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Ausgabe:

1992

Spalte:

120-121

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barrett, Charles K.

Titel/Untertitel:

Das Evangelium nach Johannes 1992

Rezensent:

Pokorný, Petr

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

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ten ausgelegten Perikopen aus der Bibel sowohl „die Vielfalt der
biblischen Literatur selbst irgendwie spiegeln", als auch inhaltlich
von einigem Gewicht sind.

Diesen Kriterien und der in Teil I vorgetragenen Klassifizierung der
Midraschim gemäß beginnt der Vf. seine Auswahl mit fünf Beispielen
halakhischer Midraschim (54-91), und zwar Mekhilta zu Ex 12,29-36 und
22,24-29; Sifra zu Lev 14,2-4; Sifre zu Num 35,29-34 und zu Dt 11,22.
Dann folgen sechs Beispiele „aus den klassischen Auslegungsmidraschim
der amoräischen Zeit in ihrer vermuteten zeitlichen Abfolge" (91), nämlich
GenRabba zu Gen 1,26 und 15,8-21; KlglRabba zu Klgll.l;
HldRabba zu Hld2,8-ll; EstRabba zu Est2,5-23 und KohRabba zu
Koh 11,10-12,8. Die Predigtmidraschim, „literarische Texte, Lesepredigten
, die für eine Synagogenpredigt Material bieten" (143), sind mit vier
Beispielen (143-185) vertreten: LevRabba 16 zu Lev 14,2-5; Pesiqta
deRav Kahana 13 zu Jer 1,1 -3; Pesiqta Rabbati 36 zu Jes 60,1 -2 und Tan-
chuma Lekh lekha 1-5 zu Gen 12,1-17. Für die „nacherzählte Bibel",
deren Aufgabe es war, „das angesammelte Traditionsgut attraktiv zu verarbeiten
" (186), stehen drei Beispiele (186-204): Pirqe deRabbi Eliezer 10 (=
Jonaerzählung); Seder Elijahu Rabba 6 (= Abraham als Vorbild Gott wohlgefälligen
Tuns) und Divre ha-Jamim schel Mosche Anf. (= Moses Kindheit
, Ex 1-2).

Gemessen an der umfangreichen Bibliothek, die die Midrasch-
Literatur umfaßt, ist es insgesamt nur eine bescheidene kleine
Auswahl von Texten, die dem Leser hier geboten wird; und wie
bei jeder Auswahl kann man natürlich auch bei dieser fragen,
warum der Vf. diese und nicht andere Texte ausgewählt hat.
Gleichwohl muß man dem Vf. bescheinigen, daß er den Ansprüchen
, die er mit seiner Auswahl und den ihr zugrunde liegenden
Kriterien gestellt hat, durchaus gerecht geworden ist. Das gilt
ebenso im Blick auf die geleistete Übersetzungsarbeit wie im
Blick auf die Kommentierung der Übersetzungen. Den gut lesbaren
Übersetzungen ist die Erfahrung des Vf.s im Umgang mit der
rabbinischen Literatur abzuspüren. Sie sind übersichtlich gegliedert
und dank der Verwendung verschiedener Schrifttypen auch
gut zu überschauen. Im Original elliptische Sätze oder Wendungen
hat der Vf. behutsam ergänzt. Insgesamt lassen sich die Texte
flüssig lesen, sogar vorlesen, und sind allenthalben verständlich
. In den Kommentaren werden dem Leser, ohne ihn mit Einzelheiten
zu überhäufen, dennoch zum Verstehen der Texte erforderliche
Erläuterungen geboten, sowohl in formaler (vorab
sprachlicher) als auch inhaltlicher (theologischer oder religionsgesetzlicher
) Hinsicht. Immer wieder beweist der Vf. dabei seine
Fähigkeit, auch kompliziertere Sachverhalte in knapper, faßlicher
Form vortragen zu können, ohne zu simplifizieren, sondern
dem Anliegen des Buches gemäß zu kommentieren.

Für das Buch werden ohne Zweifel viele dem Vf. und dem Verlag
dankbar sein: Die Nichtfachleute, denen damit ein zuverlässiges
Instrument in die Hand gegeben worden ist, das ihnen einen
sicheren Zugang zur Midrasch-Literatur zu eröffnen geeignet ist.
Aber auch die Fachleute, die manche Anregung durch die Lektüre
bekommen, nicht zuletzt aber auch expresis verbis auf Aufgaben
hingewiesen werden (2250, die noch auf ihre Erledigung
warten: dazu gehört die Erstellung weiterer kritischer Texteditionen
ebenso wie die Erarbeitung von zuverlässigen Übersetzungen
und Kommentaren; denn „viele der vorhandenen Übersetzungen
entsprechen einfach nicht mehr heutigen Ansprüchen".
Was in dieser Hinsicht bereits geleistet worden ist, hat der Vf. zusammengefaßt
. Vergessen hat er dabei leider nur jeden Hinweis
darauf, was gerade in Spanien in den letzten Jahren an vorbildlicher
Arbeit auf diesem Gebiet geleistet worden ist.

Berlin Stefan Schreiner

Martini, Carlo M.: Wer in der Prüfung bei mir bleibt. Von Ijob zu Jesus. Aus
dem Ital. von M. Gerberich. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1991. 158 S.
8°. geb. DM 24,80.

Niemann, Raul [Hg.]: Judas, wer bist du? Gütersloh: Mohn 1991. 120 S.
8°. geb. DM 24,80.

Neues Testament

Barrett, Charles Kingsley: Das Evangelium nach Johannes. Eingel
, u. erkl. Übers, von H. Bald. Göttingen: Vandcnhoeck &
Ruprecht 1990. 608 S. gr.8° = Kritisch-exegetischer Kommentar
über das Neue Testament, Sonderbd. Lw. DM 128,-.

Fast fünfzig Jahre nach der ersten Veröffentlichung des Johannes
-Kommentars von Rudolf Bultmann (1941) ist in dem bekannten
Meyerschen Kommentarwerk eine andere Auslegung
des vierten Evangeliums erschienen. Was die exegetische Facharbeit
und die theologische Konzeption betrifft, ist sie dieser ebenbürtig
, wenn sie auch eine andere, nämlich die englische Tradition
der Forschung repräsentiert. Es handelt sich um die
Übersetzung des Kommentars, der zum ersten Mal im Jahre
1955 und in einer neuen Bearbeitung im Jahre 1978 erschienen
ist. Der Vf. konnte also in den Anmerkungen und Exkursen sowohl
auf die zwei anderen von R. E. Brown und R. Schnackenburg
verfaßten großen modernen Kommentare als auch auf die
inspirierenden Studien von Ernst Käsemann reagieren. Die Gesamtkonzeption
ist jedoch den Fachleuten schon einige Jahrzehnte
bekannt. Dies ist offensichtlich der Grund für die Veröffentlichung
dieser Übersetzung als eines Sonderbandes.

Wenn man den Kommentar von B. mit dem Bultmannschen
vergleicht, sehen wir, daß er das JoEv in einem engeren Zusammenhang
mit der synoptischen Tradition (der Vf. des vierten
Evangeliums „besaß ein außerordentliches Gespür für den theologischen
Sinn der gesamten früheren Einzeltradition" - S.44)
und mit der späteren Entwicklung der Theologie (z. B. 107.114
u.a.) deutet, was nicht ganz unberechtigt ist. Mindestens eine
Linie des johanneischen Denkens hat die spätere Dogmenbildung
tief beeinflußt. Barrett kann auf die Arbeit von T. E. Pollard
, Johannine Christology and the Early Church (1970) hinweisen
. Bultmann hat das JoEv stärker aufgrund der Ausdrücke
des Erkennens interpretiert, die er in der Kategorie „Offenbarung
" zusammenfaßt, und in gewisser Hinsicht hat er das Evangelium
auch verfremdet: zu Jo 17,26, wo nach ihm das letzte Ziel
der Glaubenserkenntnis angedeutet ist, sagt er z. B., daß die stete
Gegenwart der Offenbarung (gr. egnörisa u. gnörisö) die Be-
stimmheit der gläubigen Existenz durch die Offenbarung bedeutet
, durch welche die Welt wieder zur Schöpfung (d. h. entgött-
licht) wird. B. hat das Johannesevangelium, ohne die kritische
Analyse zu unterlassen, vor allem kirchlich legitimiert. Z.B.
interpretiert er Jo 17,26 dahingehend, daß das Kundtun des
Namens Gottes in Personalunion (von Jesus und Gottvater)
sowie durch das Werk des Heiligen Geistes geschieht und daß die
Anwendung der beiden Tempora die Historisierung der Vergangenheit
und die ahistorische Auffassung der Zukunft verhindern
soll.

B. distanziert sich von Ernst Käsemann und seiner Interpretation
des vierten Evangeliums, wonach Jo 1,14 keine positive
Bewertung der Inkarnation bedeutet, sondern nur die Wirkungskraft
des göttlichen Logos ausdrückt, der auch die Barriere der
Materie überwindet (Jesu letzter Wille nach Johannes 17, 1966,
82) - wie z.B. auch das gnostische Evangelium Veritatis (NHC
1/3) den Logos in sarkischer Gestalt begreift (31,40 - eine Deutung
, die der Bultmannschen mindestens nicht direkt widerspricht
. Seine positive Auffassung der Inkarnation bedeutet noch
nicht, daß er sie für eine positive Qualifizierung des Gegenständlichen
hält. Das JoEv ist wirklich ein Buch, das auf der Kreuzung
zwischen Häresie und möglicher Unterstützung der späteren
Rechtgläubigkeit steht.

Stärker als die theologischen Differenzen sind jedoch die Gemeinsamkeiten
von Bultmann und Barrett. Beide begreifen
Jo 1,14 als eine grundlegende Aussage des Evangelisten, die zu
seiner Theologie gehört; beide interpretieren das johanneische