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Ausgabe:

1992

Spalte:

911-914

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hezser, Catherine

Titel/Untertitel:

Lohnmetaphorik und Arbeitswelt in Mt 20, 1 - 16 1992

Rezensent:

Kähler, Christoph

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

912

Diese vermehrbaren Schwachpunkte sind darum ausgewählt
worden, weil sie gemeinsam zeigen, daß das Deutemuster: der
Prophetenschülerkreis stirbt bald aus; es gibt eine allgemeine
breite Täuferbewegung, die nur eine singuläre kleine Ausnahme
kennt (vor allem bezeugt von Joh), offene Flanken für eine kritische
Destruktion enthält. Besonders mißlich daran ist, daß B.
den jo Befund nur als isolierte Ausnahme verstehen, jedoch nicht
geschichtlich einordnen kann.

Einer besonderen Würdigung bedarf darüber hinaus die Einordnung
der Verkündigung und des Wirkens Jesu durch B. Seine
Ausführungen lassen sich auf einen Nenner bringen: Personale
Beziehungen zwischen Jesus und Johannes werden auf das Faktum
der Taufe reduziert. Die theologischen Beziehungen werden
so „organisch" (105) gedeutet, daß Jesus „die gleiche Botschaft
auf andere Weise" (99) im Rahmen der allgemeinen Täuferbewegung
vertritt. Das steht antithetisch zur bisher weitgehend vertretenen
Anschauung: Jesus gehört anfangs zum engen Kreis des
Täufers, verselbständigt sich und vertritt dann eine eigene Botschaft
außerhalb des Täuferanhangs. Also wird bei B. ein entwicklungsgeschichtlich
-dialektisches Modell durch ein organolo-
gisch-symbiotisches ersetzt. M. E. wird man guttun, weiter auf
das traditionelle Modell zu setzen. B. selbst kann nämlich seinem
Ansatz nicht treu bleiben. So spricht er z.B. im Blick auf Mk
2.18f davon, daß sich Jesu Gottesherrschaft und die täuferische
Askese „gänzlich ausschließen" (145), daß sich hiereine „prinzipielle
Kluft zwischen Jesus und dem Täufer" auftut (146). Zum
Vaterunser notiert er ganz richtig: „ Es ist kaum ein krasserer Gegensatz
denkbar als der zwischen dem ... Richtergott der Täuferpredigt
... und dem" Abba des Herrengebets (185). Auch die
„zwei Offenbarungsepochen" (61), die B. zu Mt 11,11 notiert,
oder die bei Mt 11.12f anzutreffende Bemerkung: „Nicht das Gesetz
und die Propheten und auch nicht der Täufer Johannes, sondern
allein die Gottesherrschaft ist nunmehr entscheidendes
Handlungsprinzip" (640, weisen auf die „Fundamentaldiffe-
renz" (101) hin, die zwischen Jesus und dem Täufer besteht. Bedenkt
man diese und erinnert sich gleichzeitig an die bekannten
Zusammenhänge zwischen Jesu Botschaft und der des Täufers,
kann man mit besseren Gründen mit dem entwicklungsgeschichtlich
-dialektischen Interpretationsmodell weiterarbeiten.

Es ist gut. wenn von Zeit zu Zeit gängige Thesen auf ihre Hypo-
thetik hin überprüft werden. Das hat B. getan und dabei auch das
gesamte Material - was ganz selten geschieht - in den Blick genommen
. Glücklicherweise ist er gar nicht selten dem Text treuer
als seiner eigenen Gesamtanschauung. Im übrigen ist diese viel
weniger hilfreich, die historischen Phänomene zu beschreiben,
als diejenige, die er auszog zu destruieren.

Kiel Jürgen Becker

Hezser, Catherine: Lohnmetaphorik und Arbeitswelt in Mt 20,1-
16. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg im Rahmen
rabbinischer Lohngleichnisse. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag
: Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990. X, 343 S.
gr.8 = Novum Testamentuni et Orbis Antiquus, 15.

1985 wurde die Vorlage für diese Monographie als Dissertation
in Heidelberg verteidigt (Mentor Gerd Theißen), weitere judai-
stischc Studien der Autorin führten zu der vorliegenden erheblich
veränderten und vertieften Fassung.

In einer Einleitung (1-49) bietet Frau Heszer Einblicke in die
verschiedenen Phasen der Gleichnisdeutung, die die bekannten
Stadien von einer noch allegorischen Deutung (Wellhausen) bis
hin zur sozialgeschichtlichen Auslegung (L. Schottroff) am konkreten
Text exemplifiziert. Dabei würdigt sie unter anderem auch
den zu Unrecht vergessenen Iver K. Madsen.

Aus dieser modernen Auslegungsgeschichte von Mt 20,1-15
ergibt sich vor allem die Frage, ob die etwas schlichte Behauptung
der Überlegenheit Jesu gegenüber der Lohnethik des (rabbi-
nischen) Judentums, die sich vor allem auch auf dieses Gleichnis
stützt, bei besserer Auswertung rabbinischer Texte als ideologischer
Antijudaismus nicht obsolet wird. Als Methode wählt die
Autorin eine Kombination von religionsgeschichtlicher, literaturwissenschaftlicher
und sozialgeschichtlicher Fragestellung,
eine Methodenintegration, die der Komplexität des Gegenstandes
angemessen ist.

So ergibt sich dann der erste Teil mit der sozialgeschichtlichen
Untersuchung über Lohnverhältnisse im antiken Palästina
(50-97). Er enthält solide Informationen über die Lage der Tagelöhner
und die damals üblichen Vertragsbedingungen. Sie lassen
erkennen, daß bereits die pünktliche Auszahlung an die Vollzeitarbeiter
die gute Behandlung der Arbeiter durch den Arbeitgeber
signalisiert. Ungewöhnlich aber bleibt auch nach dieser Untersuchung
die Auszahlung vollen Lohns an die „Kurzarbeiter".

Mit Recht betont H. (960, daß die Perspektive der Hauptfigur,
eines Großgrundbesitzers, keine direkten Rückschlüsse auf die
soziale Zuordnung von Erzähler und Hörer erlaubt.

Im zweiten Teil (98-156) wird der Lohngedanke als der religionsgeschichtliche
Hintergrund des Textes vorgeführt. Von
ägyptischen und zoroastrischen Texten bis zu Kirchenvätertexten
wird die Debatte um die angemessene Vergeltung bzw. den
gerechten Lohn einerseits und die erhoffte Güte Gottes andererseits
etwas summarisch zusammengefaßt. Dabei ergibt sich insofern
ein differenziertes Bild, als die Motivation zum Wohlverhalten
durch Vergeltung einerseits und der Wert der um ihrer selbst
willen vollbrachten guten Tat andererseits sowie schließlich der
Hinweis auf den Geschenkcharakter der Gnade Gottes sich nicht
fein säuberlich je einer Religion oder einer Bewegung zuordnen
lassen. Juden wie Christen können in verschiedenen Situationen
und bei unterschiedlichem Reflexionsniveau je sehr ähnlich argumentieren
. H. meint (156), daß die Herausstellung des gerechten
Lohnes vor allem als Bestandteil der Heidenmission zu gelten
hat, während ethisches Handeln um seiner selbst willen „für
Juden jener Zeit schon längst selbstverständlich war".

Es folgt das eigentliche Zentrum der Arbeit, der Vergleich zwischen
rabbinischen Lohngleichnissen und Mt 20,1-15 (157-
236). Dabei legt H. zunächst eine nützliche Forschungsgeschichte
vor, die in dieser Weise zum ersten Mal die
verschiedenen Ansätze der Auslegung rabbinischer Gleichnisse
vor allem in der amerikanischen Judaistik resümiert. Dabei kritisiert
sie - m.E. mit Recht - die heute verschiedentlich ausschließlich
auf die letzte schriftliche Stufe bezogene Auslegung, die nur
noch die Intention(en) der Redaktoren zu würdigen erlaubt.
Wenn aber die Gleichnisse des historischen Jesus nur über ein
traditionskritisches Schichtenmodell erfaßt werden können, darf
und kann es auch umgekehrt begründete Vermutungen über ein
vorliterarisches Stadium rabbinischer Gleichnisse geben. Die
dort vielfach beobachtbare Spannung zwischen Rahmen und
eigentlicher Erzählung fordert geradezu auf, aus diesem „Collagen
-Charakter" (192) wie in der Synoptikerexegese Schichtenmodelle
abzuleiten. So werden dann auch die konkreten rabbinischen
Texte von H. einer Prozedur unterzogen, die den für ntl.
Texte bekannten Methoden entspricht. Diese Behandlung sichert
zugleich das Recht, die späteren jüdischen Sammlungen synchron
mit ntl. Texten zu betrachten, da sie auch auf mündliche
Vorstufen zurückzuführen seien. Dieses Recht wird mit weiteren
methodologischen Überlegungen begründet, in denen H. die
Bildfeldtheorie Harald Weinrichs u. a. mit Überlegungen zur In-
tertextualität nach Julia Kristeva kombiniert. Daraus ergibt sich
ihr, daß auch das Bildfeld der Lohnarbeit über lange Zeiten konstant
geblieben sein dürfte. In den von ihr parallelisierten Gleichnissen
wurde es unabhängig voneinander und je verschieden ge-