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Ausgabe:

1992

Spalte:

124-125

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kittel, Gisela

Titel/Untertitel:

Der Name über alle Namen ; 2.Biblische Theologie 1992

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

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schieht - am Schluß der Gesamtausführungen nur ein knapper
Abschnitt steht, der von der Osterfahrung der Jünger handelt.

Die Gesamtanlage der Darstellung hat darüber hinaus noch
einen zweiten Vorzug: Diejenigen, die Jesu Wirken für ihre Programme
instrumentalisieren, halten sich in der Regel bei historisch
-traditionsgeschichtlichen Fragen gar nicht erst auf. Sie dekretieren
mehr oder weniger, was Jesus gesagt und getan hat.
Umgekehrt ist des Fachexegeten Filigranarbeit, um historisch
Tragfähiges zur Diskussion stellen zu können, für den Nichtfach-
mann schwer durchschaubar und wird oft doch auch nicht nur
grundlos als Esoterik eingestuft. Hier zwischen Skylla und Cha-
rybdis hindurchzufahren, ist praktisch seit den Anfängen der historischen
Jesusforschung ein delikates Problem. Gnilka löst es
auf ansprechende Weise: Seine Darstellung basiert auf den mit
breitem Konsens Jesus zugewiesenen Materialien. Für ihre Beanspruchung
als echtes Jesusgut führt er darüber hinaus dann meistens
eine knappe, aber entscheidende Argumentation, indem er
die für ihn bedeutsamen Beobachtungen kurz skizziert, um dann
den Text in ein Gesamtbild der Worte und Taten Jesu einzubinden
. An der Erstellung dieses Gesamtbildes arbeitet Gnilka mit
zielstrebiger Energie.

Dabei steht für ihn im Mittelpunkt der Botschaft Jesu die Verkündigung
des Reiches Gottes. Nach einer (mir zu knappen und
allgemeinen) Hinführung, in der die politische, geistig-religiöse
und soziale Lage des Judentums zur Zeit Jesu angesprochen
(35-74) und auch mit wenigen Strichen auf den Täufer eingegangen
wird (75-86), wird dieses entscheidende Thema breit entfaltet
(87ff.). Gnilka tut das, indem er bei den Gleichnissen Jesu einsetzt
. In ihnen zeigt sich eine „Güte", die „nicht bloß eine
erzählte, glücklich erfundene" ist, „sie war Ereignis im Wirken
Jesu" (102, vgl. 99). Es ist eine „seinsverwandelnde Güte" (107).
Konkret: Die von Jesus gewährte Tischgemeinschaft mit Zöllnern
und Sündern ist „symbolischer Ausdruck für „geschenkte
Sündenvergebung" (112). „Jesus machte das Heil erfahrbar,
indem er sich den Menschen zuwandte... Die Kraft seines Zuspruches
liegt in der Hinwendung zum konkreten einzelnen, gerade
des Verachteten, Geschändeten, des Sünders..." (117).

Von diesem Ansatz her bespricht Gnilka die Heilungen und
Wunder Jesu, die - wie er mit Recht bemängelt - in vielen Jesusbüchern
zu sehr an den Rand gedrängt werden (118-141): „Für
Jesus wird in seinen Machttaten die Gottesherrschaft als das endgültige
Heil erfahrbar, aber noch nicht in seiner Endgültigkeit"
(136). Damit ist das klassische Thema von Gegenwart und Zukunft
der Gottesherrschaft angesprochen (141-157): In diesem
Begriff verbirgt sich ein Handeln Gottes, bei dem „Jesus selbst
zum Garanten der Entschlossenheit Gottes zum endgültigen
Heil" wird, so daß mit ihm „ Zukunft schon Gegenwart geworden
ist", ohne daß „die zeitliche Spannung im Blick auf die Zukunft
... aufgehoben " wi rd (15 6).

Die bewährte Grobeinteilung einer Verkündigung Jesu in zwei
Großabschnitte, nämlich in das Heil der Gottesherrschaft und
die daraus folgende Lebensführung, modifiziert Gnilka, indem
er der Darstellung der Gottesherrschaft die spezielle Nachfolge
als „charismatische" Jüngerschaft (168) und das Wirken Jesu in
Israel vor die allgemeinen Weisungen Jesu stellt (204-250). Das
zur Zeit heiß umkämpfte Thema: Jesus und die Thora wird dabei
so gelöst: „Die Gottesherrschaft weist der Thora einen anderen
Platz an ... Das Heil ist an die Gottesherrschaft gebunden, nicht
an das Gesetz" (214). Mit den Antithesen will Jesus „die Überwindunggesetzlichen
Denkens und Handelns" (216).

Es folgt ein Abschnitt über die „ Sendungsautorität Jesu"(251-
267). Da die Erfahrung Gottes in Jesus ein Erwähltsein übersteigt
, hat man in Jesus Gott selbst erfahren (256). „Die kommende
Gottesherrschaft wurde in ihm Ereignis" (258). „Die
Summe seiner Sendungsautorität sperrt sich" dabei „gegen die
Kategorisierung mit Hilfe eines Hoheitsprädikates" (259).

Das Buch endet mit den Passionsereignissen (268-318) und
einem „Österlichen Nachwort" (319). Dabei gilt, daß der Konflikt
, der Jesu Wirken von Anfang an bestimmte, sich zuspitzte
und mit der Hinrichtung Jesu endete (268).

Alles in allem: Eine Jesusdarstellung, die nicht nur dem Studenten
, sondern auch einem größeren Leserkreis verläßliche Information
gibt, bei der der Historiker unnachgiebig bei seinem
Geschäft bleibt: aber das Feuer seiner inneren Anteilnahme bedingt
, daß der Leser an das Geheimnis des Jesus von Nazaret herangeführt
wird.

Kiel Jürgen Becker

Kittel, Gisela: Der Name über alle Namen II. Biblische Theologie
/NT. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990. 243 S. 8°
= Biblisch-theologische Schwerpunkte, 3. Kart. DM 29,80.

Die Reihe „Biblisch-theologische Schwerpunkte", der das
Buch zugehört, will einem größeren Leserkreis wesentliche Elemente
des christlichen Glaubens erschließen. Gisela Kittel legt
eine „Biblische Theologie" vor, deren zweiter Band das Neue
Testament behandelt. Die Vfn. ist für solche Darstellung durch
ihre religionspädagogische Orientierung vorzüglich geeignet; das
Buch ist klar gegliedert, gut lesbar und mit begrenztem, aber
überlegt ausgewähltem wissenschaftlichen Apparat und Literaturhinweisen
zur Weiterarbeit ausgestattet. Die inhaltliche Darstellung
ist betont an charakteristischen Texten des Neuen Testaments
orientiert; auch dadurch eignet sich das Buch gut zur
Arbeit mit einer an biblisch-theologischen Fragen interessierten
Gruppe, weit über den Rahmen der Oberstufe eines Gymnasiums
hinaus.

Die Vfn. ist inhaltlich einer bibeltheologischen Sichtweise der
neutestamentlichen Verkündigung verpflichtet, wie sie besonders
in Tübingen gepflegt wird. Sie begreift die zentralen theologischen
Vorstellungen des Neuen Testaments von Vorgaben des
Alten Testaments her, die mit der Jesus-Geschichte vollendet
werden. Daher durchziehen Verweise auf das Alte Testament
(und bisweilen natürlich auch auf den ersten Band ihrer „Biblischen
Theologie", der das Alte Testament behandelt) die Darstellung
. Das ist theologisch anregend und gewiß auch grundsätzlich
zutreffend. Nur tritt dadurch die Bedeutung der geschichtlichen
Vermittlung solchen Zusammenhangs zwischen den beiden Testamenten
durch das Frühjudentum stark zurück wie ebenso die
Frage nach dem Stellenwert und dem faktischen Einfluß anderer
religions- und geistesgeschichtlichen Erscheinungen, durch die
der Rezeptionshorizont mitgestaltet wird, der die Weiterführung
alttestamentlicher theologischer Ansätze im Neuen Testament
bestimmt. Entsprechend spielen auch die historischen Fragen,
die an die neutestamentliche Überlieferung zu stellen sind, nur
eine untergeordnete Rolle.

Da die Vfn. eine biblische Theologie bieten will, die sich aus
dem gesamten Neuen Testament, nicht nur aus einzelnen seiner
Teile ergibt, muß sie eine bestimmte Systematik zugrunde legen,
die nicht ohne weiteres einer der neutestamentlichen Zeugen an
die Hand gibt. Sie gliedert ihre Darstellung in vier Kapitel, die
sich mit der Christologie beschäftigen, der Soteriologie, dem
Empfang des Heils im Glauben sowie der „neuen Welt Gottes",
die sich im Wirken Jesu darstellt, in der Gemeinde Gestalt gewinnen
will und auf die sie doch erst zugeht. Damit werden zweifellos
die wesentlichen Elemente der neutestamentlichen Verkündigung
zur Sprache gebracht; und es ist auch angemessen, daß dies
nicht in theologisch-systematisierender Weise geschieht, sondern
in der Auslegung zentraler biblischer Texte.

Das Buch darf im Rahmen seines Anspruchs als wirklich gelungen
bezeichnet werden, auch wenn eine gewisse Einseitigkeit