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Ausgabe:

1992

Spalte:

927-928

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Fessard, Gaston

Titel/Untertitel:

Hegel, le christianisme et l'histoire 1992

Rezensent:

Neufeld, Karl H.

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Seite 1

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927

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

928

Unbefriedigend bleibt die mangelnde inhaltliche Analyse der
Quellen, die z. B. dazu geführt hat, daß der Name von Johann
Arndt (vgl. 179, 183, 328) (übrigens zusammen mit weiteren
Namen) im Register fehlt. Die Bücherlisten S. 180 und 326-328
hätten Gelegenheit zu viel umfangreicherer Titelidentifizierung
gegeben, als sie vorgenommen worden ist. Dadurch, daß Zusammengehörendes
an verschiedenen Orten verhandelt wird (vgl.
105. Anm. 293 mit 251; 121 mit 251), verliert die Interpretation
von Quellen an Intensität. Ist die Untersuchung von Markus
Schär mit S. 231 Anm. 651 hinreichend aufgenommen worden?

Im Literaturverzeichnis fehlen eine ganze Reihe von Titeln, die in der
Arbeit eine Rolle spielen, vgl. 224 Anm. 627. 233 Anm. 658. 264 Anm.
758. 270 Anm. 774 und 776. Von den Druckfehlern seien lediglich vermerkt
: S. 38 Z. 4: 18. Jahrhunderts. S. 158 Anm. 422 und S. 168 Anm. 456:
Rcpcrlorium. 209 Z. 3 v. u.: Aussagen der Apostel. 242 Anm. 682: Güldin.
169 fehlt die Anmcrkungsziffcr 457 im Text.

Das Buch verdient die Aufmerksamkeit künftiger Forschung
im Umkreis des Pietismus, speziell hinsichtlich von Beziehungen
, die möglicherweise zwischen den verhandelten Phänomenen
im Bereich der Nordschweiz und ähnlichen Bewegungen im
außerschweizerischen Bereich bestehen. Möglicherweise fällt
von dort aus dann auch neues Licht auf die Sachverhalte, die die
vorliegende Untersuchung analysiert.

Leipzig Ernst Koch

Philosophie, Religionsphilosophie

Fessard, Gaston: Hegel, le Christianisme et l'Histo'fre. Textes et
documents inedits presentes par M. Sales. Paris: Presses Universitäres
de France 1990. 320 S. 8 = Theologiques. Kart. FF
195.-.

Fcssard zählte zu den bekanntesten Hegelkennern in Frankreich
. Er hat gleichwohl nie einen Hehl daraus gemacht, daß er
dem Philosophen als Katholik und Theologe, als Franzose und
Kritiker begegnete. Seit seinem Tod (1978) hat sich der Herausgeber
dieses Bandes um den wissenschaftlichen Nachlaß besonders
verdient gemacht.

Über die vorliegende Sammlung spricht er sich im einleitenden
Hinweis (7-14) aus. Anschließend bringt er Quellennachweise
für die hier veröffentlichten Texte (150, die nur für das
französische Publikum zum größeren Teil unbekannt waren, weil
mindestens Auszüge schon im Hegel-Jahrbuch bzw. in der Dokumentation
der Stuttgarter Hegel-Tage 1970 erschienen. Die vollständige
Publikation im Zusammenhang gibt indes dieser
Sammlung eigenen Wert. Ein biographisches Bild »Gaston Fessard
(1897-1978), un philosophe chretien engage dans l'histoire
de son temps« (17-21) ruft noch einmal wichtige Züge seines Lebens
in Erinnerung und macht vor allem den nichtfranzösischen
Leser auf die Eigenart dieses Denkers aufmerksam, der intensiv
die allgemein geistig-kulturelle und politische Entwicklung verfolgte
und darin zum Gegner gegen den Nazismus und gegen den
Kommunismus wurde.

Der erste Teil der Texte behandelt »L'hermeneutique hegeli-
enne du Christianisme« (27-54), d. h. den »Dialogue theologique
avec Hegel«, dem noch drei Exkurse »Dialectique et symbolisme
numero-geometrique«, »Polyvalence symbolique du cercle« und
»Le probleme de la fin de PHistoire« beigegeben wurden. Diese
Exkurse erklären die Art und Weise, in der F. auf Hegel eingeht.

Der zweite Teil »Histoire, societe, langage dans la Philosophie
de Hegel« verrät schon durch diesen Titel, daß er drei Texte sammelt
, von denen der erste »L'attitude ambivalente de Hegel face ä
PHistoire« (157-189), der zweite »Les relations familiales dans
la >Philosophie du Droit< de Hegel« (191-219) und der dritte

»L'analyse hegelienne du langage. La superiorite du signe sur le
symbole« (221-240) behandelt. Der letzte große Teil bündelt
Anhänge zur Geschichte der Hegeldeutung in Frankreich. Die
Dokumente sind sehr unterschiedlich; sie umfassen Informationen
und Zeugnisse, Besprechungen, Briefe und Berichte, die
sonst schwierig zu finden sind. Angehängt ist die »Bibliographie
de Gaston Fessard« (300-317) sowie ein Namenregister.

Zur Beurteilung ist zunächst auf die Reihe »Theologiques« zu
verweisen, in welcher der Band herauskam. Sie versucht, gegen
die seit der strikten Trennung von Kirche und Staat in Frankreich
etablierte Verbannung der Theologie aus der geistigen Diskussion
anzugehen und zu zeigen, welche Bedeutung das Gespräch
zwischen der christlichen Tradition und der modernen Kultur
hat und haben kann.

F. leitete gerade aus seiner Beschäftigung mit Hegel, die sich
zum nicht geringen Teil der atheistisch-kommunistisch gefärbten
Hegelinterpretation von A. Kojeve in der Zwischenkriegszeit
verdankt, seinen geistigen Widerstand gegen den Nationalsozialismus
im besetzten Frankreich, aber ebenso gegen den vom
Resistance-Mythos profitierenden französischen Kommunismus
der Nachkriegszeit ab. Dabei wies er - soweit das möglich
war - den Dialog nie zurück, bestand aber unerbittlich auf sauberer
Analyse und konsequenter Argumentation. Das machte ihn
schon 1937 schwierig, als er auf M. Thorez' Angebot hin »La
main tendue. Le dialogue catholique-communiste est-il possi-
ble?« herausbrachte. Zu Unrecht, so seine These, berufe man sich
auf Hegel. Nehme man ihn wirklich auf, müsse man unvermeidlich
auf das Christentum stoßen, das Hegel freilich in wesentlichen
Aspekten unzutreffend in sein System hineingenommen
habe. Vor allem sein Bezug zur Geschichte bleibe ambivalent,
insofern er einerseits ihre Dynamik ernstzunehmen suche, sie
andererseits aber mit seiner Konzeption des Absoluten immer
wieder abbreche oder aufhebe, so daß einem selbstzcrstöreri-
schen Widerspruch nicht zu entkommen sei. Widersprüchliches
bei Hegel in diesem Sinn wird immer wieder festgestellt, etwa in
der»ambiguite... entreconeept et representation«(138). Ähnlich
spricht er von einer »attitude ambivalente de Hegel en face du
temps et de fhistoire« (169). Dafür macht er verschiedentlich
den Protestantismus Hegels verantwortlich (vgl. 223). F. vereinfacht
immer wieder, auch weil er die entscheidenden Gedankenschritte
in geometrischen Figuren wiederzugeben sucht. Er beruft
sich dafür auf Hegel selbst und geht z. B. akribisch der Benutzung
des Kreises nach. Die »circularite du Savoir« sei die »marque du
Savoir absolut« (265). Die Frage nach dem Ende der Geschichte
bekommt dabei ebenso neue Relevanz wie die Folgen einer
Höherbewertung des Zeichens vor dem Symbol, Elemente, die
nach F. zu einem totalitaristischen Mißbrauch Hegels beitragen
.

Der deutschsprachige Leser wird manche Anregung dankbar
aufnehmen. Er wird aber auch Fragen haben, die nicht nur die
Art und Weise der Zurückführung wichtiger Gedanken auf geometrische
Figuren betreffen, die ja auch ein Weg von Abstraktionen
sind, sondern vor allem die Grundparameter des Christlichen
, wie sie F. ins Spiel bringt. Die Diskussion scheint umso
nötiger, als der unmittelbare Druck von mit Macht verkoppelten
geistigen Positionen jedes Gespräch vereinseitigt, aber über die
Kraft solcher Überzeugungen in sich nichts aussagt. F. hat Hegel
wichtige Einsichten zu verdanken, und er gibt das zu, wichtiger
aber bleibt ihm die Auseinandersetzung mit jenen lebendigen
Strömungen, die sich auf den Philosophen berufen und die F.
nicht teilen kann. In diesem Sinn könnte das Buch diesseits des
Rheins aktualisierend wirken und zugleich einem breiteren europäischen
Gespräch über die geistigen Gewichte und Aufgaben
unserer Generation dienen.

Innsbruck Karl H. Neufeld SJ