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Ausgabe:

1992

Spalte:

69-70

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schorege, Hans-Dieter

Titel/Untertitel:

... und alles hat wieder seinen Sinn 1992

Rezensent:

Piper, Hans-Christoph

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

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nis der Kriegs- und Nachkriegszeit („ Der Tod ist ein Meister aus Depression), dem Alter, dem Selbstmord und dem Sterben und

Deutschland", Paul Celan) erstaunen. Das Thema war längst aus der Trauer. Ein abschließendes Kapitel widmet sich der „thera-

angestammten Reflexionsräumen der Theologie und auch Philo- peutischen Dimension des christlichen Glaubens". Jedes Kapitel

sophie gleichsam ausgewandert, hatte sich verselbständigt. Bevor hat einen bestimmten Aufriß. Es geht von konkreten Erfahrun-

die aufkommenden Humanwissenschaften der 60er und 70er gen (Fallbeispiele, Statistiken, Gespräche) aus, will dann in

Jahre sich seiner annahmen und eine wahre Publikationsflut tha- einem zweiten Schritt die medizinischen, soziologischen, päd-

natologischer Themen einsetzte, hatte die Literatur bereits sehr agogischen und psychologischen Hintergründe ausleuchten, um

früh begriffen, ,was die Stunde schlägt'. Unter den vielen sei nur schließlich „die potentielle Beziehung auch zur Sinnfrage heraus-

an Bertolt Brecht, Wolfgang Borchert, Nelly Sachs, Paul Celan, zuarbeiten" (10).

Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt erinnert. Eine Einleitung versucht, „Ursachen und Hintergründe" der
Auf dem Hintergrund dieser hier lediglich skizzierten Bewe- Ängste, Krisen und Einsamkeiten (sie!) von Menschen, die am
gung stellt das Werk vor! Armin Nassehi und Georg Weber nun Leben leiden, aufzudecken (13-23). Das ist eine in dieser Kürze
nicht ein weiteres Buch gewissermaßen in der arithmetischen plakative Gesellschafts- und Kulturkritik, in der Ludwig Feuer-
Reihe folgender Veröffentlichungen dar. Vielmehr könnte es als bach, Ernest Pearl, Martin Luther, Emanuel Geibel, Erich
ein Werkstattbericht einer sehr gründlichen Aufarbeitung der Fromm, David Riesman, Potemkin, Frank Buchmann und To-
geschichtlichen Dimension und nicht weniger des empirischen bias Brocher zitiert werden. Wo der Vf. selber zu Wort kommt,
Materials zum Todesthema angesehen werden. Der Bienenfleiß gerät ihm dies nicht selten zu derart platten Aussagen wie: „Solder
gesichteten Literatur weist dieses Buch als Kompendium aus, che Zeitgenossen schlagen sich mit tausend Konsumgütern voll"
der konzeptionelle Ansatz und seine übersichtliche Durchfüh- (17). Am Schluß dieser Einleitung empfiehlt der Vf. die Telefon-
■"ung macht es zum Lehrbuch. Dabei sind der Titel „Tod, Moder- seelsorge.

nität und Gesellschaft", unter den sich die Todesliteratur seit An- Wenn er als Absicht seines Schreibens kundtut: „Wichtig ist.
fang der 70er Jahre, deren Zahl Legion ist, gut subsumieren läßt, daß sie (die Leser) sich wiederfinden in diesem Buch" (14), dann
"nd der Untertitel „Entwurf einer Theorie der Todesverdrän- muß der Rez. schon nach der Lektüre dieser Einleitung beken-
gung" kontrapunktierend zu verstehen. nen, daß er sich nicht wiedergefunden hat. Der erste Abschnitt
Der Aufbau des Werkes ist wie ein gewaltiger Bogenschlag, der eines jeden Kapitels besteht aus einer Aneinanderreihung von Zi-
mit der „Erkenntnistheorie des Todesbewußtseins" (I: M. Sehe- taten, die unverbunden nebeneinanderstehen. Damit wird der
'er, M. Heidegger) einsetzt, die „Geistesgeschichte des Todes" Leser dann alleingelassen (er soll sich wohl damit identifizieren).
W: Mythen, griech. Philosophie, Bibel, neuzeitliche Metaphysik, Eine Reflexion der Fallbeispiele findet nicht statt. In dem Kapi-
19- u. 20. Jh.) aufarbeitet, um zur „Thanatopraxis der Moderne tel über die Sexualität soll sich der Leser zunächst Klarheit über
0H: Verdrängung, natürlicher Tod, Hospitalisierung des Todes, seinen Standpunkt zu bestimmten sexualethischen Fragen (wie:
Bestattung u. Trauer; Exkurs: Opfertod u. Todesopfer) zu führen. Abtreibung, vorehelicher Geschlechtsverkehr, Homosexualität,
Daran schließt sich „Die Genese moderner Todesverdrängung" Geburtenkontrolle, Selbstbefriedigung, Impotenz u.a.) verschaf-
<lv: Entzauberung, Todesbilder, Zivilisationsprozeß). Der aus- fen. Dafür werden ihm zu jedem Problemfeld vier Formulierun-
■aufende fünfte Abschnitt „Überwindungsversuche - Zur Re- gen angeboten (insgesamt zweiunddreißig Standpunkte!), aus
Instruktion des Mementomori" trägt in seinen drei Teilen (Me- denen er auswählen darf. Verwundert reibt sich der Leser die
mento mori als Gesellschaftskritik, Kommunizierbarkeit des Augen, wenn er nach dem letzten Standpunkt (zu „DevianteFor-
Memento mori in der Moderne, Religion und Sinngebung des men der Sexualität") den Satz liest: „Soviel zur Reflexion unterTodes
) einen ausgesprochen programmatischen Charakter. schiedlicher Standpunkte zu Fragen der Sexualität allgemein"
Das umfangreiche Literaturverzeichnis, das Sachregister und (73). Auf einen „ Verschreiber" in diesem Kapitel soll noch hinge-
personenregister lassen das Begreifen der klaren Gedankenfüh- wiesen werden. Dort heißt es: ,,Schuldmädchen-(sic!), Haus-
rung des Werkes noch griffiger werden. Ein Handbuch für Lehrer, frauen- und andere .Reports' haben sexuelles Verhalten in allen
Theologen, Mediziner und beratende Berufe. nur möglichen Formen dargestellt" (79).

Dunkel ist dem Rezensenten geblieben, warum in dem Kapitel

Bremen Klaus Dirschauer über den Selbstmord und die Selbstmordverhütung (187ff) die

Schuldfrage eine solch dominierende Rolle spielt.
Und wie steht es mit der Theologie in dieser „Fibel für Ratsu-

5>chorege, Hans-Dieter:... und alles hat wieder einen Sinn. Wege chende"? Das soll abschließend an einem Beispiel aufgezeigt

aus Lebenskrisen. Gütersloh: Mohn 1991. 279 S. 8. Kart. DM werden tn dem Kapitel über die Leidfrage (Angst und Depression
) erzählt der Vf. eine in seinen Augen hilfreiche Beispiel-

°ies Buch ist offensichtlich aus der Telefonseelsorge erwach- geschichte. Ein armer „Bruder der Landstraße" stirbt und

Sen- Der Vf möchte es als eine Art .Krisenfibel'" für Ratsu- kommt vor das Himmelstor. Da poltert er los und klagt Gott an.

chende, und für die Beratenden als eine „Fibel möglicher Le- Als die Himmelspforte sich öffnet, sieht er Jesus mit seiner Jun-

benshilfe" verstehen (9) Vertreter sämtlicher Altersgruppen gerschar, wie sie langsam und müde durch die Wüste wandern.

UndGesellschaftsschichten"kommen darin zu Wort" (10). Es soll „Da schlug unser Bettler die Augen nieder und ging still bei-

ein -ganzheitlicher Versuch" sein, einmal im Blick auf die seile." Ebenso geht eine abgehärmte und verbitterte Frau auf die

" Hauptschwerpunkte sämtlicher Problemfelder", sodann „ in Himmelstür zu. Da sieht sie Jesus, der sich die „Sehnsucht nach

den Perspektiven der Betrachtung der jeweilig angesprochenen Mutter-und Geschwisterliebe aus dem Herzen reißt". Unddaer-

Probleme in ihrer leiblichen, seelischen und geistigen Dirnen- stirbt das harte Wort auf ihren Lippen, denn „s.e hatte einem ms

Sl0n " (10). Dabei fühlt er sich solch unterschiedlichen Theologen Herz gesehen, der weit mehr noch innerlich durchgemacht hatte.

wie Werner Jentsch und Eugen Drewermann verpflichtet (11). und darüber doch nicht bitter geworden war." Und schließlich

»Jedem Betroffenen soll dabei in leicht verständlicher, konkre- kommt ein Kriegsblinder, der Gott anklagt. Der schaut dann das

ter- dialogisch ausgerichteter Sprache die Chance zu der je eige- Kreuz auf Golgatha ... (156).

nen Selbstidentifikation geboten werden" (9). Die einzelnen Ka- Spätestens hier wird der Leser den Mut verlieren, die Telefon-

P'tel befassen sich mit dem Generationsproblem, der Sinnfrage, seelsorge anzurufen.

foblemen von Sexualität, Ehe und Partnerschaft, der Streß- und

^•"Problematik, der Midlife-crisis, der Leidfrage (Angst und Hannover Hans-Christoph P.pcr