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Ausgabe:

1992

Spalte:

125-126

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Merklein, Helmut

Titel/Untertitel:

Studien zu Jesus und Paulus 1992

Rezensent:

Burchard, Christoph

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

126

sowohl hinsichtlich der theologischen Linienrührung als auch
hinsichtlich der Begrenzung der Literatur nicht ganz zu übersehen
ist.

Halle (Saale) Traugott Holtz

Merklein, Helmut: Studien zu Jesus und Paulus. Tübingen: Mohr
1987. X, 479 S. gr.8° - WUNT, 43. DM 74 -; Lw. DM 120,-.

Die Besprechung kommt durch meine Schuld zu spät. Zum
Glück gehört das Buch größtenteils zur Gattung Gesammelte
Aufsätze, die nicht so schnell veraltet. Es enthält Studien zu Jesus
samt den Anfängen der Christologie und (additiv gemeint) zu
Paulus. Nämlich: Die Umkehrpredigt bei Johannes dem Täufer
und Jesus von Nazaret (1981)- Jesus, Künder des Reiches Gottes
(1985) - Erwägungen zur Überlieferungsgeschichte der neu-
testamentlichen Abendmahlstraditionen (1977) - Der Tod Jesu
a's stellvertretender Sühntod (1985) - Politische Implikationen
der Botschaft Jesu? (1984) - Basileia und Ekklesia (1986) - Die
Auferweckung Jesu und die Anfänge der Christologie (Messias
bzvv. Sohn Gottes und Menschensohn) (1981) - Zur Entstehung
der urchristlichen Aussage vom präexistenten Sohn Gottes
(1979) - Zum Verständnis des paulinischen Begriffs „Evange-
hum" (1983) - Die Ekklesia Gottes. Der Kirchenbegriff bei Paulus
und in Jerusalem (1979) - Entstehung und Gehalt des paulinischen
Leib-Christi-Gedankens (1985) - Die Einheitlichkeit des
ersten Korintherbriefes (1984) - Die Weisheit Gottes und die
Weisheit der Welt (1 Kor 1,21) (1986) - „ Es ist gut für den Mensehen
, eine Frau nicht anzufassen". Paulus und die Sexualität
nach 1 Kor 7 (1983) - Paulinische Theologie in der Rezeption des
Kolosser- und Epheserbriefes (1981) - Nachweis der Erstveröffentlichungen
und Stellenregister.

Vorher kommen aber 106 unveröffentlichte Seiten über die Bedeutung
des Kreuzestodes Christi für die paulinische Gerechtig-
Keits- und Gesetzesthematik in Form einer „These im klassi-
Schen Sinn des Wortes" (1). Das heißt, M. schreibt, was erdenkt
Und läßt Ahnen wie Kollegen fast nur zwischen den Zeilen durch-
bl'cken. Den Kern der Sache findet er in Gal3,13, auf dem Hintergrund
des alttestamentlichen Sühnekults zu verstehen, obwohl
n'eht in Kultsprache formuliert: „Das ärgerliche Faktum eines
nach Dtn 21,23 als Fluchtod zu wertenden Kreuzestodes Christi
*lrd als (von Gott verfügte bzw. gewährte) Übertragung bzw.
Übernahme der Identität der Verfluchten gedeutet" (29). Dabei
etont M., daß dies eine typologische, keine analogische Deutung
Sei; nicht daß einer als Sühnopfer stirbt, sondern daß es der Mes-
S|as ist, der so stirbt, macht diesen Akt universal und eschatolo-
8'sch gültig, wodurch dann auch der Tempelkult an sein Ende ge-
°rnmen ist. Von diesem christologischen Grundsatz aus geht M.
Rückwärts und vorwärts. Paulus verfolgte Christen, weil sie einen
ekreuzigten verkündigten. Daß dieser trotzdem Gottes Sohn
und Erlöser ist, erkennt er vor Damaskus. Aus dieser Offenbarung
erschließt er die Sündhaftigkeit aller Menschen, und da der
'uchtod des Messias ihnen zugut geschehen ist, wurzelt hier
auch die Erkenntnis, daß sich in ihm Gottes heilschaffende Gerechtigkeit
(als „Verheißungstreue" besser denn als Schöpfer-
reue zu definieren, 63) offenbart und als Glaubensgerechtigkeit
v°n jedermann ergriffen werden kann. Der Kreuzestod Jesu ist
Schließnch auch die Grundlage der paulinischen Gesetzeslehre
Iind Ethik, denen M. gut 40 Seiten widmet. In ihm kommt die
0ra als am Sinai erlassenes Gesetz zu ihrem Recht, aber auch
rem Ende, mit ihm beginnt ihre Erfüllung(M. spricht auch hier
v°n Typologie, 1040, in Gestalt des Gesetzes Christi (Gal 6,2),
namlich des Liebesgebotes, das den ergreift, der sich mit Christus
kreuzigen läßt.

Diese zentripetale Rekonstruktion imponiert durch Konsequenz
. Viele Einzelbeobachtungen leuchten ein. Zum Beispiel ist

es wohl richtig, bei Gal3,19f auch an die Kultvorschriften zu
denken (69ff). Vielleicht sollte man dann konsequenterweise
überlegen, ob „Übertretungen" wirklich allgemein die Sünde bezeichnet
, die das Gesetz entlarven soll (74), oder nicht vielmehr
den Abfall zu fremden Göttern, vor dem das Deuteronomium Israel
bewahren will (und bewahrt hat, denn sonst wäre, als die Zeit
erfüllt war, keine Nachkommin Abrahams mehr dagewesen, um
den Messias zur Welt zu bringen).
Drei grundsätzliche Anmerkungen:

1) Ist Gal 3,13 nicht überlastet? Paulus redet nur in Gal
3,10-14 vom Fluch des Gesetzes, und zwar über die, „die aus
Werken des Gesetzes sind". M. müßte mehr tun, um zu zeigen,
daß das universal gemeint ist (Heiden haben das Gesetz doch
nicht) und daß die Befreiung vom Fluch nicht nur einen Aspekt
der Heilswirkung des Sterbens Jesu darstellt.

2) M. beschreibt ein geschlossenes Denkgebäude mit deduktivem
Grundzug: am Anfang war das Wort vom Kreuz, daraus folgen
Sündhaftigkeit aller Menschen, Zorn Gottes, Ablehnung von
Werkgerechtigkeit, sola gratia und so weiter. Andererseits unterstreicht
M., daß allgemeine Sündhaftigkeit oder Heil allein aus
Gnaden schon jüdisch gedacht wurden (und daran liegt ihm:
Paulus' Rechtfertigungslehre ist nicht anitjüdisch). Gesetzt, Paulus
' Theologie (viel weniger gibt M. nicht) läßt sich als System
darstellen: müßte man nicht deutlicher machen, daß es mehr
durch Auswahl, Arrangement und Neuinterpretation gegebener
Elemente zustandegekommen ist als durch Ableitung aus einer
Grundwahrheit?

3) M. macht wenig deutlich, was das alles mit dem Mann aus
Nazareth zu tun haben könnte. Das Vorwort S. VI trägt einiges
nach. Man könnte hinzufügen: auch die Opposition zwischen
Glauben an Christus und Werken des Gesetzes (die nach Gal
2,15f nicht exklusiv paulinisch ist) wird nicht ohne Anhalt an der
Auseinandersetzung Jesu mit der pharisäischen Halacha formuliert
worden sein.

Heidelberg Christoph Burchard

York, John O.: The Last Shall be First. The Rhetoric of Reversal
in Luke. Sheffield: Sheffield Academic Press/JSOT 1991. 209
S. 8° - Journal for the Study of the New Testament, Suppl.
Series 46. Lw. £ 25,-.

Seit langem ist bekannt, daß im LkEv die Umkehrung der Verhältnisse
, sei es jetzt oder in Zukunft, stärker als in den anderen
Evangelien betont wird. Eine besondere Rolle spielen dabei Stellen
wieLk 1,51-53; 6,20-26; 16,19-31; im 19. Jh. zählte man sie
zur „ebionitischen" Überlieferung des Lukas, im 20. Jh. spricht
man in diesem Zusammenhang zumeist vom „Armen-Evangelium
" bei Lukas, und seit einiger Zeit wird darüber diskutiert, ob
Lukas sich als „Evangelist der Armen" oder als „Evangelist der
Reichen" verstanden hat (vgl. ThLZ 106, 1981, 233f; 110, 1985,
737ff).

Im vorliegenden Buch geht es freilich weder um diese neuere
Diskussion noch um den schon länger andauernden Streit über
die theologische Bedeutung des „Armen-Evangeliums", obwohl
Y. davon weiß, wie seine Forschungsgeschichte (Ch. 1. Introduc-
tion, 9-38) zeigt. Vielmehr interessiert sich Y. vor allem für das
„Schema der Umkehrung" (pattern of reversal) im LkEv. Diese
„rhetorische Form" will Y. untersuchen, indem er fragt, „was
der Term ,Umkehrung' im lukanischen Kontext meint, welche
Funktion er im Evangelium als ganzem hat (und) warum
Lukas dieses Schema in seinem Evangelium aufnahm" (10).

Methodisch setzt Y. bei seiner Untersuchung die folgenden,
sich dann auch auf die Gliederung auswirkenden Punkte voraus
:

- „Rhetorische Form" sei mit Kenneth Burke zu definieren: