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Ausgabe:

1992

Spalte:

917-919

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ruckstuhl, Eugen

Titel/Untertitel:

Stilkritik und Verfasserfrage im Johannesevangelium 1992

Rezensent:

Schnelle, Udo

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

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14.9; Eph 6.12; Kol 3,11 belegt werde (151) - ein etwas kühner
Argumentationsgang. Für den Sekretär des Paulus müsse im wesentlichen
dasselbe gelten (152f)-

Wer aber war nun Sekretär des Paulus? Die in 2Kor so häufige
Verwendung der 1. Person Plural (vgl. schon die Proömien der
beiden Kor und dann 2Kor 1,8/1 Kor 1,10) zeige, daß Paulus und
Timotheus als gemeinsame Autoren vorzustellen seien (155f; das
„ich hoffe" von 2Kor 1,13 ist dann freilich nicht ganz leicht zu erklären
). Überdies habe Paulus bei der Abfassung der Briefe Tradition
(7iapa6öoeic,) und Notizbücher(ueußpdvai, 2Tim 4,13) benutzt
und auch Kopien der von ihm versandten Briefe (in
Kodexform) behalten, die dann Basis der paulinischen Brief-
sammlung geworden seien (165; die von R. genannten Belege für
die Sitte. Kopien anzufertigen, beziehen sich freilich durchweg
darauf, daß die Kopie einem weiteren Adressaten zukommen
soll). Auf S. 169-189 kommt R. zum eigentlichen Thema, "Paul's
empioyment of a secretary". Hier stellt er fest: a) Paulus erwähnt
einen Sekretär nicht; b) der in Rom 16,22 sich selbst erwähnende
Tertius war möglicherweise ein „Schnellschreiber",
der Rom 1-15 nach Diktat geschrieben und dann das Empfehlungsschreiben
Rom 16 nach eigener Gestaltung hinzugefügt
hatte; c) in fünf Briefen (Kol und 2Thess eingeschlossen) finde
sich der Hinweis auf die „eigene Hand" des Paulus, woraus man
schließen dürfe, alle Briefe, insbesondere auch IThess (189 A
281). hätten ein eigenhändiges Postscriptum besessen (darauf,
daß nach 2Thcss 3,17 der Wechsel der Handschrift als typisches
Echiheiiszeichen gilt, geht R. nicht ein). Denkbar sei, daß im
2Kor das eigenhändige Postscriptum schon mit 10,1 beginne
(I80f). Zur Frage der Echtheit der Briefe lasse sich im Grunde
nichts sagen, was R. am Beispiel der Pastoralbriefe expliziert -
die Differenzen zu den anderen Paulusbriefen seien ohne weiteres
zu erklären durch die Annahme des mehr oder weniger großen
Einflusses des Sekretärs (194).

Der zuletzt genannte Aspekt belegt m. E., daß das Buch, bei
aller Gelehrsamkeit im Blick auf die griechischen und römischen
(vor allem die ciceronischen) Briefe, für die Exegese der Paulus-
briefe fast nichts austrägt. Wenn ein Sekretär in dem von R. beschriebenen
Sinn in den Paulusbricfen nicht erwähnt wird, dann
können theologische und sprachliche Differenzen nicht mit Hilfe
einer solchen „Sekretärs"-Hypothese erklärt werden. R. sieht den
Grund für die Nichterwähnung des Sekretärs darin, daß "unlike
writers such as Cicero who wrote of the most trivial of matters, he
(sc. Paulus) always had scrious issues to discuss" (201 A 4), aber
das erklärt den Befund sicher nicht. Völlig unklar bleibt, warum
R. am Schluß seines Buches behaupten kann, angesichts der Unsicherheiten
bei der Bestimmung des Anteils des Sekretärs müsse
man sich davor hüten, bestimmte Briefe für „nicht-paulinisch"
zu erklären (201). Die das Buch abschließende Behauptung
"Even if Paul exercised much control over his secretary, there
was morc influence possible (sie!) from a secretary than many
modern exegetes have allowed" (201) läßt ein Ressentiment gegenüber
der Forschung sichtbar werden und belegt, daß sich die
Sekretärs-Hypothese nicht methodisch kontrollierbar einsetzen
läßt.

Bethel Andreas Lindemann

Ruckstuhl, Eugen, u. Peter Dschulnigg: Stilkritik und Verfasserfrage
im Johannesevangelium. Diejohanneischen Sprachmerkmale
auf dem Hintergrund des Neuen Testaments und des zeitgenössischen
hellenistischen Schrifttums. Freiburg/Schweiz:
Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1991. 275 S. gr.8 - Novum Testamentum et Orbis Antiques,
I 7. Lw. DM 69,-.

Die Vff. setzen mit diesem Werk ihre stilanalytischen Untersuchungen
zum Johannes- bzw. Markusevangelium mit der Fragestellung
fort, „ob im Jo ein einheitlicher, von einem bestimmten
Verfasser geprägter Sprachstil vorliegt oder die Annahme verschiedener
sprachgestaltender Subjekte zutrifft" (19). Dabei
gehen sie von folgenden Kriterien aus: 1. Eine sprachliche Bildung
muß mindestens 3mal im JoEv vorkommen, um als Stilmerkmal
zu gelten. 2. Sie muß im Vergleich mit verwandten
Schriften (Mt, Mk, Lk, Apg) im JoEv sehr viel häufiger auftreten,
um so gattungsbedingten Stileigentümlichkeiten Rechnung zu
tragen. 3. Der Vergleich wird auf das gesamte NT ausgedehnt,
wobei eine Stileigentümlichkeit des JohEv in einer anderen
Schrift nicht so oft vorkommen darf. 4. Als Vergleichsgrundlage
dient auch das zeitgenössische hellenistische Schrifttum (32 Autoren
/Schriften aus den Bereichen des antiken Judentums, der
paganen und frühchristlichen Literatur werden herangezogen).
Wiederum gilt, daß in diesen Schriften eine joh. Sprachbildung
nicht häufiger belegt sein darf als im Evangelium. Die Stilmerkmale
des JoEv wurden in drei Gruppen eingeteilt, sie reichen von
den statistisch und sachlich herausragenden (Gruppe A) über die
bedeutsamen (Gruppe B) bis hin zu den nicht mehr wirklich aussagekräftigen
(Gruppe C) Merkmalen. Können die einzelnen
Merkmale (speziell aus Gruppe A und B) dann vernetzt werden,
liegt ein deutlicher Hinweis auf denselben Verfasser vor. Ein Gegenprobeverfahren
sichert diesen methodischen Ansatz ab, denn
ein Redaktor könnte sich an die Sprachmerkmale seiner Vorlagen
angelehnt und sie nachgeahmt haben.

Auf dieser methodischen Grundlage wird zunächst die Verfasserfrage
kurz (44-54) behandelt. Ergebnis: Die drei Johannesbriefe
haben denselben Verfasser, die (erheblichen) Unterschiede
zwischen den kleinen Briefen und dem 1 Jo werden als „gattungs-
mässig bedingt" (45) erklärt. Die auffälligen Gemeinsamkeiten
zwischen Briefen und Evangelium auf der Ebene der A- und
B-Merkmale führen dann zu der Schlußfolgerung, daß auch hier
die Annahme eines einzigen Verfassers die einfachste und beste
Erklärung darstellt. Bei den zahlreichen Unterschieden zwischen
Evangelium und Briefen handelt es sich „um Akzentverschiebungen
, die auch bei der Annahme desselben Verfassers möglich
sind. Ja sie sind sogar zu erwarten, wenn ein größerer Zeitraum
zwischen Briefen und Ev angesetzt werden muß, wenn die Gattungsunterschiede
beachtet werden und wenn die je andere Situation
bei der Schriftwerdung bedacht wird" (47). Ob mit diesen
Argumenten die erheblichen sprachlichen und inhaltlichen Differenzen
zwischen den Briefen und dem Evangelium wirklich erklärt
sind, wird man sehr bezweifeln müssen. Die sprachlichen
Unterschiede werden in diesem Punkt von den Autoren sehr
schnell abgetan, die inhaltlichen Fragen überhaupt nicht erörtert
.

Den eigentlichen Hauptteil des Buches bildet eine Liste joh.
Stilmerkmale (55-173). Sie umfaßt 153 Merkmale, 26 entfallen
auf die Gruppe A, 65 auf die Gruppe B und 62 auf die Gruppe C.
Die einzelnen Stilmerkmale und ihr jeweiliges Vergleichsmaterial
werden sehr ausführlich aufgelistet und besprochen, eine
kurze Zusammenstellung findet sich auf S. 164-168. Sehr hilfreich
ist die dann folgende Übersicht über die Verteilung der
Stilmerkmale im JoEv (175-203), die Vers für Vers angegeben
werden. Die anschließende Vernetzung der A- und B-Merkmale
bestätigt für die Autoren die Annahme eines einzigen, die Sprache
des JohEv prägenden Verfassers. Als Gegenkontrolle wurde
dieses Ergebnis auf die Schichten- und Quellentheorien von Bois-
mard/Lamouille, J. Becker und R. T. Fortna übertragen. Ergebnis
: Keine der postulierten Schichten oder Quellen läßt sich
sprachlich nachweisen, die Stileigentümlichkeiten verteilen sich
über alle Textbereiche. Ein Überblick über die Verteilung der Stilmerkmale
und ihrer Dichte bezogen auf die einzelnen Sinnabschnitte
des JoEv (218-233) bestätigt die vorangegangenen Ana-