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Ausgabe:

1992

Spalte:

128-129

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Haubst, Rudolf

Titel/Untertitel:

Streifzüge in die cusanische Theologie 1992

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

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„Form in literature is an arousing and fulfillment of desires. A
work has form in so far as one part of it leads a reader to antici-
pate another part, to be gratified by the sequence" (39) - das ist
übrigens eine bemerkenswert weite und nichtssagende Definition
, die in gleicher Weise für gehobene Literatur und für Trivialliteratur
(Dreigroschenheft, Fortsetzungsroman) gilt -;

- von „Umkehrung" werde bei Lukas „zwei-polig" geredet (bipolar
reversal= „Gegensätze, bei denen die Pole umgekehrt werden
- z.B. Gutes wird Schlechtes, und Schlechtes wird Gutes"
[42]), und zwar explizit und implizit, was getrennt zu untersuchen
sei - dem entspricht der Aufbau des Buches: Ch. 2. Explicit
Bi-Polar Reversal in Luke, 39-93 (Lk 1,53-55 ;6,20-26; 16,19-
31;18,9-14;14,11/18,14;9,24/17,33;13,30); Ch. 3. Implicit Bi-
Polar Reversal in Luke, 94-163 (Lk 12,13-21 ;2,34;3,4-6;7,36-
50; 10,25-37; 15,11 -32; 18,18-30) -;

- bei der Frage nach der Funktion des „Schemas der Umkehrung
" innerhalb des LkEv sei auch danach zu fragen, „wie die
Adressaten die zwei-poligen Umkehrungstexte gehört oder verstanden
haben" (165) - das geschieht in Ch. 4. Bi-Polar Reversal
and Audience-Expectations: The Form Contextualized in the
Mediterrenean World, 164-184-;

- das „Schema der Umkehrung" sei auf dem Hintergrund der
gesellschaftlichen Werte in der Umwelt des Neuen Testaments zu
sehen; mit Bruce J. Malina (The New Testament World. Insights
form Cultural Anthropology, Atlanta 1981) sei von einer Ehre/
Scham-Gesellschaft (honor/shame society) zu sprechen, in der
„es wichtiger gewesen sei, die Ehre innerhalb der eigenen Statusgruppe
aufrechtzuerhalten, als zu versuchen, den eigenen Status
irgendwie zu verändern, sei es ökonomisch oder auf eine andere
Weise" (95).

Dieser methodische Überbau tritt bei den Exegesen der einzelnen
Texte in den Hintergrund - sie sind solide und differenziert -
und kommt in den drei Kapiteln jeweils erst in den Schlußfolgerungen
wieder zum Vorschein. In diesen stellt Y. folgende Ergebnisse
heraus: Das Thema der „zwei-poligen Umkehrung" drücke
im LkEv „die göttlichen Prinzipien" aus, „aufgrund deren Gott
an den Menschen handelt, wenn er in seinem Sohn Jesus das
Reich einsetzt", und „diese Prinzipien ... (seien) zugleich das
Wertsystem, das zu Jesu Person und Botschaft gehört" (93; vgl.
182). „In seinem Kommen und durch seine Gegenwart kehre
Jesus die Werte um, durch die man Ehre erlange und bewahre: Im
Reich hätten jene die Ehre, die nach den geltenden Maßstäben
ohne Ehre seien"; „die Umkehrung werde freilich an die Annahme
oder Ablehnung Jesu ... gebunden" (162). Lukas habe
also die „rhetorische Form" der „Umkehrung" dazu benutzt,
„um (seinen Lesern/Hörern) einen radikalen Wert-Wechsel... zu
vermitteln" (183). Für die Angesehenen dieser Welt sei „die Botschaft
des Lukas eine harte Warnung (gewesen), für die gesellschaftlichen
Außenseiter und Armen, die an Christus glaubten,
... eine Bestärkung der Hoffnung" (184).

Y. gehört also zu denen, die bei Lukas ein „Armen-
Evangelium" finden, offensichtlich deshalb, weil er die entsprechenden
Aussagen im LkEv auf der Ebene des ganzen Evangeliums
zusammen sieht und wertet. Es ist jedoch zu bezweifeln,
daß Y. zu diesem Ergebnis aufgrund seines methodischen Überbaus
gelangt ist; dieser ist vielmehr schlicht als überflüssig zu beurteilen
.

Münster Martin Rese

Jobes, K. H.: Rhetorical Achievement in the Hebrews 10 .Misquote' of

Psalm 40 (Bibl 72 [ 1991 ], 387-396).
Plevnik, J.: Son of Man Seated at the Right Hand of God: Luke 22,69 in

Lucan Christology (Bibl 72 [ 1991 ], 331-347).
Vanhoyde, A.: Les Juifs selon les Actes des Apotres et les £pitres du Nou-

veau Testament (Bibl 72 [ 1991 ], 70-89).

Kirchengeschichte: Mittelalter

Haubst, Rudolf: Streifzüge in die cusanische Theologie. Münster/
W.: Aschendorff 1991. XVIII, 633 S., 2 Abb. gr.8 = Buchreihe
der Cusanus-Gesellschaft. geb. DM 74,-.

Kein Theologe unserer Zeit hat sich so stark mit dem Werk des
Nikolaus von Kues (NvK) befaßt wie R. Haubst. In den vorgelegten
Streifzügen bietet er - schon vom Titel her, der bewußt an
„De venatione sapientiae" erinnert - keine ausgeführte Theologie
des NvK, aber er bietet mit dem (z.T. überarbeiteten) Wiederabdruck
von zwanzig früheren bzw. dem Erstdruck von vier
neuen Aufsätzen ein breites Spektrum dessen, was NvK theologisch
gedacht hat.

Der Vf. gliedert: O. „Zur Einführung: Denkender Glaube und
gläubiges Denken" (1-75); 1. „Streifzüge in der Grundperspektive
Gott ,über' und ,in' der Welt als seiner Schöpfung" (78-354);
2. „Von der Selbsterfahrung des Menschen zu Jesus Christus als
dem Vollender von Mensch und Universum" (355-459) und 3.
„Die ökumenische Sinnstruktur der Kirche Jesu Christi" (461-
572). Ein ausführliches Register ist beigefügt.

Der Rez. muß sich bei der Fülle des Dargebotenen beschränken
und greift vier Themen auf:

1. Leider trifft noch immer zu, was Haubst schon 1959 konstatierte
: „Um so verwunderlicher ist es freilich, wie wenig sich
gerade die Theologiegeschichte bis vor kurzem mit NvK und insbesondere
mit seiner Konzeption des Verhältnisses von Philosophie
und Theologie befaßt hat": „Theologiae vero christianae
summus interpres et magister". Anstoß bereitet die ausgeprägte
Eigenart cusanischer Terminologie und die Dynamik der gewohnte
Begriffe sprengenden Denkweise (20- NvK ist nicht bloß
Philosoph, sondern auch (und der Rez. meint sogar: vor allem)'
Theologe. Er überläßt nicht einer autonom erklärten Vernunft
einen abgezirkelten Eigenbereich, er bezieht beide, Theologie
und Philosophie, so aufeinander, daß letztlich doch, wie der Rez.
meint, die Philosophie Magd der Theologie ist, dies aber in hochspekulativer
Form. Dem Glaubenden enthüllen sich vor allem in
den Grundstrukturen alles Seins und Denkens so viele Spuren
des trinitarischen Gottesgeheimnisses, so daß man von einer
„analogia Trinitatis" bei NvK sprechen muß, die eben nur durch
die erkenntniskritische „regula doctae ignorantiae" (H. übersetzt
den Begriff mit J. Stallmach als „Weisheit des Nichtwissens")2
„erkannt" werden kann: „Schonungslos demütigt Cusanus den
naiven Erkenntnisstolz des menschlichen Geistes,... daß er diesem
(...) die radikale Unfähigkeit bewußt macht, auch nur
irgendein Ding der realen Erfahrungswelt erschöpfend und allseits
zu begreifen" (8). Weit über alle Erkenntniskritik hinaus
zielt die „docta ignorantia" „auf eine freudvolle Sinnerfüllung
der ganzen menschlich-geistigen Existenz hin "(157), auch wo es
um den fundamentalsten Ineinsfall aller Widersprüche geht, um
den von Ja und Nein, Sein und Nichtsein in Gott (132).

2. Der „analogia Trinitatis" geht Haubst in seinem längsten
Beitrag nach (255-324). In einer Predigt sagt N vK: „ In allem Geschaffenen
sehen wir den Dreieinen und Einen Gott auf Grund
einer gewissen Partizipation. Denn je mehr ein Geschöpf Gott
ähnlich ist, umso mehr ist er dreieines und eines" (261); das Geschaffene
ist „ein Bild der Dreieinigkeit". Keine Begriffe sind
aus der Selbst- und Welterfahrung eindeutig auf Gottt übertragbar
, nur umgekehrt: „ Indem Gott auf sich selbst blickt, schafft er
die dreieinen Dinge. Der Adressat dieser Selbstoffenbarung Gottes
aber ist der Mensch." Weil er das „lebendige Bild Gottes" ist,
kann sein Geist (mens) in der Welt die ihm erkennbaren Trini-
tätsanalogien erfassen, aber sie sind nur im Licht des Glaubens
erkennbar (320, 324). NvK hat nirgends „einen logischen Durchbruch
zur göttlichen Dreieinigkeit selbst hin versucht" (322).

3. Umstritten bleibt, inwieweit man bei NvK von „Mystik"