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Ausgabe:

1992

Spalte:

942-944

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

1988 1992

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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941

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

942

Credo. Predigt) die „illuminatio", die Erleuchtung der Seelen
und die Erhellung der Welt durch das göttliche Wort. J. plädiert
für das Nebeneinander mehrerer biblischer Lesungen, die nicht
thematisch koordiniert oder didaktisch homogenisiert werden
sollen. Er begründet das mit einer Mischung aus kreativitätspsychologischen
und fundamcntaltheologischen Erwägungen, also
im Interesse der Freiheit der Hörer und der Nichtverrechenbar-
keit des Wortes Gottes: „Im Gewitter der Worte wird es da und
dort blitzartig einschlagen. Die Atmosphäre des Göttlichen, die
sich in sprachlicher Breite über den Hörern entfaltet, bahnt sich
unverhofft an vielen Stellen ihren lebensverändernden Weg. Gerade
die Ausführlichkeit und thematische Vielfalt der den Raum
erfüllenden Sprache läßt dem lesenden Liturgen wie der hörenden
Gemeinde die Freiheit des Kairos." (238; vgl. 240). Auch die
Predigt dient der „Erhellung", indem sie an Hand eines Textes
die aktuelle Situation so ins Licht der Heilsgeschichte stellt, daß
sich daraus neue Perspektiven ergeben (244).

Im Kapitel „Essen" kommt das Buch, im Abendmahl kommt
der Gottesdienst zu seinem Ziel. „Die Körper, für lange Zeit auf
der Kirchenbank ruhiggestellt, dürfen sich zum Sakramentsemp-
fang wieder bewegen. Die Präsenz der göttlichen Atmosphäre, im
Wortgeschehen zwischen Lesen, Reden und Hören ätherisch verbreitet
, materialisiert sich in Brot und Wein. Leib und Blut des
Erlösers kann man zu Heilsgewinn und Lebenserhaltung inkorporieren
." (247) In diesem Kapitel zeigt sich die Eigenart dieses
Ansatzes am deutlichsten. Weil hier so vieles auf dem Spiel steht,
müßte die Auseinandersetzung auch besonders genau geführt
werden. Das ist im Rahmen dieser kurzen Besprechung nicht
möglich. Dennoch seien einige Bedenken und Rückfragen angedeutet
:

Ich halle die einseitige Fokussicrung auf die Thematik Opfer, rituelle
Schlachtung. Blut. Sühne, so wie es hier geschieht, für problematisch.
Müßte nicht hier das Verhältnis zwischen allgemeiner rcligionsphänomc-
nologischcr Analogisicrung und historischer Interpretation im biblischen
Kontext viel strenger bedacht werden, damit nicht eine Interpretation rein
aus Intcipretamcntcn die Wahrnehmung des Abendmahls in seiner geschichtlichen
Eigenart Überlagert? Ich halte auch die psychoanalytische Fixierung
auf den Themenkreis des ödipalcn Konflikts für einseitig. So wichtig
die Aggressionslhcmatik auch ist. hier geschieht eine Konzentration der
Aufmerksamkeit auf Macht. Töten und Getötetwerden, die ebenfalls problematisch
ist: Sic drangt im übrigen die anderen Aspekte der Vergebung,
der unio und communio völlig an den Rand. Bemerkenswert ist der Ausfall
des Gemeinschaftsaspekte». Gerade die Seite am Abendmahl, die der jüngeren
Generation einen neuen Zugang zur Eucharistie eröffnet hat und die
das Erleben und Verhallen beim Abendmahl entscheidend (wenn auch einseitig
) geprägt hat. tauch) hier so gut wie gar nicht auf. Schließlich: Ich halte
die Verlagerung des Zentrums von den Einsetzungsworten und der Kommunion
auf Präfation und Sanclus für schwierig (obwohl die Erschließung
dieser liturgischen Sequenz für die Öffnung der Horizonte von großer
Wichligkeil ist!). J. bezeichnet diesen Teil (und nicht etwa die Verba Testa-
menti) im Sinne der Rcligionssoziologen H. u. M. Mauss als „Konsekration
" (271 ff). In der Tat wird die „Konsekration" der feiernden Individuen
, die sich hier durch ein „Traumzeif'-Erleben in die himmlische
W irklichkeit entrücken lassen (277). wichtiger als die Gemeinschaft mit
dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus, der sein Leben „für uns" gegeben
hat. Doch wie gesagt: Das Ganze verlangt nach einer intensiven Diskussion
, zumal wenn man auch die vielen bedenkenswerten Gesichtspunkte
ernslnchmcn will, die im Kapitel „Essen" stecken.

J. hat ein Buch geschrieben, das die praktisch-theologische
Diskussion der nächsten Jahre beschäftigen wird. Es ist ein wissenschaftliches
Werk von beeindruckender Wucht und ist zugleich
mehr. Hinter der kühlen, oft bewußt .technischen' Sprache
spürt man eine leidenschaftliche Konfession. „Im Kult erschließt
sich der Grund alles Lebens. Wie kann diese Quelle angesichts
globaler Lebensbedrohungen wieder zugänglich werden?" (93)
Das ist die Hauptfrage, die J. der gegenwärtigen Kirche stellt. Sie
ist nicht nur eine kritische Anfrage an das moderne Bewußtsein,
sondern auch an die reformatorische Tradition. In mancher Hinsicht
wird man an Rudolf Otto erinnert. Auch Otto hat zu seiner
Zeit den Versuch gemacht, die bloß ethische oder dogmatische
Orientierung der Theologie durch die Begegnung mit Gott als
dem „ganz anderen" und durch die Erfahrung des Heiligen in seiner
ambivalenten Erscheinungsweise zu überwinden. Auch Otto
sah das sakramentale Zentrum des Gottesdienstes in der Präfation
. Und er stieß auf die gleiche Paradoxie kultischen Handelns,
wie J. sie beschreibt: „Wer sich der Realität des Göttlichen auszusetzen
versucht, muß etwas tun in einem Lebensbereich, in dem
kein Mensch etwas tun kann." (35) Otto verstrickte sich in mißverständlichen
Formulierungen, als er daran ging, das Machbare
und das Nichtmachbare zusammenzubringen. Die dialektische
wie die konfessionelle Theologie hat das unnachsichtig geahndet.
Der Einsatz verhaltenswissenschaftlicher Methoden verschärft
noch einmal die Spannung. Eine kultische Technik soll zur Begegnung
mit dem Heiligen präparieren - im Wissen darum, daß die
instrumentelle Sprache dem, worum es eigentlich geht, unangemessen
ist. J. ist mutig genug, diesen Widerspruch zu riskieren,
und abgehärtet genug, die fällige Kritik nicht zu scheuen. Vielleicht
auch deshalb, weil sich die Situation der Lebensbedrohung
so zugespitzt hat, daß, wer die Panzerung des modernen Bewußtseins
gegen Gefährdung und Rettung aufbrechen will, die Konfrontation
suchen muß. Doch auch die Bedenken sind nicht vom
Tisch. Die Debatte beginnt von neuem.

Hamburg Peter Cornehl

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Jahrbuch der Religionspädagogik (JRP). Hg. von P. Biehl, Ch.
Bizer, H.-G. Heimbrock, F. Rickers. Bd. 5 1988. Neukirchen-
Fluyn: Neukirchener Verlag 1989. VII, 364S. 8°. Pb. DM 64,-.

Das JRP ist für die, welche sich für religiöse Erziehung in Kirche
und Gesellschaft, ihre Theorie und Praxis interessieren und
auf diesem Feld arbeiten, bereits zu einer kaum mehr wegzudenkenden
Institution geworden, und das nicht nur wegen der vorzüglich
gearbeiteten Bibliographie, die es dem Gelehrten ebenso
wie dem Praktiker ermöglicht, auf einen Blick das Wichtigste zu
identifizieren, sondern auch wegen der zuweilen Monographien
ersetzenden „Grundsatibeiträge". Kritische Rezensionen und
sorgfältig in Auftrag gegebene Artikel und Berichte zu aktuellen
Fragen ergänzen jeweils das Angebot. Das Register ermöglicht
dazuhin, Querverbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen
herzustellen.

In einer kurzen Rezension ist es nicht möglich, alles Gute
Revue passieren zu lassen, aber einige besondere, aktuelle und
profunde Beiträge können doch gewürdigt werden. Dazu zähle
ich alle drei „Grundsatzbeiträge", die dem Problemfeld „Theologie
und Literatui" sowie dem Verhältnis zwischen Praktischer
Theologie und Religionspädagogik gewidmet sind. Hierher gehört
auch der „aufregende" Artikel aus der Feder des Göttinger
Praktischen Theologen Christoph Bizer „Katechetische Memo-
rabilien".

Dorothee Solle überschreibt ihren Grundsatzbeitrag mit der
Metapher „Das Eis der Seele zu spalten" und kommentiert diese
mit dem Sachtitel „Theologie und Literatur auf der Suche nach
einer neuen Sprache". Theologie definiert sie in der Folge nicht,
wie man erwarten könnte, als „Denken des Glaubens" oder ...
sondern durchaus selektiv als „Gebet", und Literatur ebenso
„wählerisch" als „Gedicht" und kapriziert sich in der Folge auf