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Ausgabe:

1992

Spalte:

895-897

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Baird, Robert D.

Titel/Untertitel:

Category formation and the history of religions 1992

Rezensent:

Moritzen, Niels-Peter

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 12

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derung angenommen hat und zugleich die hohen Erwartungen
einlöst, die er mit seinem ungemein fachkundigen und anregenden
Vorbericht geweckt hat. Für ihn als Alttestamentler ist die
Beschäftigung mit den Religionen des Alten Orients ein Teil seines
wissenschaftlichen Credo, demzufolge „an der Wiege der israelitischen
Religion verschiedene ältere Religionen Pate standen
und ihren je eigenen Beitrag zum Jahweglauben beigesteuert
haben"7, so daß er nach jahrzehntelanger Abschottung der alt-
testamentlichen Wissenschaft an deren religionsgeschichtliche
Schule anknüpfen und die Religion Israels im Lichte einer
„Theologie der Religionen" neu verstehen will.8 Dabei erscheint
Ägypten dem Theologen Koch besonders bedeutsam, weil er hier
einer Dimension des Geistes begegnet, die in den vertrauteren
Bahnen israelitischen oder griechischen Denkens nicht anzutreffen
ist,9 für ihn aber existenzielle Relevanz besitzt: „Zugleich
aber läßt gerade ägyptische Religion erahnen, was Gott heißt und
welches die Weisen seiner Offenbarung sind, über eine hergebrachte
christliche Engführung hinaus" (105f.); die ägyptischen
Götter sind zwar für den modernen Historiker nur symbolische
Größen, doch verweisen sie „auf einen komplexen numinosen
Hintergrund und die unabgeschlossene Offenheit der Weltwirklichkeit
" (106).

' H. AltcnmUllcrs Vortrag „Zur Entwicklung der ägyptischen Religionswissenschaft
", gehalten 1990 bei der Ständigen Ägyptologcnkonfcrcnz in
Linz, ist anscheinend nicht gedruckt worden.

- Dazu demnächst E. Hornung, Thomas Mann. Echnaton und die Ägyp-
tologen. in: Akten des Internationalen Thomas-Mann-Kolloquiums
Lübeck, 6.-9. Mai 1992.

3 K. Koch. Wort und Einheit des Schöpfergottes in Memphis und Jerusalem
, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 62, 1965, 251-293; jetzt in:
Koch, Studien zur alttestamentlichen und altorientalischen Religionsgeschichte
, Göttingen 1988,61-105.

4 K. Koch, Erwägungen zu den Vorstellungen über Seelen und Geister in
den Pyramidentexten, in: Studien zur altägyptischen Kultur 11, 1984,
425-454, jetzt in: Koch, Studien (o. Anm. 3) 215-242. - In dem S.54
Abb. 2 seines hier vorzustellenden Buches abgedruckten anthropologischen
Schema hat Koch nach einer persönlichen Mitteilung inzwischen die
Hieroglyphen für h3.tj „Herz" durch die für hcw „Glieder" ersetzt und dem
Personendeterminativ die verdeutlichende Bezeichnung ICH hinzugefügt
.

5 So S. 38 zu verbessern.

6 Als Zeugin der Entstehung seiner Schriften darf ich Koch S. 70f insofern
korrigieren, als nicht „Religion" (1960) und „Gott und Mensch", sondern
„Gott und Mensch" und „Die Heraufkunft des transzendenten Gottes
" (beide 1964) zusammengehören. Auch sollte man Morenz kein
Bedauern darüber unterstellen, daß er nicht an die ägyptischen Götter
glaubte, obwohl er sie als Glaubensgegenstand ernstgenommen hat.

7 Koch. Studien (o. Anm. 3) 62.

8 Vgl. K. Koch, Der Tod des Rcligionsstiftcrs. Erwägungen über das Verhältnis
Israels zur Geschichte der altorientalischen Religionen, in: Ke-
rygma und Dogma 8, 1962, 100-123; jetzt in: Koch, Studien (o. Anm. 3)
32-60.

9 Zum Problem vgl. K. Koch, Gibt es ein hebräisches Denken?, in: Pa-
storal-Blätter 108, 1968, 258-276.

Religionswissenschaft

Baird, Robert D.: Category Formation and the History of Reli-
gions. With a new preface. 2nd Ed. Berlin-New York: Mouton
de Gruyter 1991. XI, 178 S. 8 = Religion and Reason, 1. Pb.
DM 48.-.

Band I der Reihe "Religion and Reason", Hauptherausgeber J.
Waardenburg. wird hiermit nach 20 Jahren zum zweiten Mal aufgelegt
, nicht aus Jubiläumsgründen, sondern weil dies ein gründliches
und grundlegendes Werk ist.

Es geht dabei v.a. um die begriffliche Klarheit, die deutlich
gemacht haben will, wo jemand die historische Religionswissenschaft
verläßt und Theologie bzw. Religionsphilosophie betreibt,
weil er normativ nach der Wahrheit fragt. Die Antwort auf diese
Frage können die historischen Daten der Religionsgeschichte
nicht tragen; und ebenso gilt der wissenschaftstheoretische Ansatz
, nach dem keine These oder Hypothese als wissenschaftlich
gelten kann, die nicht wenigstens falsifizierbar ist.

Aus der Tradition der Sprachanalytischen Philosophie wird
der begriffliche Ansatz in der Religionswissenschaft kritisch geprüft
. Dabei zeigt sich die "essential-intuitional method" als besonders
verbreitet: Der Autor beginnt ohne längere Definition,
indem er sich und seinen Lesern zutraut, auch ohne dies zu wissen
, was Religion sei; das ist das intuitive Element, und die
Ergebnisse laufen meist darauf hinaus, daß man an Hand des
historischen Materials etwas vom Wesen der Religion erfährt. Als
Beispiel werden v.a. Mircea Eliade und C. J. Bleeker angeführt.
Der Autor schlägt statt der essential-intuitiven Methode eine
funktionale Definition vor, die sich zunächst nur auf die Bezeichnungen
, nicht auf die Sache selbst (nomina, nicht res) bezieht, um
der umgangssprachlichen Mehrdeutigkeit zu entgehen. Deshalb
schlägt er vor: "Religion is ultimate concern" - Religion ist, was
den Menschen letztgültig angeht, d.h. „das, was für die betreffende
Person wichtiger als alles andere in der Welt ist" (18),
womit ein Urteil darüber, ob diese Person damit die Wahrheit,

das Wesen der Religion (als res) getroffen hat oder nicht, offen
bleiben soll. Es geht also hier nicht darum, die letzte Wirklichkeit
, Gott, Brahman, die Buddhanatur zu studieren, sondern die
Menschen und ihre Überzeugungen.

Da stößt der Wissenschaftler auf Ideale und Systeme, und er
stößt auf ein Verhalten, das den Idealen nicht immer ganz entspricht
. Das liegt nicht an der Definition, sondern an den Daten
der Geschichte - dabei geht es um ein deskriptives Studium der
menschlichen Vergangenheit. Damit werden die systematischen,
kryptonormativen Elemente aus der historischen Religionswissenschaft
(der allgemeinen Religionswissenschaft) entfernt - also
auch der Ansatz der Religionsphänomenologie.

Die Arbeit an dem Begriff ist schon klar und spannend. Das
wird aber noch mehr der Fall, wo bestimmte Entwürfe untersucht
werden, die jeweils eine bestimmte Vorstellung davon haben, was
„Verstehen" ist: Branislaw Malinowski steht für das funktionale,
M. Eliade für das phänomenologische Verstehen, Wilfred Cant-
well Smith für das personale Verstehen; dazu kommen noch drei
Typen normativen Verstehens: Hendrik Kraemer, Hans Küng,
Sarvapalli Radhakrischnan.

Malinowski postuliert die Einheit der jeweiligen Gesellschaft,
eine positive Funktion für alle kulturellen Formen und ihre Un-
entbehrlichkeit. Die Erörterung kommt zu dem Ergebnis, daß
funktionales Verstehen - die Daten auf ihre Wirkung innerhalb
größerer Strukturen zu deuten - fruchtbar und wissenschaftlich
sinnvoll ist, wenn man die Postulate aufgibt und damit die Behauptung
, daß dieser Weg des Verstehens der einzige oder
allein wesentliche sein muß.

M. Eliade hat eine andere Ontologie im Hintergrund. Er geht
wie alle Phänomenologen von überraschenden Ähnlichkeiten
aus; und er sieht dann jede Hierophanie, jedes religiöse Symbol
als Teil einer übergeschichtlichen Struktur des Religiösen. Also
das, was bei Eliade manche Leser besonders fasziniert, nämlich
daß er den .eigentlichen', .ursprünglichen' religiösen Sinn von
säkularisierten Verhaltensformen aufdeckt, wird als wissenschaftlich
unbegründet kritisiert.