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Ausgabe: | 1992 |
Spalte: | 900-902 |
Kategorie: | Altes Testament |
Autor/Hrsg.: | Glaßner, Gottfried |
Titel/Untertitel: | Vision eines auf Verheißung gegründeten Jerusalem 1992 |
Rezensent: | Stahl, Rainer |
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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12
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Im Beitrag um die Hermeneutischen Strategien im gegenwärtigen
Islam (176ff) geht es faktisch um eine Auseinandersetzung
mit dem Fundamentalismus. M. fordert zu Recht eine herme-
neutische Erweiterung bisheriger Koranauslegungen aufgrund
gegenwärtiger Situation. Allerdings dürfte der Dialog mit dem
Islam schwierig zu führen sein, wenn man die Verbalinspiration
nur unter negativen Vorzeichen sieht und nicht um des Dialogs
willen die christliche Theologiegeschichte auch an dieser Stelle
berücksichtigt. Die sog. altprotestantische Orthodoxie könnte
vielleicht einige hilfreiche Aufschlüsse für die weitere Diskussion
im Blick auf die Exegese biblischer und koranischer Texte geben.
Mit der Auslegung von Sure 2,256 als Aufsatztitel Kein Zwang
in der Religion (209ff) befinden wir uns im Bereich von Toleranz
und Macht, oder als Frage: Wie geht der Islam mit Andersgläubigen
um? M. versucht, dem Islam gerecht zu werden, indem er auf
die koranisch gebotene Begrenzung der Gewalt aufmerksam
macht, aber immer wieder auf deren dort ausgewiesene Legitimität
hinweist (vgl. dazu unten 212ff M.s ^.sr/?/7;a(7-Auslegung).
Dazu erfahren die Leserinnen positive hermeneutische Beispiele
aus Indonesien, gleichzeitig spürend, wie lebendig islamische
Theologie auch sein kann. Schade, daß der letzte Aufsatz Moorens
über Indonesien in diesem Buch diese Linie nicht fortführt
(vgl. unten 355ff).
In diesem Zusammenhang sei noch einmal der Aufsatz Muslimische
und christliche Spiritualität herangezogen (157ff), weil
hier schon eine Auseinandersetzung mit dem sog. Hl, Krieg auftauchte
. Bei allen Bemerkungen im Buch zu diesem Thema hätte
man gern gesehen, wenn der Autor darb (Krieg) und dschihad
(Anstrengung) konsequent unterschieden hätte. Er operiert mit
einem Begriff des Hl. Krieges, bei dem die negative Konnotation
im Deutschen nicht ausgeschaltet ist. Es läßt sich so nicht vermeiden
, daß die strikte Begrenzung der legitimierten Gewaltanwendung
im Koran von M. faktisch relativiert wird. Das führt dazu,
daß Vorurteile im Blick auf die Gefährlichkeit des Islam genährt
werden (obwohl der Autor dies wahrscheinlich nicht will).
Dazu noch ein weiteres Beispiel aus dem Aufsatz über Macht
und Abstraktion (234ff). weil auch hier Vorurteile gegen den
Islam virulent werden: Auf S. 255, im Kontext einer Theologie
der Macht, die das Sehen zurückdrängt und auf das Hören bezogen
ist. heißt es: „Gehört wurden bisher in der Geschichte unzählige
Marschkolonnen, die auszogen im Namen des monotheistischen
Gottes." Die dazugehörige Anmerkung lautet: „Ein Blick
auf die Karte, die die Ausbreitung des Islam anzeigt, genügt." Gerade
wenn der Vorwurf einer solchen Theologie der Macht die
hebräische Bibel mittrifft, gerät man in eine Schieflage, die den
Gott des Judentums und des Islam als einen Macht-Gott ansieht,
der „Heilige Kriege" zuläßt. Erst die Botschaft Jesu, die Inkarnation
und der trinitarische Monotheismus entschärfen diese Tendenz
, meint der Autor (254ff).
Natur und Naturgesetze im Umfeld des monotheistischen Denkens
sind ein weiterer Themenbereich (257ff), dem sich M. in der
Weise widmet, daß er sowohl im Islam wie im Christentum
Schwierigkeiten im Umgang mit sog. Naturgesetzen konstatiert.
In einem Schnelldurchgang durch die abendländische Philosophie
tritt die Thcodizeefrage in den Mittelpunkt. Auch hier
taucht wieder die Frage nach der Macht und dem islamisch gesicherten
Gewaltmonopol des Staates auf (281), während im Gefolge
der Geschichte des Christentums es schließlich zur Gewal-
tcntcilung in den Staatsgebilden kommt.
In einem Essay über Auszug aus der Zeit in Kunst und Religion
(249ff). angefügt an Überlegungen der französischen Kunstana-
lytikcrin Maria Scriabine, begegnet uns eine Verbindung von
Kunst und Ritus, die er durch eine Reihe von Beispielen aus den
unterschiedlichsten Kulturen belegt.
Gespannt ist man auf den Vergleich des islamischen Mystikers
Halladsch (Hallajj) mit Jesus von Nazarelh: Die Provokation des
Gesetzes und der Eine Gott (318ff)- Beide Gestalten untersucht
er aufgrund ihres ähnlichen Leidens und Todesschicksals. Dabei
arbeitet Mooren besonders mit den Begriffen von Gesetz und Gerechtigkeit
, allerdings ohne den paulinischen Gesetzesbegriff von
dem im Judentum (Thora- im Sinne von Weisung) und im Islam
(Scharia - im Sinne von Weg zur Tränke, Orientierung) abzuheben
. Während das Geschick Jesu seinen (interpretatorischen)
Paulus fand, tauchte eine vergleichbare Deutung für Halladsch
nicht auf. Die Deutungslinie wird dann von Mooren bis zu Sendling
ausgezogen (350ff). Es verwundert schließlich nicht, daß die
Vergleichbarkeit von Halladsch und Jesus eher peripher bleibt.
Der letzte Beitrag befaßt sich mit Hinweisen zum apologetischen
Schrifttum des Islam in Indonesien (355ff). Die herangezogenen
Autoren scheinen sich zumindest um ein Verstehen ihrer
Welt und auch des Christentums, wenn auch unter apologetischen
Gesichtspunkten, zu bemühen, d.h. sie gehen vom Islam
als wahrhaftigem hermeneutischen Schlüssel zum Verstehen von
Naturwissenschaft, Welt, Christentum und Bibel aus, der durchaus
rationales Verstehen zuläßt (356ff). Offensichtlich kennt M.
den Islam in Indonesien recht gut. Er weiß um dessen große Begegnungsoffenheit
nicht nur im Rahmen der Staatsideologie von
Pancasila. Allerdings hätte man auch ganz andere Beispiele wählen
können, die nicht das Mißverstehen der Botschaft des NT auf
islamischer Seite (bes. S. 375) zu dokumentieren (scheinen!). Die
nicht mehr im Buch erwähnte christlich-islamische Konsultation
von Malang/Java 1991 ist ein geradezu aufregendes Beispiel von
Proexistenz im Sinne eines Modellcharakters christlich-islamischen
Zusammenlebens, das auch für Europa wegweisend sein
könnte. Sicher, es geht nicht darum, Unterschiede zu verwischen,
aber gerade der Schlußbeitrag Moorens macht deutlich, wie die
Auswahl und Beurteilung des Beziehungsgeflechtes zwischen
theologischem Denken im Islam und im Christentum dem interreligiösen
Dialog Anschubkräfte geben oder diesen faktisch
bremsen können.
Nachrodt Reinhard Kirstc
Altes Testament
Glaßner, Gottfried: Vision eines auf Verheißung gegründeten Jerusalem
. Textanalytische Studien zu Jesaja 54. Klosterneuburg
: Österr. Kath. Bibelwerk 1991. IX, 278 S. 8 = Österr. Biblische
Studien, 11. Kart. öS 262 -.
Im selben Jahr wie die zu besprechende Arbeit hat Reinhard
Gregor Kratz eine „Redaktionskritische Untersuchung zu Entstehung
und Theologie von Jes 40-55" vorgelegt1 und darin das
redaktionelle Wachstum des Deuterojesajakomplexes innerhalb
des heutigen Jesajabuches ausführlich begründet und dargestellt.
Aus dem hier interessierenden Kapitel hat er bei der Einkalkulierung
von Unsicherheiten die VV. 11-17a einer „Ebed-Israel-
Schicht" aus der Zeit um die Mitte des 5. Jh. v. Chr. und die VV.
2-3.17b noch jüngeren Zusätzen zugeordnet, die auf alle Fälle
die Anfügung von Jes 60-62 an das Jesajabuch voraussetzen würden
.2 Mit diesen Erwägungen nimmt R. G. Kratz die traditionelle
Identifikation von zwei Einheiten in Jes 54 (VV. 1-10 und
11-17) und deren Verständnis als Neudeutung des letzten Ebed-
Jahwe-Liedes (Jes 52,13-53,12) auf. Welche eigenen Positionen
erarbeitet der Vf. zu diesen Fragen?
Er versucht, eigene Wege zu gehen, muß aber doch die traditionellen
Positionen aufgreifen. So formuliert er selbst ganz am
Ende seiner Untersuchung ausgesprochen ambivalent: „Daß die
in der voranstehenden Textanalyse gewonnene Sicht einer einheitlichen
und geschlossenen ,Komposition' Jes 54 entgegen der
These einer sukzessiven redaktionellen ,Fortschreibung' der