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Ausgabe:

1992

Spalte:

107-108

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Zum Problem des biblischen Kanons (= Jahrbuch für Biblische Theologie 1988) 1992

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Seite 1

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107

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 2

108

höchstmögliche Konkretheit. Sie erkennt so zuerst die Relationen
, in denen diese Personen stehen. Nur über dieses Beziehungsgeflecht
sind dann die bestimmenden theologischen und
ethischen Ideen zu erheben. "We can then map out what accor-
ding to that text is 'believed to be true or not-true' (theology) and
what is 'believed to be good or not-good to do' (ethics)" (ebd.).

Diese Differenzierung zwischen Überzeugungen und Ideen -
" Convictions and (theological or ethical) ideas should not be con-
fused" (209) - halte ich für eine wichtige Herausforderung. Sie
wurde immer schon bei traditioneller Exegese erfragt. Aber: Der
traditionellen Exegese fällt es schwer, übereinstimmende Arbeitsergebnisse
vorzulegen. Es wäre zu hoffen, daß dieses Projekt
dabei Hilfe leistet.

Leipzig Rainer Stahl

1 Im Inhaltsverzeichnis ist aus Versehen als Beginn dieses Kapitels
S. 105 angegeben. Dort beginnt aber das Vorwort für den ganzen Teil II.

2 Leider kann dieser Überblick die terminologisch „geballte" Sprache
des Verfassers lediglich zitieren. Nur eine Lektüre der Arbeit vermag in die
verschiedenen Dimensionen der verwendeten Fachsprache einzuführen.

Jahrbuch für Biblische Theologie (JBTh). In Verb, mit P. D. Han-
son, U. Mauser u. M. Saebo hg. von I. Baldermann, E. Dass-
mann, O. Fuchs, B. Hamm, O. Hofius, B. Janowski, N. Lohfink
, H. Merklein, W. H. Schmidt, G. Stemberger, P.
Stuhlmacher, M. Welker u. R. Weth. 3 (1988): Zum Problem
des biblischen Kanons. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag
1988. 294 S. 8°. Pb DM 49,80.

Die wissenschaftliche Debatte um Fragen des Kanons der biblischen
Schriften hat sich seit einiger Zeit belebt. Es geht dabei
nicht nur um neue Beobachtungen und Einsichten im Hinblick
auf die Entstehungsgeschichte des Kanons, sondern vor allem
auch um weiterreichende Aspekte, insbesondere um die Einheit
des Kanons der alttestamentlichen und der neutestamentlichen
Bücher, um die exegetische und theologische Relevanz der .Einheit
der Schrift', um die Funktion der außerkanonischen Schriften
sowie um ökumenische Gesichtspunkte, auch im Rahmen
des Gesprächs mit dem Judentum. Einige Beiträge der vorliegenden
Sammlung von Aufsätzen zu dieser Thematik sind speziell
der lebhaften Diskussion über Kanonsfragen in den USA gewidmet
. Verfasser und Titel:

I .Kanonische Schriftauslegung'. - B. S. Childe, Biblische Theologie und
christlicher Kanon (13-27); N. Lohfink, Was wird anders bei kanonischer
Schriftauslegung? Beobachtungen am Beispiel von Psalm 6 (29-53); H.-J.
Kraus, Das Telos der Tora. Biblisch-theologische Meditationen (55-82);
H.-G. Link, Der Kanon in ökumenischer Sicht (83-96); I. Baldermann, Didaktischer
und .kanonischer' Zugang. Der Religionsunterricht vor dem
Problem des biblischen Kanons (97-111).

II Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Kanons. - M. Saebo, Vom
.Zusammendenken' zum Kanon. Aspekte der traditionsgeschichtlichen
Endstadien des Alten Testaments (115-134); J. Maier, Zur Frage des biblischen
Kanons im Frühjudentum im Licht der Qumranfunde (135-146);
H. Hübner, Vetus Testamentum und Vetus Testamentum in Novo recep-
tum. Die Frage nach dem Kanon des Alten Testaments aus neutestamentli-
cher Sicht (147-162); G. Stemberger, Jabne und der Kanon (163-174);
H. P. Rüger, Das Werden des christlichen Alten Testaments (175-189); R.
Berndt, Gehören die Kirchenväter zur Heiligen Schrift? Zur Kanontheorie
des Hugo von St. Viktor (191-199); H.J. Sieben, Die Kontroverse zwischen
Bossuet und Leibniz über den alttestamentlichen Kanon des Konzils
von Trient (201-214).

III Bericht und Rezension. - P. D. Miller, Jr., Der Kanon in der gegenwärtigen
amerikanischen Diskussion (217-239); M. Oeming, Text - Kontext
- Kanon: Ein neuer Weg alttestamentlicher Theologie? Zu einem Buch
von Brevard S. Childe (241-251); M. Weinrich, Vom Charisma biblischer
Provokationen. Systematische Theologie im Horizont Biblischer Theologie
bei Hans-Joachim Kraus (253-265); G. Stemberger, Pseudonymität

und Kanon. Zum gleichnamigen Buch von David G. Meade (267-273); E.
Dassmann, Wer schuf den Kanon des Neuen Testaments? Zum neuesten
Buch von Bruce M. Metzger (275-283).

Ein einführendes Vorwort mit der Ankündigung zweier weiterer
Bände zur Frage des Gesetzes und zum Thema Schöpfung/
Neuschöpfung haben G. Stemberger und I. Baldermann den Aufsätzen
vorangestellt (5-7).

K-H. B.

Altes Testament

Davies, P. R.: Daniel. Sheffield: JSOT Press 1985. 133 S. 8 =Old
Testament Guides. Kart. £ 2,95.

Davies hat eine lesbare und informative Einführung in die Probleme
der Daniel-Kapitel vorgelegt. An jeden Paragraphen fügt
er eine klug ausgewählte Auswahl einschlägiger Sekundärliteratur
an. Bei strittigen Forschungspositionen werden die Argumente
pro und contra in knapper, meist zutreffender Weise auch
dem Nichtfachmann vor Augen geführt. Dan 2-6 gelten als alter,
vormakkabäischer Bestand, Kap 7-12 als sukzessiv gewachsene
Erweiterung der Makkabäer. Innerhalb der Paragraphen führt
der gegenwärtige modische literarkritische Eifer gern zu einer
Scheidung der Mehrzahl von Schichten, was nicht jeden überzeugen
muß.

Nach einem Vorwort wird 2) The Historical Background, 3)
The Languages of the Book, 4) The Story Cycle, 5) The Vision Se-
ries, 6) The God of Daniel behandelt.

Das nachfolgende Kapitel 7), The Jewish Hero and the Gentile
King, erscheint mir besonders gut gelungen. Wichtig ist hier
schon die Beobachtung zu Kapl, daß die Zurückweisung der
zugeteilten Königsspeise durch die judäischen Jünglinge nicht
aus einem Gehorsam gegen die Vorschriften alttestamentlichen
Gesetzes abzuleiten ist; diese Stelle ist die einzige im Danielbuch
, die man überhaupt für eine Gesetzesobservanz der hinter
dem Danielbuch stehenden Kreise ins Feld führen kann, was
denn auch häufig geschieht. " But not Jewish dietary laws require
vegetarian intake only, and wine is forbidden only to Nazirites"
(90). Vielmehr handelt es sich um "a symbolic denial of the
King's implicit claim to be the sole provider" (91). Das ist zweifellos
zutreffend. In diesem Kapitel wird von D. die erstaunliche
Offenheit des Diaspora Judaism gegenüber der Fremdmacht
ebenso herausgestrichen wie das erstaunliche Interesse am heidnischen
Königtum, das nicht an seinem Verhältnis zu den Ju-
däern selbst gemessen wird, sondern allein an der Anerkennung
von deren Gott, ohne daß eine Belehrung nötig erscheint. Weniger
überzeugend wirkt 8) The Jewish people, the 'Son of Man'
and the 'Holy Ones'. Hier wird, vor allem gegen die Argumentation
von Collins, die verbreitete national-kollektive Deutung der
Heiligen und - freilich mit Fragezeichen - des Menschensohns in
Dan7 verteidigt; bezeichnenderweise wird nur die mögliche
Vieldeutigkeit des Ausdrucks „Heilige", nicht aber die m. E. für
das Problem entscheidende Verbindung qaddise 'aeljönin weiter
diskutiert (vgl. K. Koch, Das Buch Daniel, EdF 144,1980 § 9.3).

Die Schlußteile 9) The 'Wise' and Their Deliverance sowie 10)
The Authors ziehen eine Zuweisung der Danielkreise zu anderwärts
belegten judäischen Gruppen der vorchristlichen Zeit (z. ß-
Hasidäer) in Zweifel. Den maskilim kommt es darauf an, sich
und andere „gerecht zu machen". Das geschieht einzig durch
Belehrung, "to learn that God is in control of history" (111).

Das Büchlein gibt einen guten Überblick über die gegenwärtige
Danielexegese, selbst wenn man den Urteilen des Verfassers
nicht in allen Punkten folgen wird. Bewundernswert ist, welche
Fülle von Informationen auf verhältnismäßig geringem Raum
geboten wird.