt der Theologie (vgl. Interessen sind, die ihn bewegen: nämlich Evangelisation und Katechese

351- 357): "The basic and continuing matrix of divine presence (vgl. 359).

ls People's day-by-day experience of being Christians" (358). C. Diese kritischen Anfragen sollen aber in keiner Weise den Blick

will mit dieser Grundlage einen lebensfähigen Weg eröffnen für verstellen für das grundsätzliche Anliegen dieses Buches, näm-

chnstlichen Glauben in der heutigen Welt. Menschliche Erfah- lieh die z.T. sicherlich übertriebenen Formen der "distancing"

""tmg ist das fundamentale Wort Gottes. Diese muß darum auch Gottes auf rituellem und institutionellem Gebiet abzubauen und

Ausgangspunkt für theologische Reflexion sein (3630- Eine sol- zu einem Christentumsverständnis zu gelangen, wie es nicht zu-

Cne Sicht des Transzendenten durchbricht sowohl die philosophi- letzt das IL Vaticanum initiiert hat (vgl. 252. 341).
sehe wie auch die sakrale "distancing" Gottes. Solche Vermitt-

lungen sind nach C. nicht nötig, da menschliche Erfahrung als Trier Werner Schüßler
Solche immer schon sakramentalen Charakter hat (268. 365):
•^ust as the entire historical life experience of Jesus was Word of

G°d and matrix of divine presence, so also it is people's ordinary Schoeck, R. J.: Erasmus Grandescens. The Growth of a Humanes
that are the receptables of divine presence " (366). (In der nist's Mind and Spirituality. Nieuwkoop: de Graaf 1988. 176
Überwindung der institutionellen distancing ist C. dagegen zu- = Bibliotheca Human.st.ca & Reformators, 43. Lw.
■^ekhaltender: Hier spricht er kein klares Nein aus, da Menschen

Zum Existieren und Handeln immer Institutionen brauchen Obwohl der Titel eher den ersten Teil einer Erasmusbiographie

l-'oö]). Soviel zum Inhalt des Buches, das sicherlich an vielen oder ein zusammenhängendes Bild des jungen Erasmus sugge-

^tellen beeindruckend und auch aus einem prophetischen Geist riert, enthält dieses Buch Studien zu verschiedenen Aspekten

"eraus geschrieben ist; es wirft aber auch eine Reihe von Fragen einer Biographie des „jungen" Erasmus. Das Adjektiv nehme

auf» von denen ich hier nur einige artikulieren möchte. man nicht allzu ernst: Auch das Lob der Torheit, geschrieben als

Ich weiß nicht, ob man die Gegenwart Gottes auf der einen Erasmus zirka vierzig Jahre alt war, wird noch erörtert. Die Ab-

e|te und die "distancing" auf der anderen so gegeneinander aus- sichten des Autors sind klar. In seiner Einleitung sagt er, die Zeit

sPielen darf, wie C. dies bewußt tut. Denn beides hat m.E. seinen sei reif für eine umfassendere Biographie, "a major biographical

etzten Grund in Gott selbst und seinem Verhältnis zur Welt: in study". Die hier gebotenen Studien, zum Großteil schon publi-

der Immanenz und Transzendenz Gottes. Diese Transzendenz zierte Artikel und gehaltene Referate, stellen zusammen nicht ein

^°ttes drückt sich eben letztlich immer auch in diesen verschie- zusammenhängendes Ganzes dar, sondern sie sind Bausteine zu

enen Formen der "distancing" aus. einer Geschichte von Erasmus' geistiger Entwicklung.