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Ausgabe:

1992

Spalte:

944-946

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schöll, Albrecht

Titel/Untertitel:

Zwischen religiöser Revolte und frommer Anpassung 1992

Rezensent:

Heimbrock, Hans-Günter

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

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die wahrscheinlich nur schwer zu verifizierende Behauptung, nur
Gebet und Erzählung seien angemessene Formen theologischer
Aussage, weil nur sie „das Existentielle" auszusagen erlaubten.
Wenn wir dann wenig später lesen, daß „vollkommene Poesie
Gebet" sei. also Theologie, ist es m. E. um eine Verhältnisbestimmung
, der es ja um eine In-Beziehung-Setzung von zu Unterscheidendem
geht, geschehen. Und was sagt der Dichter zu solchen
Wortspielen? Im übrigen läßt es Frau Solle an harscher
Kritik an einer „poesielosen Theologie", an der Kirche, an den
Medien etc. nicht fehlen. Vieles, was da zu lesen ist, erscheint
durchaus erwägenswert, z. B. die Kritik an der nur-rationalen
Sprache auch der Fachtheologie, der es dadurch verunmöglicht
sei. Existentielles authentisch zur Sprache zu bringen, z. B. das
Leiden, das Glück, die Verzweiflung. Aber ist die Alternative
dann gleich der Mythos, das Gedicht? Stehen wir da nicht in der
Gefahr, die auch für die Theologie notwendige Aufklärung zu
verspielen und Irrationalismen anzuhängen?

Wie immer, nicht jedes Gedicht ist schon Theologie. Das wäre
es im Horizont christlicher und theologischer Tradition nur
dann, wenn es „in der Begrenzung und Erhebung durch den
rechtfertigenden Glauben gesprochen würde". So Hans Stock in
einer vorzüglichen Rezension im „Evangelischen Erzieher"
1989, 479.

Ursula Baltz-Otto geht das Verhältnis von Literatur und Theologie
von der Seite eines didaktischen Interesses an. Dabei beginnt
sie mit einer grundsätzlichen Kritik an der Trennung zwischen
Unterrichtsfächern wie Religion, Deutsch und Philosophie
, die es alle mit Texten und darin auch mit gleichen Methoden
zu tun hätten. Akzente setzt die Verfasserin dann auf das den
Fächern Gemeinsame, nämlich auf die Bedeutung ästhetischer
Kategorien und auf die Feststellung, daß zwischen literarischen
und religiösen Texten höchstens im Blick auf die jeweiligen Kontexte
Unterscheidendes sichtbar werde. Die Frage, die sich dem
Leser automatisch stellt, ist doch wohl die, ob es sich bei den biblischen
Autoren um „Schriftsteller" handelt, denen man vor
allem mit ästhetischen Kategorien gerecht zu weiden vermag,
oder nicht doch um „Ergriffene", die leidenschaftlich der Sache
des Glaubens nachdenken und diese Sache missionarisch zur
Sprache bringen wollen. Das aber führt den Betrachter gerechter-
weisc nicht in ästhetische Distanz genießender Betrachtung, sondern
konfrontiert mit Ansprüchen und fordert vor allem anderen
eine eingehende Reflexion der Inhalte. Das bedeutet schulorganisatorisch
, daß der Lehrer differenzierte theologische Kenntnisse
braucht, um etwa den „Störfall" von Christa Wolf, in dem biblische
Texte anklingen, angemessen mit biblischer „Literatur" zu
vergleichen. Dabei kann es kaum nur um ästhetische Kategorien
gehen, sondern doch wohl um einen „Streit um die Wirklichkeit
". M. E. hat Frau Baltz-Otto in ihrem Beitrag richtige schulpädagogische
Zielvorstellungen von einem fächerübergreifenden
Unterricht zu rasch auf die „Sachen" der verschiedenen Fächer
übertragen und dabei zu Unterscheidendes eingeebnet.

W. Grab untersucht in seinem sorgfältig gearbeiteten und
kenntnisreichen Beitrag „Praktische Theologie und Religionspädagogik
" nicht nur die Werdegeschichte des Verhältnisses und
ihre Problematik, sondern auch die institutionellen, wissenschaftstheoretischen
und kirchlich-theologischen Aspekte derselben
. Besonders interessant, ja aufregend erscheint dem Rezensenten
die Würdigung des institutionellen und historischen
Aspektes. Gräb sieht so im Verhältnis der beiden Wissenschaften
zuerst einen Streit zwischen den Fakultäten, der theologischen
und der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen, am Werk,
dann aber auch das historische Phänomen der gesellschaftlich
nicht mehr gewährleisteten Präsenz des Christentums zur Jahrhundertwende
, das die Religionspädagogik als eine Disziplin, die
diese Präsenz „mit anderen Mitteln" zu bewerkstelligen sucht,
auf den Plan rief. Nicht mehr die Kirche war hier im Mittelpunkt,

sondern das Christentum als geschichtlich-gesellschaftliche
Größe. Die folgende treffliche Beschreibung des Aufgabenspektrums
von Praktischer Theologie und Religionspädagogik, das
für die Religionspädagogik in der sozialkulturellen Lebenswelt
des Christentums, für die Praktische Theologie aber in der Kirche
seinen Ort hat, ist ein Kabinettstück. Den letzten Abschnitt
widmet Gräb dem nach den vorausgehenden Erörterungen
schwierigen Problem der trotz allem notwendigen Einheit der
Praktischen Theologie unter Einschluß der Religionspädagogik.
Gräb sieht die Möglichkeit einer solchen Einheit der Praktischen
Theologie als Frage nach dem Zugang zur christlichen Religion
und der Religionspädagogik als elementare Dogmatik, als Lehre
in der Gesellschaft, in einer Einigung über den konstitutiven
Richtungssinn der von beiden Wissenschaften zu verantwortenden
Praxis, den der Autor in der Rechtfertigungslehre sehen
möchte. „Die ihre Einheit am Leitfaden der Rechtfertigungslehre
beschreibende Praktische Theologie bindet diese Einheit jedenfalls
an nichts anderes als an den sich in der Vielfalt ihrer Praxisfelder
konkretisierenden Vollzug einer theologischen Urteilskraft
, die sich in der Fähigkeit des Unterscheidens von Gesetz
und Evangelium zeigt". (73)

Christoph Bizer geht es in seinem Beitrag um eine Überwindung
sowohl der kirchentümlichen Verengung praktisch-theologischer
Arbeit als auch der Fixiertheit der Religionspädagogik
auf eine wissenschaftliche Abständigkeit von der Kirche. Dabei
helfe die Erinnerung an katechetische Entwürfe des 19. Jahrhunderts
.

Aber da ist noch mehr zu finden im JRB: Erich Feifei proble-
matisiert die katechetische Diskussion in der katholischen Welt,
Eckart Schwerin skizziert die „Zentralen Probleme der Kateche-
tik in der DDR", die er auch in einem Auseinanderklaffen zwischen
Theorie und Praxis begründet sieht, Klaus Gossmann beschreibt
den Stand der Evangelischen Gemeindepädagogik, die
m.E. immer noch keinen Ort in der Praktischen Theologie, aber
auch nicht in der Rcligionspädagogik gefunden hat. Der Religionsunterricht
für Gehörlose und Schwerhörige steht im Mittelpunkt
eines Artikels von D. Gewalt, und Gloria Durka fragt nach
der Aufgabe religiöser Erziehung im Umfeld der Problematik
Frauen und Macht. Christof Bäumler sichtet die neuere Literatur
zur Praxistheorie kirchlicher Jugendarbeit und setzt dabei Akzente
und Dieter Baltzer steuert einen informativen Literaturbericht
zum Religionsunterricht in der Grundschule bei.

Vervollständigt wird das Angebot durch Berichte über eine
Fachtagung zum Problem der Glaubensentwicklung und des religiösen
Urteils aus der Feder von K. E. Nipkow und Fr. Schweitzer
, über zwei empirische Untersuchungen zum Problem „Jugend
auf dem Kirchentag" von Ingrid Lukalis, über eine
empirische Untersuchung zum Verhältnis von Familie und religiöser
Sozialisation in den Niederlanden von P. van der Ploeg
und über das theologische Ausbildungsprogramm des Ökumenischen
Rates, das eine „Theologie von unten" favorisiert, von
Sam Amirthain. Kritische Rezensionen gelten dem „Grundriß
der Praktischen Theologie" von D. Rössler aus einer Sicht, die
Beachtung heischt, Samuel Laeuchlis „Spiel von dem dunklen
Gott" und John M. Hulls „What prevents Christian adults from
Leaning?

Wahrhaft ein gewaltiger Rundgang, der hier zu beschreiben
war, und für den den Herausgebern und den Autoren Dank gebührt
.

Bern Klaus Wegenast

Schöll, Albrecht: Zwischen religiöser Revolte und frommer Anpassung
. Die Rolle der Religion in der Adoleszenzkrise. Gütersloh
: Mohn 1992. 319 S. 8°. Kart. DM 68,-. ISBN 3-579-
01771-3.