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Ausgabe:

1992

Spalte:

858-859

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hemminger, Hansjörg

Titel/Untertitel:

Jenseits der Weltbilder 1992

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 11

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gischen Betrachtungsweise darin besteht, die Wesenssachver-
halte freizulegen, so kann die Intentionalität als „die Form des
Selbstvollzuges menschlichen Geistes" beschrieben werden, „in
der die Wesenssachverhalte gegeben sind" (91). Anders gesagt:
„Intentionalität bezeichnet ... die Art und Weise, in der der
menschliche Geist so der Wirklichkeit zugewandt ist, daß diese
sich in ihrer Wesensstruktur dem menschlichen Geist als sie
selbst geben kann" (94).

Der zweite Teil der Arbeit will sich nicht damit begnügen, Intentionalität
„abstrakt als Wesensstruktur" (241) zu beschreiben,
er fragt danach, wie dieser Begriff „als konkret sich vollziehender
geistiger Akt zu bedenken ist" (ebd.). Diese Untersuchung, welche
die oben bezeichneten Teile der materialen Wertethik in den
Blick nimmt, bietet erheblich größere Schwierigkeiten als das bisher
Gesagte. Zugleich darf in ihr der eigentliche Beitrag des Vf.s
zur Scheler-Forschung erblickt werden, da diese Frage in der Literatur
bisher nicht behandelt wurde (Vgl. 103). Die Schwierigkeiten
bestehen vor allem darin, daß Scheler das Sich-Vollziehen
der Intentionalität nicht zum Gegenstand einer selbständig
durchgeführten Analyse gemacht hat, so daß der Vf. darauf angewiesen
ist, seine Interpretation auf einige verstreute Bemerkungen
und indirekte Rückschlüsse zu gründen. Diese relativ
schmale Ausgangsbasis erlaubt es kaum, den Begriff der Intentionalität
in der vom Vf. beabsichtigten Weise als Schlüsselbegriff
herauszustellen, der die Eigenart des Schelerschen Denkens erhellen
könnte. Die Problematik wird schon daran deutlich, daß
Gabel auf die Analysen Husserls zurückgreifen muß, um die
„äußerst knappen Hinweise" Schelers zu präzisieren und zu entfalten
(157. vgl. 114ff). Auf die Bedeutung F. Brentanos für die
Bestimmung des Wesens der Intentionalität wird zwar hingewiesen
(1680, doch zeigt sich hier, daß der Verfasser sein Wissen nur
aus der Sekundärliteratur bezieht (Vgl. 169, Anm. 189 + 190).
Die Eigenständigkeit Schelers kommt da besser zur Geltung, wo
der Nachweis für die Behauptung erbracht wird, die Intentionalität
der inneren und äußeren Wahrnehmung sei fundiert in den
„emotionalen Aktarten" (172). Da das emotionale Erleben zum
Selbstvollzug von Geist hinzugehört, muß die phänomenologische
Forschung die Akte des Fühlens in ihre Untersuchungen einbeziehen
(vgl. 176). Wie den Akten der Wahrnehmung „die
Sphäre der im Erkennen erfaßbaren Wesenssachverhalte korreliert
", so korreliert den emotionalen Akten die Welt der Werte,
für die das Sich-Vollziehen des emotionalen Erlebens den einzig
möglichen Zugang bildet (1 78). So mündet die Abhandlung in die
Bestimmung von Liebe bzw. Haß „als der alle geistigen Vollzüge
fundierenden Weise des Selbst Vollzuges von Geist" (211). Gerade
das Lieben ist nicht auf das Gegebensein von Werten bezogen
, sondern ermöglicht erst, wie Scheler formuliert, „das Erscheinen
ihres Sich-Gebens" (217). So wird verständlich, daß als
Woraufhin des Liebens nicht die „Modalitäten des materialen
Wertseins" genannt werden dürfen, sondern „das Sein der Person
" (220).

Erstaunlich ist, daß der Vf. den Begriff der Person nicht mehr
entfaltet, sondern am Schluß seiner Abhandlung diese Aufgabe
als Desiderat vermerkt, das einer weiteren Untersuchung vorbehalten
sein müßte (Vgl. 245). Die Lektüre vermittelt den Eindruck
, daß er nicht die Kraft besaß, seine subtilen und diffizilen,
wenn auch nicht unproblematischen Überlegungen zum Ziel zu
bringen. Wäre es anders, wäre vielleicht auch die eigentliche
theologische Abstinenz des Buches überwunden worden, das
über philosophische Ausführungen im engeren Sinne nicht hinauskommt
.

München Reinhard Leuze

Hemminger, Hansjörg u. Wolfgang: Jenseits der Weltbilder. Naturwissenschaft
, Evolution, Schöpfung. Stuttgart: Quell 1991.
284 S.

Die beiden Vff., der Diplomphysiker Wolfgang Hemminger,
geb. 1941, Direktor und Professor an der Physikalisch-Technischen
Bundesanstalt in Braunschweig und Hansjörg Hemminger
, geb. 1948, Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen in Stuttgart und auf die Verhaltensbiologie
spezialisierter Biologe, haben mit diesem Buch m. E. eines der
instruktivsten und für Christen hilfreichsten populärwissenschaftlichen
Werke geschaffen, die es zur Zeit im deutschsprachigen
Raum zur Frage des Verhältnisses von naturwissenschaftlicher
Erkenntnis und christlichem Glauben gibt.

Auf dem relativ knappen Raum von 284 Seiten vermitteln die
Autoren eine - soweit ich das als Laie beurteilen kann - zuverlässige
, solide und zugleich die kritischen Punkte beleuchtende Darstellung
der kosmischen Evolution, d. h. des heutigen kosmologi-
schen Standardmodells, einschließlich des nicht überzeugenden
Gegenmodells der "Steady-State"-Theorie, und der Evolution
des Lebens, wie sie sich der neodarwinistischen „synthetischen
Evolutionstheorie" darstellt, weiterhin eine ausgesprochen ansprechende
Interpretation der sechs Schöpfungstage im Lichte
heutiger Naturerkenntnis, sowie eine gelungene, argumentative
Auseinandersetzung mit dem von Amerika inspirierten, aber
etwas gemäßigteren deutschen Kreationismus und schließlich
den Versuch einer prinzipiellen Verhältnisbestimmung von naturwissenschaftlicher
Erkenntnis zu den sich wissenschaftlich gebenden
Weltanschauungen des modernen Materialismus und des
evolutionären Pantheismus (des New Age) einerseits und dem
christlichen, theistischen Schöpfungsglauben andererseits. Die
Darstellung ist ausgesprochen klar und gut verständlich, auch
dort, wo der Leser mit entsprechenden Fachtermini konfrontiert
wird. Siebzehn in den Text im Petitdruck eingeblockte „Kästen"
fassen wesentliche Punkte übersichtlich zusammen. Das Buch ist
unzweifelhaft eine pädagogische Meisterleistung.

Die Grundhaltung der Autoren ist eindeutig und konsequent
durchgehalten: „ Unser Standpunkt ist der des christlichen Glaubens
, für den die Evolution (und die ganze Natur) Anlaß zur
Freude über die Schöpfungsmacht Gottes ist" (27).

Die Motive, die zum Kreationismus verleiten können, werden
verständnisvoll gewürdigt, aber in der Sache wird er konsequent
und überzeugend zurückgewiesen: „Das Verständnis für den
Kreationismus hebt seine Gefahren nicht auf" (257). Auch wenn
man den Aussagewert solcher Umfragen kritisch sieht, bleibt es
doch beunruhigend, wenn gemäß einer 1989 veröffentlichten
Umfrage des Demoskopischen Instituts Allenbach „immerhin
28 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik daran" glauben,
„daß der Mensch genau so erschaffen wurde, wie es die biblische
Urgeschichte schildert, nämlich aus einem Erdenkloß, den Gott
wie ein menschlicher Töpfer formte. Wie die Umfrage zeigte, teilen
ein Drittel der Katholiken und ein Viertel der Protestanten in
Deutschland diese Vorstellung" (198).

Was die grundsätzliche Position der Verhältnisbestimmung betrifft
, die den Theologen naturgemäß besonders interessiert, so
sehe ich eine gewisse Spannung das Buch durchziehen: Einerseits
heißt es, nachdem dagelegt wurde, daß Hawkings - in seinem
Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit" entwickelte - Anschauung
eines weder erschaffenen noch zerstörbaren Universums die
Kontingenz dieses Universums nicht aufhebt: „Die Notwendigkeit
bleibt bestehen, das naturwissenschaftliche Ergebnis zu deuten
, von religiösen und weltanschaulichen Voraussetzungen her
weiterzudenken. Genaugenommen herrscht sogar ein ,Weltanschauungszwang
', denn das weltanschauliche Weiterdenken ist
für den Menschen, falls er überhaupt denkt, ganz unvermeidlich
"(71). Andererseits wird nicht etwa nur immer wieder betont,