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Ausgabe:

1992

Spalte:

914-915

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Murphy-O'Connor, Jerome

Titel/Untertitel:

The theology of the Second Letter to the Corinthians 1992

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

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nutzt. Mit Sicherheit ist ihr darin zuzustimmen, daß sich an Texten
wie MTeh 3, 3. 19a bzw. 105, 13, 227a zeigen läßt, daß die
gängige Entgegensetzung des Judentums als Leistungsreligion
mit dem üblichen Hinweis auf das Lohngleichnis yBer 2, 8 (5c)
und des Christentums nach Mt 20, 1-15 als Gnadenreligion in
unfairer Weise schematisiert und vereinfacht.

Immerhin ergibt der eigentliche Zielpunkt der Untersuchung,
der rcligionsgeschichtliche Vergleich von Mt 20, 1-15 in Teil 3
(157-236). daß das Gleichnis unter den vergleichbaren Texten
die ausgeführteste und komplizierteste Struktur auf der Bildspenderseite
aufweist. Das aber läßt auf der Bildempfängerseite
ähnliche Denkfiguren erwarten. Die angeführten Paralleltexte
beschreiben sonst als theologische Pointe entweder die Gerechtigkeit
Gottes eben auch formaliter (gleicher Lohn für gleiche Arbeit
) oder setzen seine Güte ins Bild (Lohn trotz mangelnder Leistung
). M.a.W.: Innerhalb der untersuchten Texte verbinden sich
die theologischen Kategorien Gerechtigkeit und Gnade so nur in
Mt 20. Ob und wie sich somit sachlich etwas Neues ergibt, eine
überraschende Pointe hörbar wird, läßt sich dann aber nicht allem
mit der gründlichen Untersuchung des Bildfeldes erfassen,
sondern nur. wenn sich die entsprechende Gründlichkeit auch
auf die sachliche Tendenz des Gleichnisses erstreckt. Wenn also
mii der These vom Achtergewicht die Schlußfrage Mt 20, 1 5b als
das Ziel des Erzählers angesehen werden muß, dann bedürfte es
der Untersuchung, in welchen ideologischen bzw. theologischen
Zusammenhängen die Beziehungen zwischen Gotteslohn und
Gottesgüte am gegebenen historischen und geographischen Ort
strittig waren. Dabei aber mit Jülicher, Jeremias und Linnemann
wiederum nur „die Pharisäer" als vermutliche „Gegner" Jesu zu
nennen (2431). erscheint mir als Engführung, die dem eigenen
theologischen und exegetischen Ansatz von H. nicht entspricht.
Auch die strikte Vcrgcltungslchre der Sadduzäer ergibt z. B. einen
möglichen Hintergrund, auf dem das Gleichnis eine charakteristische
Position bezieht. (Die cxistentiale Interpretation, die in
Mt 20 „die Sclbstvcrdinglichung des leistungshörigen Menschen
" sieht1, kann verdeutlichen, daß dieses Problem nicht nur
auf eine historische Bewegung eingegrenzt werden darf.)

Es schließen sich ein kurzer vierter Teil zur eigentlichen Auslegung
von Mt 20. 1-15 (237-245), ein eigener Abschnitt zur
Authentizität (Teil 5: 246-250), eine redaktionsgeschichtliche
Untersuchung über die kirchenkritische Tendenz des Textes im
MtEv (Teil 6: 251-290) und ein auslegungsgeschichtlicher Teil
(291-295) an. In ihnen wird in vorsichtiger Abwandlung des
Kontingenzkriteriums, das leicht mißbraucht werden kann, ein
„eigenständiger Akzent" (249) festgestellt. Er besteht für das
genuine Gleichnis in der Aufforderung zur mitmenschlichen Solidarität
von der Güte Gottes her (245.249). Matthäus dagegen
liest das Gleichnis als Verteidigung des reichen Jünglings, dem
schon in 19. 17 das ewige Leben zugesichert worden sei. Er figuriere
als Vertreter der ortsansässigen, gesetzestreuen Gemeinde
gegen die gesetzlosen Wanderprediger, die die Leitung der Orts-
ggmeinde beanspruchen.

Ein Anhang (301-311) mit Text und Übersetzung der Parallelen
, ein Literaturverzeichnis und ein Stellenregister runden die
Monographie ab.

Diese Dissertation hat durch die Überarbeitung erheblich gewonnen
. Sie Tührt nach Eckhard Rau, der einen ähnlichen Versuch
für Lk 15 vorlegte2, an einem klassischen, apologetisch oft
mißbrauchten Text die Fruchtbarkeit genauer Bildfeldanalyse
vor. Dabei werden die bekannten rabbinischen Texte (meist
schon bei Bill IV im Exkurs über Mt 20 zitiert) durch weitere vor
allem aus dem Psalmenmidrasch ergänzt und sorgfältig zum Vergleich
genutzt. Dem theologischen und poetischen Reiz des ursprünglichen
Gleichnisses schadet dieser Vergleich nicht, im Gegenteil
. Allerdings sollten christliche wie rabbinische Gleichnisse
nicht allein nach dem impliziten Imperativ (mitmenschlicher

Solidarität) befragt werden, sondern in der Entfaltung der Bildempfängerseite
auch nach dem Bild von Gott und Mensch, das
sie zu verstehen geben. So darf eigentlich die schmerzhafte Frage
nach Gottes Gerechtigkeit angesichts des frühen Todes als theologischer
Hintergrund von yBer 2, 8 (5c) und anderen Texten aus
der Exegese nicht so ausgeblendet werden. Das Eigenrecht der
Vergleichstexte könnte so noch stärker zur Geltung kommen. Insgesamt
scheint mir allerdings die gleiche Sorgfalt, wie sie für die
Bildfeldanalyse aufgebracht wird, auch für die theologischen loci
nötig zu sein, die auf der Bildempfängerseite zu erschließen sind.
Befragen läßt sich gleichfalls die kühne These von den gesetzlosen
Wanderpredigern nach dem Typ des Peregrinus Proteus. Sie
scheint mir dem unbestreitbaren Zusammenhang von Mt 19,
27-20, 16 nicht angemessen zu sein. Eher korrigiert 20, 1-16
(gewiß kirchenkritisch) die mögliche securitas von Gemeinde-
führern, die bei Mt wohl doch schon ortsansässig sein dürften,
und schärft ihnen gegenüber die Souveränität des göttlichen Gerichts
ein.

Insgesamt aber setzt die Untersuchung an einem Beispiel Maßstäbe
, wie der religionsgeschichtliche Vergleich möglich bleibt,
aber vorsichtig und fair zu erfolgen hat.

Leipzig Christoph Kählcr

1 W. Harnisch. Die GleichniseiZählungen Jesu (UTB 1343) Göttingen
1985. 196 mit Rückbczug auf Habermas.

2 Vgl.ThLZ 116(1991)506-508.

Murphy-O'Connor, Jerome: The Theology of the Second Letter
to the Corinthians. Cambridge-New York-Port Chester-
Melbourne-Sydney: Cambridge University Press 1991. XII,
166 S. 8 = New Testament Theology. Pb. £ 7.95.

Durch zahlreiche Studien (vgl. z. B. ThLZ 113, 1988, 2090 hat
der an der Jerusalemer Ecole Biblique et Archeologique Fran-
caise lehrende und forschende Autor zur Erhellung der Korrespondenz
des Paulus mit den korinthischen Christen beigetragen.
Das jetzt anzuzeigende Werk präsentiert eine vollständige Auslegung
des 2. Korintherbriefes, jedoch nicht in der üblichen Kommentarform
unter Berücksichtigung aller Details, sondern - entsprechend
dem Anliegen der von J. D. G. Dunn herausgegebenen
Serie - als fortlaufende Herausarbeitung der theologischen Gedankengänge
des Apostels Paulus.

Der Einleitungsteil informiert zunächst über die günstigen politischen
, wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen, die
Korinth besaß, um ein christliches Missionszentrum zu werden.
Die literarkritischen Überlegungen unterscheiden Brief A(Kap.
1-9) von dem später (!) geschriebenen Brief B(Kap. 10-13). Die
Gegner werden als judaistische Eindringlinge bestimmt, die, um
bei den korinthischen Pneumatikern Anklang zu finden, sich
deren Erwartungen anpaßten; Vf. spricht in diesem Zusammenhang
von einer ,,,Corinthianization' of the Judaizers" (15). Diese
müßte freilich sehr tiefgreifend gewesen sein, da die Gesetzesproblematik
im 2Kor nicht verhandelt wird.

Brief A wird in die vier Hauptteile „Klärung von Mißverständnissen
" (1,1-2,13), „Authentischer Dienst" (2,14-6,10), „Beziehungen
zu Korinth" (6,11-7,16) und „Die Kollekte für Jerusalem
" (Kap. 80 untergliedert. Den Hintergrund der Ausführungen
in 2Kor3 bestimmt Vf. dahingehend, daß die korinthischen
Pneumatiker Paulus unvorteilhaft mit Mose verglichen, wobei
ihr Mosebild hellenistisch-jüdisch geprägt war. Zugleich möchte
Vf. aus 2Kor3 erschließen, daß die judaistischen Eindringlinge
sich als Diener des Jer 31,31 ff verheißenen neuen Bundes verstanden
und die bleibende Gültigkeit des Gesetzes betonten.