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Ausgabe:

1992

Spalte:

908-909

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Neusner, Jacob

Titel/Untertitel:

Christian faith and the Bible of Judaism 1992

Rezensent:

Osten-Sacken, Peter

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

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hat. sollen ein möglichst breites Spektrum typischer Handlungen
repräsentieren.

Nacheinander untersucht er 21 Fälle in chronologischer Reihenfolge
: die Unruhen unter Alexander Jannai; die Ereignisse
unter Salome Alexandra; der Prozeß gegen Herodes; die samari-
tanische Verunreinigung des Tempels; die Proteste unter Pilatus;
der Prozeß Jesu; die Festnahmen und Verhöre von Petrus und Johannes
: der Prozeß gegen Stephanus; der Konflikt um die Aufstellung
einer Statue von Caligula im Tempel von Jerusalem; die
Petition zum Hohenpriestergewand; die Auseinandersetzung
zwischen Galiläern und Samaritanern unter dem Procurator Cu-
manus (48-52 n.Chr.); die Prozesse gegen Paulus und Jakobus;
eine Petition zum Bau eines Stadtwalls; der Einfluß von Ananias;
fünf Ereignisse im Krieg mit Rom. Alle diese Vorgänge werden
detailliert und quellenkritisch analysiert. Zusammengenommen
gestatten sie dem Autor einige wichtige Schlüsse, die er unter der
Kapitelüberschrift „Synthese" vorträgt.

Die Vorgänge lassen eine Rivalität von Juden um politischen
Einfluß erkennen. An den Verhandlungen, die ein selbstverständlicher
Teil des EntScheidungsprozesses waren, waren die „Hohenpriester
" beteiligt - eine kleine Elite in der Priesterschaft.
Neben ihnen gab es einflußreiche Laien, die aus wohlhabenden
Familien stammten. Drittens waren Juden, die offizielle Ämter
am Jerusalemer Tempel innchatten, an den Vorgängen beteiligt.
Mit dieser Synthese werden einige überraschende Korrekturen
am bisher gängigen Bild verbunden. McLaren beobachtet, wie
gering die Bedeutung des (städtischen) Rates (boule) und seiner
Beamten bei diesen Vorgängen war. Gleiches gilt für die religiösen
Gruppen (2070- Der Autor nimmt die Existenz dreier verschiedener
Institutionen an: eines beratenden Gremiums und
eines Gerichtshofes - beide in den Quellen mit „synhedrion" bezeichnet
- sowie einer boule, zuständig für die Verwaltung Jerusalems
. Diese offiziellen Körperschaften spielten in den politischen
Entscheidungen jedoch eine fast verschwindende Rolle.
„Institutions existing in this period were not significant in deci-
sion-making" (223). Auch scheinen die Mitglieder dieser kollegialen
Gremien nicht in allen Fällen festgestanden zu haben, sondern
von den politischen Führern von Mal zu Mal bestimmt
worden zu sein.

Dieses Ergebnis ist beachtlich genug, um den neuen Weg zu
rechtfertigen, den der Autor gewählt hat. Andererseits ist zu bedauern
, daß fundamentale Vorgänge von der Liste der Fälle ausgeschlossen
worden sind. Da ist einmal jene berühmte Szene, als
vordem römischen Feldherrn Pompeius in Damaskus außer den
zwei Rivalen um den Hasmonäerthron auch eine Gesandtschaft
jüdischer Aristokraten erschien, die sich gegen ein Königtum als
jüdische Regierungsform überhaupt aussprach. Ein ähnlicher
Vorgang wiederholte sich nach dem Tode von Herodes. Beide jüdischen
Gesandtschaften lassen klar erkennen, daß die jüdischen
Hohenpriester, Laien und die Pharisäer sich gegen eine Monarchie
als Verfassung Israels aussprachen. Auch wenn die Institutionen
selber an den politischen Entscheidungen nicht maßgeblich
beteiligt waren, liegt doch dem Einfluß der Hohenpriester,
Laien und Beamten eine spezifische Vorstellung von Legitimität
zugrunde. Wenn McLaren in seiner Studie wiederholt davon
spricht - im Prozeß Jesu beispielsweise, die jüdischen Entscheidungsträger
hätten nichts anderes getan, als den Status quo verteidigt
-, bleibt er uns eine nähere Beschreibung schuldig. Der
Status quo. an dessen Erhaltung den Akteuren so sichtbar gelegen
war. legitimierte sich mit einer spezifischen Konzeption politischer
Ordnung: der Herrschaft der Besten entsprechend den väterlichen
Gesetzen. Daß diese Konzeption institutionell jedoch
auf tönernen Füßen stand, ist eine beachtliche Erkenntnis, die
wir aus der Untersuchung von MacLaren mitnehmen können.

Brcmcn/Groningcn Hans O. Kippenberg

Neusner, Jacob: Christian Faith and the Bible of Judaism. The Ju-
daic Encounter with Scripture. Grand Rapids, MI: Eerdmans
1987. XVIII, 205 S. 8°. Kart. $ 10.60.

Neusners Buch gehört zu einer Reihe von Anthologien aus den
achtziger Jahren, in denen er Art und Sinn rabbinischer Schriftauslegung
veranschaulicht hat. Das Spezifikum der vorliegenden
exemplarischen Entfaltung jüdischer Begegnung mit der Schrift
besteht darin, daß sie als vornehmliche Adressaten nicht Juden,
sondern Christen hat - von daher und in diesem Sinne der Obertitel
„Christlicher Glaube und die Bibel des Judentums". Geschrieben
in der Überzeugung, daß der Schriftauslegung der Rab-
binen für Juden wie für Christen richtungweisende Bedeutung
zukommt, will der Vf. gläubigen Christen Wege zeigen, auf denen
die jüdisch rezipierte Bibel „uns allen zu helfen vermag, Gott
durch das Studium der Tora, Gottes Wort an Israel und die Welt,
zu lieben und ihm in Gottesdienst und Alltag zu dienen (to wor-
ship, serve and love God)" (IX). Die Voraussetzung dafür, daß
die rabbinische Auslegung der Schrift dies zu leisten vermag, ist
nach Neusner in dem ständigen Wechselspiel zwischen Bibel und
Gegenwart begründet, das sie charakterisiert. Dies aber - der
Kampf um die Verbindung zwischen der Tora und den Anforderungen
des heutigen Lebens jüdischerseits, zwischen dem Wort
Gottes und der Welt christlicherseits - ist die unabweisliche Herausforderung
an beide Gemeinschaften in einer Welt, die durch
militanten Säkularismus und Feindseligkeit gegenüber den biblischen
Ursprüngen der westlichen Zivilisation gekennzeichnet ist.
Wie Juden und Christen in der Gegenwart durch diese spezifische
Herausforderung von allen früheren Generationen unterschieden
sind, so desgleichen durch ihr neues Verhältnis zueinander
nach langen Zeiten der Unterdrückung bis hin zum
Holocaust: „Wir leben in einem Augenblick der Versöhnung, die
mit Gottes Hilfe desgleichen den Islam umschließen wird, die
dritte Religion der Familie Abrahams" (XIV, vgl. XVIII). In dieser
Situation und Zielbestimmung, wie Neusner sie im Vorwort
unternimmt (IX-XVIII), kommen Erfahrungen zum Tragen, die
er in den USA gemacht hat und seiner Auffassung nach auch nur
dort hat machen können: An die Stelle eines Verhältnisses von
Christentum und Judentum, das von Konflikt und Konfrontation
bestimmt ist, ist die glaubensstärkende Begegnung in wechselseitiger
Anerkennung und Wertschätzung getreten.

Zur Exemplifizierung der rabbinischen Schriftauslegung hat
Neusner drei Sammelwerke gewählt, die sich auf den Pentateuch
beziehen und dem 4./5. (Genesis Rabba und Leviticus Rabba)
bzw. dem 374. Jh. (Sifre zu Numeri) angehören. Auf der Ebene
der Redaktion ist ihnen allen - Unsicherheit besteht nur bei Sifre
- mehr oder weniger eins gemeinsam: Ihre Trägerkreise haben die
in ihrem Gewicht schwerlich überschätzbare konstantinische
Wende im Rücken und sind deshalb mit dem Faktum konfrontiert
, daß sie sich auf eine Zeit zunehmender Bedrückung einzurichten
haben. Vor diesem Hintergrund sind nach Neusner die
Auswahl der Traditionen und ihre Komposition zu verstehen.
Die historischen Bedingungen des 4./5. Jh.s bilden damit teils direkt
, teils indirekt den hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis
jenes Wechselspiels zwischen Schrift und Gegenwart, wie es
sich insbesondere in Genesis Rabba (2-110) und Leviticus
Rabba (111-167) niedergeschlagen hat - beide Werke werden
deshalb auch am breitesten dokumentiert. Der Aufbau aller drei
Teile des Buches ist gleich: Auf eine Einführung in den besonderen
hermeneutisch-theologischen Charakter des jeweiligen
Werkes folgen thematisch orientierte Anthologien. Im Falle von
Genesis Rabba gewähren sie Einblicke in die Korrespondenz von
Schöpfung und Heilsgeschichte Israels, im Falle von Leviticus
Rabba in die Lebensregeln einer heiligen Gemeinschaft im heiligen
Land, im Falle von Sifre in die Fragen und Antworten, die
den engeren Kreis der Weisen Israels und ihr Selbstverständnis
betreffen. Den Texten zu jedem Einzelthema hat Neusner