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Ausgabe:

1992

Spalte:

842-843

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schüling, Joachim

Titel/Untertitel:

Studien zum Verhältnis von Logienquelle und Markusevangelium 1992

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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841

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 11

842

Hebr wolle diesem Mangel abhelfen und ziele darauf ab, diese
Gruppe von einem völligen Abdriften zum Synagogengottesdienst
abzuhalten, indem er ihnen die auch die Gegenwart bestimmende
, bleibende Sühnewirkung des Opfers Christi zu erweisen
suche.

Im Hauptteil, der der Entfaltung der Theologie gewidmet ist,
folgt L. der im Hebr vorgegebenen Gedankenfolge und entfaltet
knapp und überschaubar die Argumentationslinie des Schreibens
: "The way of perfection" (Kap. lf und 30; „The priesthood
of Jesus (I): necessity of mature understanding" (Kap. 5 und 6);
"The priesthood of Jesus (2): the mediator of the New Covenant"
(Kap.7 und 8); "The sacrifice of Jesus" (9,1-10,18); "The
response of faith" (10,19-13,21.22-25). Von den verschiedenen
Textbereichen her sucht L. dabei zu verdeutlichen, daß Hebr in
der Tat als theologische Reaktion auf die oben beschriebene Situation
verstanden werden muß: als ein Versuch theologisch klarzustellen
, " that the death of Jesus is not merely a sacrifice for sin,
as it stated in the kerygma, but has ongoing effect for all time."
(14) Hinsichtlich des Standorts dieses theologischen Entwurfs im
Schriftenkanon des NT wird auf den noch „flüssigen Aggregatzustand
" der Theologie in ntl. Zeit hingewiesen, die spezifische
Ausprägungen der im apostolischen Kerygma gründenden inneren
Einheit des Bekenntnisses hervorgebracht habe. Eine kurze
und instruktive Zusammenfassung der Hauptthemen des Hebr
(124-127!) soll dessen Beitrag zur Theologie der NT verdeutlichen
. Mit Blick auf Johannes und Paulus stellt L. dabei heraus:
"Hebrews takes his place alongside them as creative theologian
in his own right." (124)

Bemerkenswert sind die abschließenden Hinweise zur heutigen
Rezeption des Hebr. L. diskutiert zunächst die theologischen
Grundvoraussetzungen des Schreibens in ihrer Bedeutung für
den heutigen Leser ("the plan of salvation", "the use of Scrip-
ture", "the atonement ritual", "the rigorism of Hebrews") und
versucht dann dem bleibenden Sinn der Botschaft des Hebr auf
die Spur zu kommen. Mit Recht hebt er dabei hervor: "... the
point of reading Hebrews with imagination and sensitifity is not
to agree with the argument, which may be impossible if one does
not share the author's religious belief, but to grasp what he really
has to say." (136) Letzteres aber sieht L. am besten in der doppelten
Beschreibung Jesu als „ Urheber und Vollender unseres Glaubens
" (Hebr 12,2) zum Ausdruck gebracht.

Um es gleich deutlich zu sagen: L. bietet in einem relativ
schmalen Band eine theologische Deutung des Hebr, die in ihrer
Geschlossenheit beeindruckt und deren klare Darstellung angesichts
einer so schwierigen Materie großen Respekt verdient. Das
Büchlein überzeugt dabei nicht nur durch die Darstellung der
Theologie des Hebr, sondern auch durch das Bemühen, dieses
schwierige Schreiben zu anderen Theologien des NT ins Verhältnis
zu setzen und seine theologische Bedeutung für die gegenwärtige
Kirche zu erschließen. Der Rez. möchte freilich nicht verschweigen
, daß ihn die Bestimmung der Situation des Hebr
durch L. nicht in jeder Hinsicht überzeugt hat. Wird 13,7-17 hier
nicht über Gebühr in Anspruch genommen? Hätte man bei einer
derart spezifisch geprägten Situation der Adressaten nicht deutlichere
Hinweise gerade in dem den Hauptteil einleitenden parä-
netischen Vorspann 5,11-6,20 erwarten dürfen? Dies möchte
nicht die wichtigen Beobachtungen L.s in Frage stellen, sondern
andeuten, daß das letzte Wort bezüglich der näheren Beschreibung
der Situation der Adressaten des Hebr sicher noch nicht gesprochen
ist. Um es noch einmal zu sagen: L. bietet eine instruktive
, in jeder Hinsicht sachlich fundierte und dabei auch
durchaus eingängige Einführung in die Theologie des Hebr, die
auf ihre Weise auch als beste Reverenz für die Reihe "New Testament
Theology" gewertet werden darf.

Erfurt Claus-Petcr März

Schüling, Joachim: Studien zum Verhältnis von Logienquelle und
Markusevangelium. Würzburg; Echter 1991. 252 S. gr.8° =
Forschung zur Bibel, 65. DM 39,-.

Dem Band liegt eine Gießener Dissertation zugrunde (1987 bei
G. Dautzenberg). Er will das Verhältnis von Mk und Q exemplarisch
an vier Textsegmenten textkomparatistisch erhellen, die
von vornherein als „vier Traditionsblöcke" definiert sind (12).
Eine weitere, diskussionslos angenommene Prämisse nennt das
Kriterium der Auswahl, nämlich „solche Traditionen, die einen
deutlichen Zusammenhang mit der Reich-Gottes-Verkündigung
aufweisen" (ebd.): Botensendung Q 10,2-16 (17-55; als .gemeinsame
Tradition' wird Q 10,4.5-7a.lOf vorausgesetzt), Johannes
der Täufer Q 3,7-9.16f; 7,18-35 (56-108; .gemeinsame Tradition
': Q 3,16 als ,Geist'-Wort; 7,24-27), Beelzebulstreit Q
11,14-20 (109-136; gemeinsame Tradition': Q 11,15.17f, wobei
befremdlich bleibt, daß das Lästerungswort zwar bei Mk 3,28f
diskutiert ist, nicht aber bei Q - obwohl 135 dort als „ursprünglicher
erhalten " angesehen - oder gar bei gemeinsame Tradition'),
Nachfolger Q 14,26f (137-164; .gemeinsame Tradition': Q
14,27). Die in den Prämissen liegende Vorentscheidung bestimmt
auch die stereotype Dreier-Gliederung jedes der vier Kapitel
, die immer mit „ 1. Gemeinsame Logientradition" einsetzt,
ehe „2. Q" und „3. Mk" folgen.

Der Primat der Synchronie (auch für eine diachrone Textkom-
paratistik!) hätte das Umgekehrte erwarten lassen. Die Dominanz
einer (mit A. Polag, H. Schürmann, D. Zeller) noch am Evolutionsmodell
orientierten ,Traditionsgeschichte' ist offenkundig
(13: .Wachstumsstufen'; vgl. zu beiden Elementen dieses Kompositums
20f u.ö.). Dessen methodologische Überwindung (von
sehr verschiedenen Seiten her, vor allem: N. R. Petersen, Literary
Criticism for NT Critics 1978, aber auch W. Schmithals, Kritik
der Formkritik ZThK 1980 wie K. Haacker, Ntl. Wissenschaft
1981) kommt nicht in das Blickfeld. Die Fragestellung ist so von
vornherein darauf zugespitzt, „auf welcher Stufe sich die Überlieferung
des Mk von der Q-Tradition getrennt habe" (ebd.).

Eine mögliche literarische Beziehung von Mk auf Q, wie sie
z. Zt. J. Lambrecht und der Rezensent nachzuweisen versuchen
(vgl. 170-6), wird mit der Prämisse ausgeschlossen, daß „Mk
nicht alle Sprüche, die sich in Q über Mk hinaus finden, ausgelassen
haben kann" (19 vgl. 21.176 u.ö.). Das Modell der ,Wachstumsstufen
' schließt Auslassungen prinzipiell aus (faktisch nicht
immer: 49), während umgekehrt bei einem Rezeptionsmodell
solche E-Silentio-Postulate nicht so leicht möglich sind. Primärer
Ausgangspunkt müßte der interne Nachweis einer Gesamt-Q
kennzeichnenden Redaktionsschicht sein, ehe man weitere und
ältere Schichten namhaft machen kann, soweit das textarchäologisch
überhaupt möglich ist, da das Verfahren als solches schnell
an seine reduktiven Grenzen kommt, wo Segmente, die noch
texthaltig sind, nicht mehr mit Sicherheit herauspräparierbar
sind. Die generelle Ablehnung der Versuche von Schmithals
(174f) verwundert, da er hier im Prinzip ja dasselbe Modell einer
gemeinsamen Logientradition (Prae-Q) vertritt, von der sowohl
Q (Vollform) wie Mk abhängig sind. Immer wieder stößt man auf
ein fehlendes Empfinden für die Notwendigkeit, die aufgestellten
Behauptungen und forschungsgeschichtlichen Abgrenzungen
materialiter zu belegen und empirisch philologisch nachzuweisen
(auch 1 77f gg. das Postulat eines ,Dt-Mk'; vgl. dgg. meine Einzelargumente
zur Beelzebulkontroverse gg. A. Fuchs in der Rez.
ThRev 1981: 349-51). Was als Schlußfolgerung' ausgegeben
wird, ist meist nur zirkulär die Prämisse selbst (vgl. 25 u.ö.). An
die Kontrahenten werden unbillige Postulate gestellt (174:
„Weder Lambrecht noch Schenk gelingt es aber, redaktionelle
Übergangswendungen der Logienquelle im Markusevangelium
nachzuweisen." Da ist aber doch eine zu schmale Materialbasis
zum Parameter gemacht worden).