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Ausgabe:

1992

Spalte:

915-917

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Richards, Ernest Randolph

Titel/Untertitel:

The secretary in the letters of Paul 1992

Rezensent:

Lindemann, Andreas

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

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Solch eine differenzierte Frontstellung läßt sich dem Text aber
schwerlich entnehmen. - Das „Leben Jesu" in 4,1 Of wird gedeutet
als Existenzweise des irdischen Jesus, als sein Leben allein für
Gott. Die Reihenfolge „Sterben - Leben" läßt jedoch eher an das
Leben des Auferstandenen denken (vgl. auch V.12 und 14). -
5.1-5 wird nicht auf die Auferstehungsleiblichkeit, sondern auf
"the future sphere in which the just exist" (51) bezogen. Die parallele
Erwähnung des „Hauses" in 5,1a und lb legt aber eine
Deutung auf den Leib nahe. - Hinsichtlich Kap.8f werden die
theologische Terminologie, die Paulus für die Beschreibung der
Kollekte gebraucht, und die zentrale Bedeutung der christologi-
schen Begründung (8,9) herausgearbeitet.

Brief B, dessen Veranlassung in verstärkten Angriffen der Ju-
daisten auf die Autorität des Paulus erblickt wird, wird in die
Abschnitte „Paulus ergreift die Offensive" (10,1-18), „Die Narrenrede
" (11,1-12,13) und „Eine Warnung bereitet einen Besuch
vor" (12,14-13.13) unterteilt. Hier finden sich u. a. eine umfassende
Motivierung für die negative Reaktion der Korinther auf
den Geldverzicht des Paulus und eingehende Reflexionen über
das paulinische Leidensverständnis. Der „Stachel im Fleisch"
(12.7) wird auf Gegnerschaft, der Paulus in seinen Gemeinden
ausgesetzt war, bezogen. Aber der Sprachgebrauch in 12,7b und
die Struktur von 12,7b-9 weisen eher auf ein körperliches Gebrechen
hin.

Ein abschließender Teil betrachtet den 2Kor unter den Aspekten
„Damals und heute". Zunächst wird der spezifische Beitrag
des 2 Kor innerhalb des neutestamentlichen Kanons unter den jeweils
christologisch fundierten Gesichtspunkten Dienst, Leiden
und Erkenntnis der Wirksamkeit des heiligen Geistes zur Geltung
gebracht. Die heutige Bedeutung dieses apostolischen
Schreibens erblickt der Vf. primär im Verständnis des Leidens als
Gelegenheit zum Wirksamwerden der Kraft Gottes durch kreative
Liebe und im Verständnis des kirchlichen Dienstes als „ani-
niated by a self-sacrificing love which is the Channel of divine
gracc here and now" (158).

Die Theologie des 2Kor wird in der Darstellung des Vf.s klar
und ausgewogen von Vers zu Vers nachgezeichnet; als Schlüssel-
steilen, auf die ständig Bezug genommen wird, gelten mit Recht
4.1 Of und 5,14f. Darüber hinaus werden die Aussagen des 2Kor
in den Kontext der paulinischen Theologie insgesamt gestellt, so
daß die geistige und geistliche Größe des Apostels in eindrucksvoller
Weise deutlich wird.

Der Reihe "New Testament Theology" sind noch viele Beiträge
zu wünschen, die die Qualität des von J. Murphy-O'Connor erarbeiteten
Bandes aufweisen.

Berlin Christian Wolff

Richards, E. Randolph: The Secretary in the Letters of Paul.
Tübingen: Mohr 1991. XI, 251 S. gr.8' - Wissenschaftliche
Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 42. Kart.
DM 98,-.

Während die Analyse der paulinischen Briefe nach Form und
Gattung zunehmend intensiver diskutiert wird, spielt die Frage
nach den äußeren Abfassungsbedingungen eine eher geringe
Rolle. Diesem Thema widmet sich das hier zu besprechende
Buch, das insbesondere nach der Funktion des „Sekretärs" bei
der Abfassung der Paulusbriefe fragt. Das Ergebnis der Lektüre
sei gleich vorweg genannt: Während das von R. beigezogene griechische
bzw. römische Material, vor allem Briefe Ciceros, überaus
interessant ist und einen Einblick in diesen Bereich der antiken
Kultur gibt, ist der Ertrag für die Interpretation der
Paulusbriefe überaus gering; denn das Buch führt über die These,

daß Paulus sich eines (bwz. mehrerer) Sekretärs bedient habe,
dessen Einfluß groß, im einzelnen aber nicht feststellbar sei,
nicht hinaus.

R. stellt in der Einleitung zunächst drei verwandte Rollen vor,
die von der des Sekretärs gerade unterschieden werden müßten,
nämlich die des Kopisten, die des Briefüberbringers und die des
Vorlesers. Danach gliedert sich das Buch in drei Abschnitte: In
Kap. 1 beschreibt R. die Funktion des Sekretärs allgemein
(15-67), in Kap. 2 erörtert er die besondere Bedeutung des Sekretärs
für den konkreten Brief (68-127), und in Kap. 3 schließlich
geht es um den Sekretär in den Paulusbriefen (129-198). Es folgen
eine sehr knappe Zusammenfassung (199-201), ein Anhang
mit Text- und Gattungsbeispielen (202-221) sowie das Literaturverzeichnis
und mehrere Register.

Die verschiedenen Funktionen des Sekretärs im antiken Briefwesen
werden in Kap. 1 detailliert vorgestellt. Im staatlichen Bereich
gab es den 67ciaToXÖYpa(po<; ("a letter writer") und den ßaoi-
XiKoq YpauuctTEuc, ("a royal scribe"); privat bedienten sich Angehörige
sowohl der Oberschicht wie der Unterschicht - aus freilich
sehr unterschiedlichen Gründen - eines Sekretärs (18-23). Vier
Tätigkeitsformen seien zu unterscheiden: 1) Der Sekretär nehme
ein wörtliches Diktat auf; 2) der Absender sage, was er schreiben
wolle, und der Sekretär mache sich ausführliche Notizen, so daß
der Wortlaut des Briefes dann sein Werk sei; 3) der Sekretär
könne geradezu also „Co-Autor" gelten, wenn der „Autor" lediglich
den allgemeinen Inhalt und vielleicht die Art der Argumentation
festgelegt habe; 4) der Sekretär könne sogar "composer" sein,
d. h. "the author instrueted his secretary to send a letter without
specifying the exaet Contents" (24). R. stellt dazu Beispiele vor
und analysiert sie (24-53). Durchweg gelte, daß der Absender für
den vom Sekretär geschriebenen oder womöglich sogar verfaßten
Brief verantwortlich war (67).

In Kap. 2 fragt R. nach expliziten (68-80) und impliziten
(80-97) Indizien innerhalb der Briefe für die konkrete Beteiligung
eines Sekretärs bei deren Abfassung. Bisweilen mache der
Absender selbst darauf aufmerksam, bisweilen erwähne der Sekretär
seine Beteiligung, und nicht selten gebe es auch einen erkennbaren
(bzw. im Text ausdrücklich notierten) Wechsel der
Handschrift. Implizite Indizien seien etwa ein Postscriptum bzw.
eine Vorbemerkung oder auch die Verwendung einer besonderen
Briefgattung (etwa ein offizielles Schreiben an eine hochgestellte
Persönlichkeit, das von jemandem verfaßt wurde, dermit solcher
Art von Briefen vertraut war); vor allem aber zeige ein stilistischer
Wechsel an, daß ein Sekretär beteiligt gewesen sei. In allen
diesen Fällen sei freilich offen, welche der vier oben erwähnten
Tätigkeitsformen der Sekretär tatsächlich ausgeübt hatte. R. unterscheidet
hier den "author-controlled letter" (98-105) vom "se-
cretary-controlled letter" (105-111), wobei für den zweiten Typ
nur (wenige) Beispiele von Cicero angeführt werden, in denen
diese Praxis ausdrücklich genannt wird.

In Kap. 3 wendet sich R. den paulinischen Briefen zu. Als methodische
Voraussetzung nimmt er an, alle dreizehn im NT überlieferten
Paulusbriefe müßten untersucht werden, da ja angesichts
der Möglichkeit der Mitarbeit eines Sekretärs eventuell
vorhandene Hinweise auf nicht-paulinische Theologie oder Terminologie
bedeutungslos seien (128). R. zeigt, daß die Paulusbriefe
den Regeln griechisch-römischer Epistolographie entsprechen
, doch setze dies lediglich ein Bildungsgut voraus, das ein
hellenistisch beeinflußtes Judentum in Jerusalem (Apg 22,3) und
dann die allgemeine Begegnung mit der hellenistischen Welt während
der Mission vermitteln konnten. Daß Paulus rhetorisch
(ausge-)bildet gewesen sei, komme nicht in Frage: "While some
modern writers attempt to place Paul within the class of well-
trained rhetoricians [so etwa H. D. Betz], Paul's letters do not dis-
play a consistent conformity to established rhetorical Standards",
was durch die "non-conventional rhetorical word-order" in Rom