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Ausgabe:

1992

Spalte:

862-864

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Höhn, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Vernunft - Glaube - Politik 1992

Rezensent:

Kreß, Hartmut

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 11

862

kennen lassen. Sie können als Konkretionen zu seiner bereits
1973 unter dem Titel „Der Evangelische Glaube" publizierten
Dogmatik verstanden werden.

Wie in seiner Dogmatik unterscheidet der Vf. zwischen allgemeiner
und christlicher Offenbarung. „Menschliches Leben ist
nicht ohne Religion" (150). Aber: „Menschliches Leben kann
ohne christlichen Glauben sein" (151). Es geht Sch. um die Aufgabe
, „Gott in der Gegenwart zu finden" (41), d. h. um „die Notwendigkeit
des Transzendierens" (41, vgl. 6f. 11, 45, 57, 315,
257, 260ff). In der Durchleuchtung einfacher, elementarer Lebensphänomene
werden Erfahrung und Denken über sich und
alles Seiende hinausgetrieben zur Seinsfrage. „So können hohe
und niedere, abstrakte und konkrete Dinge zu Bildern des Unsagbaren
werden - Gott kann angeschaut werden als das Geheimnis
des Seins oder als das Geheimnis des täglichen Brots" (9). Gegenstand
der Theologie und ihre einheitstiftende Mitte ist „das eine
notwendige Transzendieren" (43). Gerade der Pfarrer müsse sich
„über den Zwang zum Transzendieren Klarheit verschaffen... er
darf diesen Gott am Werk sehen" (43). Theologie als Lehre von
Gott sei „ nur dann notwendig, wenn ihr Gegenstand ,Gott' sich
dem Menschen unabweislich aufdrängt" (40). Die Vielfalt und
Gebrochenheit der Gottesbilder geht Tür Sch. darauf zurück, daß
„das eine Geheimnis sich in die Gemüter der Menschen innerhalb
und außerhalb der Kirche hineinspiegelt" (43).

Diese Sicht hat Konsequenzen für die Christologie. Mitte der
christlichen Theologie ist Tür Sch. nicht Jesus Christus, sondern
„die unter der Anleitung Jesu gewonnene gegenwärtige Gotteserkenntnis
" (46). „Jesus war der Träger des Glaubens, daß das
schöpferische Geheimnis, das den Menschen hervorbringt und
wieder abruft, gegen den Augenschein ein den einzelnen kennender
und liebender Wille ist" (122). „Ebenso wie Jesus selbst im
Vertrauen auf die liebende Macht des Vaters in sein Verderben
gegangen ist und trotz aller Sterbensnot nicht an der Liebe des
Vaters gezweifelt hat, so hält sich der Christ im Augenblick der
negativen Erfahrung an eben derselben Liebe fest und vertraut
darauf, daß ein ihm persönlich geltender Sinn auch im scheinbar
Sinnlosen und Todbringenden enthalten ist" (175). Dies sei die
einzige Bedeutung des Begriffes theologia crucis, die sich auf Luther
berufen dürfe (a.a.O., Anm. 164). Theologie ist hier durchaus
Schöpfungstheologie, aber diese Schöpfungstheologie ist eine
an der religiösen Dimension von Geburt, Sexualität und Ehe,
Schicksal und Tod orientierte Theologie der menschlichen Lebensumstände
. Dies erklärt die große Bedeutung, die die Kasu-
alien bei Sch. erhalten, aber auch die individualistischen Engführungen
im Bereich der Eschatologie und der Ethik.

Wir haben es hier mit einer bestimmten Gestalt lutherischer
Theologie zu tun: Gott macht den Menschen durch seine Zornesoffenbarung
im Gesetz, z. B. in der Erfahrung des Todes, empfänglich
für das Evangelium. Ansatz und Methode dieser Theologie
wird besonders in dem Aufsatz „Die volkskirchliche
Beerdigung in theologischer Sicht" deutlich. Sch. will die religiöse
Dimension der Todeserfahrung wiedergewinnen und im
Schema von Gesetz und Evangelium an sie anknüpfen. Ohne die
Deutung des Todes als „Offenbarung Gottes" (218 u. ö.) werde
die kirchliche Beerdigung zu einem rein sozialpsychologischen
Vorgang. Eine Theologie, die sich weigere, „in der unmittelbar
erfahrenen Betroffenheit eine Offenbarung Gottes zu erkennen,
arbeitet dem Säkularismus in die Hände" (219). Damit ist wohl
eine Bcerdigungspredigt gemeint, die unvermittelt und ausschließlich
Gottes Liebe verkündigt und behauptet, daß Gott den
Tod des Verstorbenen ganz und gar nicht gewollt habe. Demgegenüber
nimmt für Sch. das Neue Testament den Tod „in seiner
wichtigsten und für den Christen maßgeblichen Erscheinungsform
als eine Folge des Willens Gottes, dem sich Christus gehorsam
unterordnet" (217). Das mißverständliche Wort „Gott"
werde durch die Erfahrung der Todesmacht wieder verstehbar:

„Gott selbst ist es, der den Menschen tötet" (218). In der Erfahrung
der erschütternden Macht des Todes offenbart sich Gott.
Diese Macht Gottes ist in den Trauernden als Gefühl lebendig,
und der Prediger hat an diese Erfahrung anzuknüpfen und also
„neben der maßgebenden antwortenden Offenbarung eine vorläufige
, fragende Offenbarung zur Kenntnis zu nehmen" (216).
Die Offenbarung ist also nicht auf die Offenbarung in Jesus Christus
einzuschränken, sondern auch dort ernstzunehmen, „wo ein
durchschnittlicher Mensch in seinem religiösen Erleben eine
Wendung erfährt" (216). Worin besteht nun die Kraft des Evangeliums
? Es verkündigt die Anfechtung, in der der Mensch Gottes
Feindschaft erfährt, „als eine verhüllte Form der Liebe Gottes
" (220). Das Bild, das das Zusammenwirken von Gesetz und
Evangelium, von Anfechtung und Trost, „anschaulich macht und
zugleich normiert", ist das Kreuz. „Das Evangelium ruft den
Trauernden dazu auf, gefaßt in das Dunkel der Anfechtung hineinzugehen
, weil die zunächst erlebte Feindseligkeit sich als Verhüllung
der unwandelbaren Liebe Gottes erweisen wird" (221).

Der Vermittlung von systematisch-theologischer Lehre und
kirchlicher Praxis liegt also ein bestimmter Erfahrungs- und Offenbarungsbegriff
zugrunde. In die gegenwärtigen theologischen
Schulen läßt sich diese Theologie kaum einordnen. Sie erinnert
am ehesten wohl an die späte Theologie Emanuel Hirschs, bei
dem sich eine ähnliche Zuordnung von Gotteslehre und Gottesdienst
bzw. Kasualien findet. Die Hgg. haben Recht: Sch. geht in
diesen Aufsätzen einen von heutigen Zeitströmungen und modischen
Lehrmeinungen unabhängigen Weg, um die Gottesoffenbarung
in der Gegenwart und d. h. in den Lebensumständen des
Menschen ernstzunehmen und an sie anzuknüpfen. Es lohnt sich,
den Ertrag dieses Denkens in seinen Konkretionen von Gottesdienst
, Kasualien, Seelsorge und Kirchenleitung kennenzulernen
und zu bedenken, auch wenn man seinen Ansatz nicht folgen
möchte.

Münster Erdmann Sturm

Systematische Theologie: Ethik

Höhn, Hans-Joachim: Vernunft - Glaube - Politik. Reflexionsstufen
einer Christlichen Sozialethik. Paderborn-München-
Wien-Zürich: Schöningh 1990. 296 S. gr.8° -= Abhandlungen
zur Sozialethik, 30. Kart. DM 52,-.

Hinter dem etwas blassen und allgemeinen Buchtitel „Vernunft
- Glaube - Politik" steckt ein anspruchsvolles Werk, dem
es um eine Grundlagen- und Begründungsreflexion der katholischen
Christlichen Sozialethik bzw. Christlichen Gesellschaftslehre
geht. Diese wird als Handlungstheorie (77, 171) ins Licht
gerückt. Entscheidend für die Argumentation des Buches ist die
Frage nach Chancen und Grenzen neuzeitlicher menschlicher
Vernunft. Der einseitig funktionelle, instrumenteile Vernunftbegriff
der Moderne und ihrer technischen Zivilisation wird - mit
Recht - kritisch diskutiert (46-62). Doch diese kritische Erwägung
zur neuzeitlichen bzw. „modernen" Vernunft zeichnet sich
dadurch aus, daß sie gleichwohl das Anliegen ethischer Vernunft
und die Programmatik einer rational konzipierten Ethik nicht
pauschal diskreditiert oder einfach zu „überwinden" versucht.
Eine Rückkehr zu voraufklärerischen Denkmodellen gilt dem Vf.
für die neuzeitliche Gesellschaft und Ethik weder als vorstellbar
noch als praktikabel (145, 2200- Insofern setzt sich das Buch mit
einer Ethik im Horizont neuzeitlicher Rationalität sowohl kritisch
, unter Hinweis auf die Rationalitätsparadoxien der Moderne
, als auch konstruktiv auseinander. Näherhin sind dabei
zwei thematische Schwerpunkte des Buches herauszuheben.

(1) Eine ausführliche Darlegung wird der Diskursethik bzw.