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Ausgabe:

1992

Spalte:

860-862

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Rolf

Titel/Untertitel:

Gotteslehre und kirchliche Praxis 1992

Rezensent:

Sturm, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 11

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was ja unzweifelhaft richtig ist, daß die naturwissenschaftlichen
Erkenntnisse weltanschaulich recht unterschiedlich interpretiert
werden können, ohne daß es möglich ist, zwischen ihnen von der
Naturwissenschaft her eine Deutung zwingend zu bevorzugen,
sondern es wird auch immer wieder gegen die Erstellung eines
„wissenschaftlichen Weltbildes" (mit weltanschaulichen Anteilen
und Implikationen) polemisiert: „Es ist notwendig, das Denken
in scheinbar wissenschaftlich begründeten Weltbildern überall
kritisch zu betrachten - auch dort, wo ein Weltbild gut zum
christlichen Glauben zu passen scheint. Denn die Paßform ist ja
immer nur vorläufig, und der nächste Fortschritt der Physik oder
Chemie kann sie umgießen. Wer sich ein wissenschaftliches Weltbild
macht, hat den künftigen Konflikt mit der Naturwissenschaft
vorprogrammiert" (245).

Dem kann man zustimmen, wenn damit wirklich nur gemeint
ist, daß es keine Weltanschauungsbildung geben darf, die sich
vorspiegelt, einseitig und folgerichtig nur von naturwissenschaftlicher
Erkenntnis zur weltanschaulichen Deutung und Interpretation
zu verlaufen, und die sich nicht dessen bewußt ist, daß ein
wissenschaftliches Weltbild, bzw. eine „wissenschaftliche Weltanschauung
" immer auf einer sehr engen, wechselseitigen
Durchdringung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und weltanschaulichen
, bzw. glaubensmäßigen Standpunkten beruht.
Man mag, was den christlichen Schöpfungsglauben betrifft, den
Begriff „wissenschaftliches Weltbild" für den Versuch, unsere
Naturerkenntnisse in das Licht des Schöpfungsglaubens zu stellen
und den Schöpfungsglauben unter Zuhilfenahme unseres Naturbildes
zu interpretieren, zu Recht ablehnen; aber diese Aufgabe
selbst bleibt bestehen, wenn Schöpfungsglaube und Naturerkenntnis
nicht unverbunden und unvermittelt nebeneinander
existieren sollen, was eben vielfach nicht gelingen kann. Die
Lehre von der „doppelten Wahrheit" ist nicht überzeugend, und
sie wird von den Autoren wohl auch keineswegs intendiert. Dem
steht der erwähnte „Weltanschauungszwang" entgegen.

Aber die Angst vor den Gefahren einer gewiß immer zeitgebundenen
, nur vorläufigen Synthese von Schöpfungsglauben und
Naturerkenntnis durchzieht spürbar das Buch, obwohl doch
auch in den so wichtigen ethischen Fragen über solche vorläufigen
Synthesen zwischen Grundsätzlichkeit und Zeitgebundenheit
vielfach nicht hinauszukommen ist. Hier liegt - aus meiner
Sicht - eine leichte Schwäche dieses so vorzüglichen Buches. Den
Autoren dienen naturwissenschaftliche Erkenntnisse nur zu
einer Illustration ihres Schöpfungsglaubens, sie scheuen sich vor
dem, was die Theologie im engen Anschluß an die Bibel die
Selbstkundgabe Gottes durch die Werke seiner Schöpfung
nennt.

Berlin Hans-Hinrich-Jcnssen

Systematische Theologie: Dogmatil*

Koch, Walter A.: Gott und die Welt. Semiogenese und Theogenese
. Bochum: Brockmeyer 1991. IX, 92 S. m. Abb., 3 Falttab.,
Beilage: 8 Falttaf. 8 = Bochumer Beiträge zur Semiotik, 32.
Kart. DM 24,80.

Der Obertitel ist keineswegs so nichtssagend, wie er scheint
(alles und nichts); beide Elemente sind höchst präzis und in ihrer
Relation konkret gemeint (deus sive natura). Die Herausforderung
liegt darin, von Gott wieder in enzyklopädischer Weise zu
denken und zu reden. Semiotik (genetisch verstanden) besagt,
daß es keine fertigen Zeichensysteme gibt, vielmehr lange Reihen
evolierender, verwandter Zeichensysteme. Die der Semiogenese
(Kultur) von zwei Millionen Jahren entsprechende Theogenese
brauchte ebensolange, bis sie eine entsprechende Vielzahl göttlicher
Prinzipien hervorbrachte. Der Bochumer Begründer der
.Evolutionären Kultursemiotik' (Bochum 1986; vgl. Ders. hg.,
Semiogenesis, Bern 1982) begründet die These einer Theogenese
als Begleiterscheinung (Koevolution) der Semiogenese (2). Gut
vorbereitet durch eine geordnete Rekonstruktion des bestmöglichen
Wissens um unsere evolutionäre Welt, geht es um nichts weniger
als um eine integrative Einbindung der Reden von Gott als
höchstem Regulativ in ein explizites Weltmodell. Neben der Basisopposition
von Natur vs. Kultur (Welt 1 vs. 2) wird ein vermittelndes
tertium datur (Welt 3 in symbolischen Artefakten) ausgemacht
(90, das durch Konstruktion einer indexikalischen
Beziehung zustande kommt, sei es durch kollektive Partizipationen
im Ritus (5f.32-35), denen auch die Gott-Mensch-Einheit
der Zweinaturenchristologie als echtes tertium comparationis
zugeordnet wird (13.71). Gott, verstanden als die Gesamtheit
von Welt insgesamt, muß unter drei verschiedenen Aspekten gesehen
werden (15-23): GOTT (= Welt 1) als Evolution der Materie
über alle Ebenen von der Kosmogenese über die Biogenese bis
zu den Semiogenesen (24-29), ,Gott' (= Welt 2) als die im Bewußtsein
der Lebewesen evolierende Bezugsgröße, „Gott" (-
Welt 3) als durch epistemologische Strategien rekonstruierte Bezugsgröße
(43-50). Wie für die Semiotik die Bedeutung dieser
Forschungsrichtung darin liegt, daß die bisher weitgehend sta-
tisch-klassifikatorisch verwendeten klassisch semiotischen Begriffe
endlich eine evolutiv-dynamische Realitätsqualität erhalten
(46), so setzt das Studium der Evolution der Religiosität, der
Theogenese, neue Impulse auch für die Religionswissenschaft.
Die Frage, wie weit theologische Axiome durch einen solchen
Entwurf zu relativieren sind (65f bzw. Idolbildung: 74), ist hier
als bleibende Herausforderung gestellt.

Saarbrücken Wolfgang Schenk

Schäfer, Rolf: Gotteslehre und kirchliche Praxis. Ausgewählte
Aufsätze, hg. von U. Köpf u. R. Rittner. Tübingen: Mohr 1991.
VI, 345 S. S' Kart. DM 34,-.

Der Titel dieser Sammlung von 15 Aufsätzen aus der Zeit zwischen
1968 und 1988 macht auf die enge Verbindung von dogmatischer
Reflexion und kirchlicher Praxis aufmerksam, die die Arbeiten
des Verfassers auszeichnen.

Der Band enthält folgende Aufsätze: Gott und Gebet - Die gemeinsame
Krise zweier Lehrstücke, 1-12; Welchen Sinn hat es,
nach einem Wesen des Christentums zu suchen?, 13-31; Die Einheit
der Theologie, 32-48; Glaube und Werk - ein Beispiel aus
der Gegenwart. Beobachtungen zu Dag Hammarskjölds geistlichem
Tagebuch, 49-94; Die Lehre von der Ehe im Lichte des
Gottesgedankens, 95-131; Zur kirchlichen Trauung, 132-146;
Politischer oder christlicher Glaube; 147-192; Die volkskirchliche
Beerdigung in theologischer Sicht, 193-231; Geistliches
Leben in Gemeindeaufbau und Gemeindeleitung, 232-244; Oratio
, meditatio, tentatio. Drei Hinweise Luthers auf den Gebrauch
der Bibel, 245-251; Gotteslehre und kirchliche Praxis, 252-263;
Allgemeines Priestertum oder Vollmacht durch Handauflegung?
Zu Luthers Ordinationsauffassung im Brief an Johann Sütel in
Göttingen, 264-285; Glaube, Kirche und Politik, 286-295; Zum
Problem der Gegenwart Christi im Abendmahl, 296-315; Ist die
Entscheidung der Reformation für Kindertaufe und Volkskirche
noch gültig?, 316-328. Eine Bibliographie Rolf Schäfer sowie ein
Namens- und Sachregister bilden den Abschluß.

Die meisten Beiträge sind in der ZThK schon publiziert, also
nicht gerade schwer erreichbar. Aber immerhin sind hier die
wichtigsten Beiträge des Vf.s zur Systematischen und Praktischen
Theologie zusammengefaßt, die, ausgehend von der Gotteslehre
, wichtige Bereiche der christlichen Praxis behandeln und
die Einheit seines theologischen Denkens und seinen Ansatz er-