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Ausgabe:

1992

Spalte:

71-73

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Biegger, Katharina

Titel/Untertitel:

"De invocatione beatae Mariae virginis" 1992

Rezensent:

Beumers, Michael

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

72

Ökumenik: Catholica

Biegger, Katharina: „De Invocatione beatae Mariae Virginis".
Paracelsus und die Marienverehrung. Stuttgart: Steiner 1990.
308 S. m. Abb. u. 8 Taf. gr. 8 - Kosmosophie, 6. Kart. DM 78,-.

Diese im Sommersemester 1989 von der Philosophischen Fakultät
I der Universität Zürich als Dissertation angenommene
Arbeit widmet sich mit der Mariologie einem speziellen Themenkreis
aus dem vielseitig - umfangreichen theologisch - religionsphilosophischen
Werk des Theophrast von Hohenheim, genannt
Paracelsus (1493-1541). Der bekannte Arzt und Naturphilosoph
erweist sich gerade auch in seinen Marienschriften als eigenständiger
Laientheologe zwischen den Fronten der Reformationszeit.
Seine Positionen heischen dringlich kirchen- und wissenschaftgeschichtliche
Aufmerksamkeit. Der Autorin der vorliegenden Studie
gelingt es, bei überaus gründlicher philologischer Bemühung
Freude am Mitvollzug der souveränen Denkbewegungen des Paracelsus
zu wecken.

Im Teil A (12-56) wird eine vorzüglich informative Darstellung
des Standes der theologischen Paracelsusforschunggeboten.
Ausgehend von der Selbstbezeichnung des selbstbewußten Gelehrten
als „Der heiligen Geschrift und beider arznei doctor"
konturiert B. die unversalen Tendenzen des Laientheologen
Theophrast von Hohenheim. Eine Übersicht sämtlicher theologischen
Schriften listet Bibelkommentare, Predigtentwürfe, Einzelschriften
zu „Gott, Christus, Kirche", zu ethischen, sozialen
und politischen Themen, Predigtentwürfe, Sakramentsschriften
auf. Dabei stellt B. erstmalig den Begriff „Flugschriften" als literarische
Form auch für manche Schriften des Paracelsus heraus.
Doch Theologica wurden zu Lebzeiten des engagierten Denkers
nicht gedruckt. Ihre geheimnisvolle und komplizierte Geschichte
- die Autographen gingen sämtlich verloren - wird erst
in unserem Jahrhundert erschlossen aus einer verzweigten Handschriftenüberlieferung
(Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus
: Sämtliche Werke, 2. Abt.: Theologische und religionsphilosophische
Schriften. Hg. von Kurt Goldammer. Wiesbaden:
Franz Steiner 1955 ff; bisher sind 7 Bände erschienen, insgesamt
14 werden erwartet). B. lichtet allgemein und dann speziell für
die Marienschriften durch neue Erkenntnisse die Handschriftentradition
auf.

Paracelsus erweist sich ganz und gar als Bibeltheologe. Sein
Sendungsbewußtsein ließ ihn „Bauer und Papst" ansprechen,
wobei er vom frühreformatorischen Prinzip des allgemeinen
Priestertums sich tragen ließ. B. hebt die „ Verbindungen zur Biographie
" hervor. Bereits 1524 führte Paracelsus in Salzburg mit
Bauern und Bergknappen religiöse Diskussionen, die u.a. auch
mariologische Fragen bereits betrafen. Um Hohenheim recht als
Laientheologen verstehen zu können, muß stets beachtet werden,
„daß auch seine naturkundlich - naturphilosophischen Schriften
wesentlich theologische Annahmen beinhalten und eine Fülle
von religiösen Aussagen über Gott, die Schöpfung und den Menschen
machen" (28).

Teil B „Mariologie, Marienverehrung und Marienliteratur"
(59-111) legt gleichsam in einem Summarium eine informative
Geschichte der Mariologie bis in das Zeitalter der Reformation
vor. Auf Grundlage der bis in die jüngste Zeit erschienenen Literatur
finden „ Marienlehre und Marienkult" gerade auch aus dem
Bereich der volkskundlich-soziologisch-geistesgeschichtlichen
Untersuchungen Darstellung. Neue Dimensionen und Blickrichtungen
werden skizziert, um auf diesem Hintergrund Neues und
Eigenartiges in der Mariologie des Paracelsus deutlich werden zu
lassen. Nach einem Überblick über die „ Marienliteratur des späten
Mittelalters erfolgt unter dem Obertitel ,Götzen stirmer'
gegen ,götzen schirmer'" eine Schilderung der Aufbrüche und

Auseinandersetzungen in Fragen der Mariologie durch die evangelische
Reformation.

Sehr wertvoll erscheint auch die eingehende Interpretation der
„Marien- und Heiligenverehrung in der Flugschriftenliteratur
(1520-1530)". Eine vorzügliche „Auswahlbibliographie" dazu
am Ende der Arbeit (268-283), die 150 Titel aus ober- und mitteldeutschem
Raum aufzählt, bildet die Grundlage, um aus dieser
populärsprachlichen Literatur mit Agitations- und Propagandacharakter
die unterschiedlichen Akzente evangelischer und
altgläubiger Positionen zu zeigen. Insgesamt 12 Flugschriften
werden exakt referiert und erklärt. Es bleiben „Offene Fragen
zum Ausgang" (108ff), die im „Zusammenhang mit den sozialhistorischen
und sozialpsychologischen Veränderungen, die mit
Reformation und Gegenreformation einhergingen, aufgeworfen
werden". „Wie änderten sich Spiritualität und religiöses Leben
der einfacheren Gläubigen... durch die Reformationszeit?" - In
diesem Abschnitt wird spürbar, daß die Autorin wohl zu sehr
vom erfahrenen Bruch im reformierten Umfeld ausgeht. Die Dissertation
von Robert Lansemann, Die Heiligentage besonders
die Marien-, Apostel- und Engeltage in der Reformationszeit, betrachtet
im Zusammenhang der reformatorischen Anschauungen
von den Zeremonien, von den Festen, von den Heiligen und von
den Engeln, Göttingen 1938, weist weitaus durchgängig-positive
Traditionen im lutherischen Raum auf; es bleibt zu fragen, weshalb
die Autorin diese gründliche Arbeit zwar zitiert, jedoch in
der Beurteilung so wenig achtet.

Bestens durch die beiden vorangehenden Teile vorbereitet, die
als Perlen selbständiger Studien gelten können, beginnt mit Teil
C „Paracelsus: ,De invocatione beatae Mariae virginis'" die Untersuchung
der Handschriftenverhältnisse und die Textedition.
Paracelsus hat sich in die 1530 bereits offensichtlichen Unterschiede
zwischen den sich herausbildenden Konfessionen in Fragen
der Mariologie und Heiligenverehrung eingeschaltet. Er geht
aus vom Meinungsstreit und der scheinbar chaotischen Zerrüttung
der Parteien, um schließlich selbst Position zu beziehen. B.
behandelt ausführlich die Textzeugen, da die Autographen verloren
sind. Philologische Präzision der Arbeit läßt mit Interesse
und Freude den Weg mitgehen, den die Abhandlung nimmt.
Genau werden die 4 Haupthandschriften und ihre Geschichte
untersucht. Für die „Beschreibung der Handschrift Dresden
(D)" und die „Beschreibung der Handschrift Hamburg (Hb 3)".
schließlich auch für die „Beschreibung der Handschrift London
(Lo)" wird deren formale und inhaltliche Untersuchung durchgeführt
und ihre Geschichte erschlossen.

Über diese Leistung hinaus kann der Forscherin gratuliert werden
zu der Entdeckung eines paracelsischen Erstdruckes von
1567 dieser Marienschrift! In Johann Leisentrits Gesangbuch
von diesem Jahr, in Bautzen erschienen, das als größtes und
schönstes von katholischer Seite im 16. Jh. gilt, fand B. erstaunlicherweise
die ersten vier Teile von Hohenheims Marientraktat
„De invocatione beatae Mariae virginis" (später sogleich wieder
ausgelassen). Auch druckte Leisentrit aus einer weiteren Schrift
des unkonventionellen Laientheologen Paracelsus einen Passus
(aus dem „Sermo de saneta Trinitate").

Eingehender Textvergleich ergibt, daß die vorliegende Schrift
als echtes Paracelsus-Werk zu betrachten ist. Zwei Stemma -
Varianten werden als Abschluß des Textvergleiches vorgelegt.
Die Seiten 150-191 bieten dann die Textedition der paracelsischen
Schrift nach der Hamburger Handschrift mit einem zweifachen
Apparat (1. Textvarianten; 2. Erläuterungen) in „diplomatischer
Wiedergabe".

Teil D „ Paracelsische Mariologie" - gleichfalls als in sich geschlossene
Studie anzusehen - bringt durch „Zusammenfassung
und Kommentar von ,De invocatione beatae Mariae virginis'"
und die Vorstellung „Weiterer mariologischer und hagiologischcr
Schriften" schließlich „Charakteristika der Marienlehre des Pa-