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Ausgabe:

1992

Spalte:

62-63

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Wunden, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Medien zwischen Markt und Moral 1992

Rezensent:

Huber, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 1

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det sich der sachgemäßen wie menschengerechten Gestalt der
ökonomischen Strukturen zu, die ethisch beurteilt werden.

Mittelpunkt des Buches sind die Erörterungen über wirtschaftliche
Grundsysteme und ihre Beurteilung sowie über die Ordnungsgestalten
der Marktwirtschaft und ihre Maximen. Als wirtschaftliche
Grundsysteme läßt Rieh nur Marktwirtschaft und
Zentralverwaltungswirtschaft gelten und optiert eindeutig für
erstere. Doch hat die Marktwirtschaft Grenzen, weil der Wettbewerb
in der Realität nicht unverzerrt bleibt und kollektive
Bedürfnisse zu wenig beachtet werden. Deswegen muß die Wirtschaftsethik
offen bleiben für das entgegengesetzte Grundsystem
und dessen Werte in Relation zu den Werten der Marktwirtschaft
halten.

r>Kollektivinteresse, Sozialpflichtigkeit und Solidarität sind
a's solche ebenso unaufgebbare Grundwerte wie die liberalen. Allein
in der Relationalität zu ihren Grundwerten können sie ihre
rnenschengerechte Substanz bewahren" (225). Auf der Ebene der
Prinzipien sind beide Systeme vom Kriterium der Humanität
aus Glauben, Hoffnung, Liebe her akzeptabel, wenn sich keines
absolut setzt. Auf der Ebene des Sachgemäßen erweist sich aber,
daß eine Marktmodifizierung der Planwirtschaft, wie sie z. B. in
Gorbatschows Perestroika beabsichtigt ist, nicht greift. Von
daher fällt das System der Zentralverwaltungswirtschaft für die
Ordnungsmaximen der Wirtschaft aus.

Rieh behandelt sechs Ordnungsgestalten der Marktwirtschaft
und favorisiert unter ihnen die Entwürfe von Ota Sik (1985) und
Hans Christoph Binswanger (1973), weil bei ihnen die Regulierung
der Marktwirtschaft am überzeugendsten gelingen könnte,
'n der heute praktizierten sozialen Marktwirtschaft sieht er
dagegen Deregulierungstendenzen, die auf einen wachsenden
Vorrang des Eigeninteresses zielen. Das führt zu Verteilungsdisparitäten
, Massenarbeitslosigkeit und Umweltzerstörung. Die
soziale Marktwirtschaft ist also kein Optimum, sondern muß
weiterentwickelt werden. Dazu gehört auch eine Eigentumsform
der großen Unternehmen, um die Partizipation der
Arbeitnehmer an den EntScheidungsprozessen deutlich werden
zu lassen.

Es ist wohl kein Zufall, daß Rieh bei keiner der bereits praktizierten
Ordnungsgestalten der Marktwirtschaft stehenbleibt.
nm geht es nicht um Bestätigung, sondern um Impulse zur Weiterentwicklung
. Freilich beschränkt sich der Vf. auf generelle Abwägungen
zu Gesamtkonzepten der Wirtschaftsordnung und
°rnmt nicht auf Einzelprobleme zu sprechen. Die komplizierte
fage des Vorgehens gegen die Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger
•Nationalisierung des Produktionsbetriebes wird ebenso unbeantwortet
gelassen wie das Verhältnis von Wirtschaftsmacht und poetischem
Einfluß, durch das eine staatliche Regulierung der
Marktwirtschaft einseitig manipuliert werden kann. Vielleicht ist
eseine Überforderung, von der Wirtschaftsethik eines Theologen
^ehr zu verlangen als einige Kriterien und Maximen, doch die
""agen in wirtschaftlichen Umbruchssituationen richten sich
"er auf solche Einzelprobleme als auf Grundsatzentscheidungen
. s0 jst jn (jen neuen Bundesländern die Entscheidung für die
arktwirtschaft kaum strittig, wohl aber, wie z. B. ein sinnvolles
eschäftigungskonzept gefunden werden kann oder wie Ent-
Scheidungen der Treuhandanstalt öffentlich kontrollierbar gedacht
werden können. Die Ineffizienz der Zentralverwaltungswirtschaft
ist offenkundig, aber die soziale Komponente der
arktwirtschaft ist in den Einzelschicksalen und -Vorgängen
schwer zu fassen. Rieh sagt selber von der Marktwirtschaft:
" eiche regulativen Planungsansätze dabei zum Zuge kommen
u°d wo die Grenzen auch einer dezenten Globalplanung liegen
i°"en- darüber kann die Humanität aus Glauben, Hoffnung,
ebe nicht befinden; das ist Sache des ökonomischen Sachverstandes
" (335). Von daher ist die Beschränkung auf Prinzipien
Und Maximen gewollt.

Der zweite Band der Wirtschaftsethik belegt noch einmal
das pädagogische Geschick des Autors. Er erläutert Begriffe präzise
, wiederholt wichtige Formulierungen mehrfach und vermag
auch komplizierte Zusammemhänge gut zu erläutern. Wer die
Grenzen einer Wirtschaftsethik akzeptiert, die durch den „ökonomischen
Sachverstand" gesetzt werden, wird dieses Buch mit
Gewinn lesen. Die brennenden Probleme der Gegenwart kommen
einem z. B. in der „Wirtschaftsethik im Dialog" von Klaus
Lewinghausen (Stuttgart 1988) freilich näher, weil sich dieses
Buch stärker auf die Einzelfragen einläßt.

Rostock Joachim Wiebering

Wunden, Wolfgang [Hg.]: Medien zwischen Markt und Moral.
Beiträge zur Medienethik. Stuttgart: Steinkopf; Frankfurt/M.:
Gemeinschaftswerk der Evang. Publizistik 1989. 306 S. 8°
Kart. DM 34,80.

Charakterisierungen der Gegenwartsgesellschaft als Informa-
tions- oder Kommunikationsgesellschaft sind verbreitet. Die in
solchen Gegenwartsdiagnosen enthaltenen Aufgaben ethischer
Reflexion dagegen werden in der philosophischen und theologischen
Ethik bisher gleichermaßen stifmütterlich behandelt. Die
Kammer der EKD für soziale Ordnung kann das Verdienst für
sich in Anspruch nehmen, in einer Studie über die neuen Infor-
mations- und Kommunikationstechnologien (1985) einen ersten
Vorstoß unternommen zu haben. Doch er hat bisher in Zustimmung
und Kritik kaum Nachfolge gefunden. Noch düsterersieht
es aus, wenn man die Aufmerksamkeit nicht so sehr auf die Fragen
, die durch die Dynamik neuer technologischer Entwicklungen
entstehen, richtet, sondern sich den weiterreichenden inhaltlichen
Fragen verantwortlichen Umgangs mit den Medien auf
der Produzenten- wie der Rezipientenseite stellt. Die Frage nach
der Instrumentalisierung von Gewalt und Intimität zur Unterhaltung
, das Problem der Manipulation des Publikums durch
Medienmacht, die Verpflichtung auf kritische Öffentlichkeit als
Gegengewicht gegen das Diktat von Einschaltquoten: solche
Themen bedürfen heute mehr denn je einer breiten Diskussion.
Theologische Ethik ist in diesem Zusammenhang schon deshalb
gefordert, weil die Kirchen sowohl durch ihre Rolle in den öffentlich
-rechtlichen Medien wie durch ihre Beteiligung an privaten
Medien tief in diesen Komplex verwickelt sind. Mehr noch aber
liegt eine Herausforderung für theologische Ethik darin, daß in
der aktuellen Medienentwicklung die Kriterien der Menschenwürde
und der Wahrhaftigkeit ganz unmittelbar auf dem Spiel
stehen.

Mißt man den hier anzuzeigenden Band an solchen Herausforderungen
, so läßt sich eine gewisse Enttäuschung nicht unterdrücken
. Zweifellos liegt sein Verdienst darin, daß er zum ersten
Mal Beiträge zur Medienethik in einer gewissen Breite versammelt
. Die meisten sind in deutscher Sprache schon anderwärts
veröffentlicht; zwei wurden aus dem Englischen übersetzt. Unter
ihnen befindet sich eine Reihe von Texten, die informativ sind
oder die Reflexion anregen. Zu ihnen zähle ich beispielsweise die
Texte von Hans Jürgen Schulz oder Walter Dirks, von Barbara
Mettier-Meibom oder Imme de Haen. Doch allzu zufällig erscheint
die Auswahl. So nennt der Hg. selbst in seiner Einleitung
sechs Autoren, die zur medienethischen Diskussion besonders
nennenswerte Beiträge geliefert haben: Alfons Auer und Hermann
Boventer, Theodor Strohm und Kurt Lüscher, Ulrich
Saxer und Manfred Rühl. Doch von diesen sechs Autoren ist im
vorliegenden Band nur ein einziger, Theodor Strohm, vertreten.

Verglichen damit ist der Anteil an Beiträgen zu hoch, die sich
allgemein mit Fragen der Technikentwicklung und Problemen
der Informationsvermittlung beschäftigen. Und zu hoch ist auch
der Anteil von Texten, die für Akademietagungen oder ähnliche