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Ausgabe:

1992

Spalte:

864-865

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Römelt, Josef

Titel/Untertitel:

Theologie der Verantwortung 1992

Rezensent:

Siegert, Karl-Matthias

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 11

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der transzendentalpragmatischen Ethikbegründung gewidmet,
die von K. O. Apel, D. Böhler und W. Kuhlmann (37) vertreten
wird. Ethische Vernunft wird hier als kommunikative Rationalität
begriffen, die intersubjektiv konstituiert wird, auf den Konsens
der Beteiligten abzielt und dabei von dem Postulat der
Gleichberechtigung und Chancengleichheit der am Diskurs Teilnehmenden
ausgeht (80ff, 85, 112, 128). Dieser Denkansatz
einer kommunikativen Ethik wird als gegenwärtig überzeugende,
einer pluralistischen Kultur adäquate Ethikbegründung breit
dargestellt. Zugleich werden aber sachliche Grenzen und Defizite
des Modells der Diskursethik angesprochen; diese hätten freilich
geschlossener aufgezeigt werden können. So ist ja zu fragen, ob
der Diskursethik, die auf die Kommunikation als „Vernunft" der
Ethik abhebt, nicht ein abstrakt-formaler, ungeschichtlicher, kulturelle
Bezüge vernachlässigender Vernunftbegriff zugrundeliegt.
Der Vf. erwähnt denn auch den Einwand des Formalismus bzw.
der Inhaltsleere der Diskursethik (72, 132) und nennt die Frage,
ob die Diskursethik, die gedanklich die „ideale" Kommunikationsgemeinschaft
eines herrschaftsfreien Dialogs unterstellt,
dem rational-sittlichen Diskurs utopisch bleibende Voraussetzungen
zugrundelegt (131 ff, 140). Vor allem aber ist zu bedenken,
daß die Diskursethik eine Vernunftanthropologie voraussetzt,
der folgend eben der vernünftig Argumentierende sich an der
ethischen Urteilsfindung beteiligen kann und soll: Doch wie sollen
dann diejenigen Personen im Diskurs und bei der Konsens-
findung angemessen zur Geltung gelangen, die sich nicht selbst
„vernünftig" zu artikulieren vermögen (ausgegrenzte Minderheiten
; Kleinkinder; Sterbende - hier ist die Euthanasieproblematik
und der humane Umgang mit sterbenden, kranken Menschen
zu beachten!)? Wie sollen die Interessen und Schutzrechte
Betroffener, die der vernünftigen Argumentation und Artikulation
nicht mehr oder noch nicht fähig sind, im ethischen Diskurs
hinreichend gesichert werden? Solche Fragen werden, z.T. in
eher knapper Form, im vorliegenden Buch erwähnt (41, 1480-

(2) Aufgrund dessen, daß der Vf. Grenzen der Diskursethik
wahrnimmt, sucht er seinerseits dieses Denkmodell zwar nicht zu
ersetzen, aber doch zu ergänzen und fortzuschreiben. Die Transzendentalpragmatik
Apels erfordere eine Erweiterung durch eine
„Existenzialpragmatik" (H. Ebeling; 163). Über die Diskursethik
hinaus seien eine normative Vernunftethik (41 ff) und der
Rückgriff auf „prädiskursive moralische Ressourcen" (139; 145)
vonnöten. An dieser Stelle könne dann die Theologie einhaken,
deren Ethik, die diskursive Rationalität erweiternd, auf eine
„komprehensive" Rationalität abziele (153ff u.ö.).

Von „komprehensiver Rationalität" zu sprechen, ist eine
wenig naheliegende, uneingängige Begriffsbildung. In der Sache
wird damit auf eine normative theologische Ethik abgehoben, die
transrationale Gehalte und Einsichten - das „Andere" der Vernunft
(158) - aufgreift, ohne freilich einer A- oder AntiRationalität
zu verfallen. Im Rahmen dieser sog. komprehensi-
ven Ehtik könne dann auch das Naturrecht zur Geltung gebracht
werden (1560- Allerdings gelangen Zugangsweisen und Begründungen
einer genuin theologischen, normativen Argumentation
im einzelnen im Buch dann weniger überzeugend zur Sprache. So
wird das Handeln „des Christen" im Unterschied zu „dem modernen
Menschen" (216) recht plakativ thematisiert - etwa:
„Gegen ihre Lebensweisheiten [näml. die der heutigen Überflußgesellschaft
] setzt der Christ die Lebensweise Jesu" und „baut er
auf die Irrtumslosigkeit und Unfehlbarkeit des Evangeliums"
(188; 223, 248). Solche Formulierungen über „den" Christen
bleiben zu allgemein und pauschal. Sodann: Amtskirchliche
Äußerungen zu ethischen Fragen werden - mit Recht! - vom Vf.
auf ihre Sachgemäßheit und rationale Plausibilität hin behaftet.
Angesichts dessen verwundert es aber, wenn die Wahlhirtenbriefe
eher unkritisch erwähnt werden (259 u.) und der autoritative
, argumentativ eben nicht mehr überzeugende Gehalt lehramtlicher
Schreiben ausgeblendet bleibt. In dieser Hinsicht
wäre - um exemplarisch ein signifikantes Beispiel zu nennen -
etwa der Rückgriff der Instructio „Donum vitae", 1987, auf die
Lehre von der Geistseele und auf naturrechtliche Argumente aus
„Humanae vitae" kritisch zu beleuchten.

Als Intention des Buches sei das Bemühen festgehalten, zum
Zweck der Grundlegung einer theologischen Sozialethik den neuzeitlichen
instrumentellen Vernunftbegriff kritisch zu diskutieren
, zugleich das Anliegen einer rationalen, argumentativen und
auf Plausibilität abzielenden Ethik zu wahren und den Gehalt
einer normativen theologischen Ethik einzubringen. Diesen Intentionen
ist in der Sache zuzustimmen, so daß auch mögliche
Ansätze einer ökumenischen Sozialethik erkennbar werden. Dies
gilt ungeachtet dessen, daß einzelne Akzente anders als im vorliegenden
Buch gesetzt werden könnten: Der normative Gehalt
christlicher Theologie ließe sich eingehender begründen. Die
Umsetzung ethischer Rationalität in Strukturen der modernen
Gesellschaft dürfte zu einer sehr viel skeptischeren Analyse herausfordern
, als der Vf. dies im Abschnitt über „ Rationalität und
Sittlichkeit der sozialen Lebenswelt" (122ff) nahebringt. Ob „das
Ethische" den empirischen Wissenschaften tatsächlich „inhärent
" ist (80), bedarf überaus kritischer Prüfung. Ferner ist zu
fragen, ob ungeachtet der abwägenden Überlegungen des Buches
zum Vernunftbegriff letztendlich nicht doch wieder eine Moral
des Vernunftoptimismus und eine Vernunftanthropologie durchschlagen
, wenn - zu zugespitzt - vom „sola ratione" für die Ethik
gesprochen wird (255). - Indes: Das Anliegen, eine argumentative
theologische Sozialethik im Blick auf die heutige materialethische
Diskussion einzufordern, bleibt als Denkanstoß des
Buches nachdrücklich festzuhalten.

Wachtberg Hartmut Kreß

Römelt, Josef: Theologie der Verantwortung. Zur theologischen
Auseinandersetzung mit einem philosophischen Prinzip. Innsbruck
: Resch 1991. XV, 149 S. gr.8° = Wissenschaft und Verantwortung
, 1. Kart. DM 30,-.

In seiner „Theologie der Verantwortung", die 1990 von der
Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck als Habilitationsschrift
angenommen wurde, setzt sich J. Römelt mit Gedanken
auseinander, die H. Jonas mit dem „ Prinzip Verantwortung"
in die ethische Diskussion hineingebracht hat. Die Grundgedanken
von Jonas werden im ersten Teil in einer Gegenüberstellung
mit E. Blochs Hoffnungsprinzip herausgearbeitet. Das Ergebnis
liest sich so: „Die Ethik hat jeden eindeutigen geschlossenen Horizont
verloren." (49) Von daher sind ihr zwei Möglichkeiten verstellt
: „ Die Zukunft des Menschen läßt sich weder mit einem reinen
naturrechtlichen Ordnungsdenken noch mit einem utopisch
gefärbten, anthropozentrischen Autonomiedenken bewältigen."
(XI, 19,u. ö.) Ethik wird vielmehr „... zu einer unsicheren Heuristik
im konfliktreichen Gang menschlicher Zweideutigkeit." (37)
Die Zweideutigkeit des Menschen wird so beschrieben: „Er ist
Knotenpunkt unterschiedlichster psychophysischer und sozialer
Dynamiken und einer sich darin vollziehenden Freiheitsgeschichte
zugleich." (60)

R. nimmt nun dieses Ergebnis im 2. Teil zum Maßstab, an dem
er Positionen in der katholischen Moraltheologie mißt. Er bescheinigt
ihnen ein Problembewußtsein für die durch die Ethik
der Verantwortung aufgeworfenen Fragen, bezweifelt aber, daß
sie überzeugende Antworten geben. Drei Positionen werden herausgearbeitet
. Zunächst stellt R. einen anthropozentrischen Ansatz
als Kritik eines Ordnungsdenkens heraus, das naturrechtlich
Handlungsnormen aufstellen zu können meint. Der steht nun
aber seinerseits in der Gefahr, Natur und Geschichte zum Material
menschlicher Freiheitsverwirklichung zu degradieren-